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Bombardieren für die Teilung Bosniens?
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Die Verhältnisse in Bosnien sind in wilder Bewegung. Flüchtlingselend über alle ethnischen Grenzen hinweg, Plünderungen, verbrannte Dörfer. Die jeweiligen Sieger nehmen es mit den Menschenrechten der Unterlegenen nicht genau oder besser, sie pfeifen drauf; Angst, Panik, Hass, Tod. Bill Clinton sagt, die harte Haltung der NATO bei den Bombardierungen habe sich ausgezahlt, man könne deshalb das Bombardieren aussetzen. Andreas Zumach berichtet jedoch, diejenigen Kaliber, mit denen man Sarajewo beschossen habe, wären gerade vom Abzug ausgenommen worden und stünden so nach wie vor bereit (TAZ 18.09.95). Viele Menschen in Deutschland, die sich von einer NATO-Intervention ein Ende des Mordens erhofft hatten, fühlen sich zwar durch die Wende im Krieg in Hinblick auf die Schutzzonen erleichtert, sehen aber auch mit Entsetzen die enormen menschlichen Kosten, die durch den neuen Kriegszug, diesmal in umgekehrter Richtung, entstehen. Dabei irritiert, wie wenig das Leid der serbischen Bevölkerung das moralische Gewissen in der Öffentlichkeit erregt, das einst bei den Bombardierungen, Vertreibungen aus den bosnischen Gebieten und Morden sich so heftig regte. Fast könnte man glauben, es gäbe in Deutschland schon ein festes Feindbild von "den Serben", das uns leichter ihr Elend übersehen läßt, während die Parteinahme für die früher Geschlagenen überwiegt.
Die Nachrichten aus Ex-Jugoslawien erscheinen widersprüchlich. Die weitgreifenden NATO-Bombardierungen nach der jüngsten grausamen Beschießung von Sarajewo gehen offensichtlich weit über den Anlass hinaus und sind anscheinend langfristig vorbereitet. Sie sind so umfassend, daß sie die NATO und die schnelle Eingreiftruppe am Berg Igman zum Bündnispartner der kroatischen und moslemischen Kräfte machen. Trotzdem ist der Serbengeneral Mladic - angeklagter Kriegsverbrecher - nicht bereit, die schweren Waffen aus Sarajewo abzuziehen. Erst als er von Belgrad politische Nierensteine verordnet bekommt, folgt er dem Ultimatum der NATO, die aber die bisher benutzten Kaliber zum Beschuss von Sarajewo aus der Abzugsliste gestrichen hat. Die Luftangriffe dienen auch nicht dazu, Belgrad und Pale an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die Angebote hierzu lagen bereits vor, ehe die NATO zuschlug. Blickwechsel: Die angeblich kampferprobten Serben der Krajina leisteten kaum Widerstand als die Kroaten angriffen, während die westlichen Friedensermahnungen wie eine wohlwollende Aufmunterung zur schnellen Durchführung des kroatischen Feldzuges klangen. Über das Flüchtlingselend wurde fast wie beim Ferienstau auf den Autobahnen berichtet und wir wissen, die Medienwirklichkeit ist entscheidender als die Realität. Auch das einst so nationalistische Belgrad spielte mit und kochte den Krieg auf kleiner Medienflamme. Viele Ungereimtheiten und offene Fragen, zu deren Beantwortung uns die Geheimarchive nicht offen stehen. Ich versuche deshalb ein Puzzle aus Einschätzungen und Informationen, um zu besserem Verständnis der gegenwärtigen Vorgänge in und um Bosnien zu kommen.
Worum geht es derzeit?
Das wichtigste Puzzleteil dürfte die Bereitschaft der NATO-Staaten sein, Bosnien de facto zwischen Belgrad und Zagreb aufzuteilen. Formal soll zwar der Staat Bosnien erhalten bleiben, die vorgesehenen föderativen Machtverhältnisse in den serbischen und kroatischen Teilländern und die geplante konföderative Anbindung an die jeweiligen "Mutterländer" machen den Staat Bosnien zu einer Fiktion und seine einzelnen Teile zu Einflusssphären. Damit wird vom Westen - Moskau zieht dabei voraussichtlich mit - bestätigt, daß militärische Mittel sich auszahlen und die beiden nationalistischen, mit ethnischer Vertreibung agierenden Mächte Serbien und Kroatien belohnt werden. Alle Beschwichtigungsformeln dienen nur der Beruhigung, Disziplinierung und Gesichtwahrung der moslemisch-bosnischen Seite. Eine solche Orientierung widerspricht allen Prinzipien der UN.
Das zweite wichtige Puzzleteil ist die Aufrüstung insbesondere Kroatiens und - wenn auch in geringerem Maße - der bosnischen Regierungstruppen. Diese beiden Armeen haben die Bodenkriegsführung arbeitsteilig übernommen, weil die NATO zu Recht fürchtete, in den Sumpf des Krieges hineingezogen zu werden. Anscheinend sind die NATO-Staaten, arabische Länder und manche andere - auf welchen verdeckten und verschlungenen Wegen auch immer - die Rüstungslieferanten gewesen, die USA leisteten Ausbildungshilfe. Die wahrscheinlich recht ungleiche Aufrüstung von Kroatien und Regierungsbosnien sorgt dafür, daß die Vorrangstellung Kroatiens gegenüber dem moslemischen Restteil erhalten bleibt. Neue, auch militärische Aufteilungskonflikte der beiden "Partner" schließe ich nicht aus.
Belgrad sucht einen Ausweg
Von Belgrad war der nationalistisch-großserbische Wahn am kräftigsten und rücksichtslosesten losgetreten worden. Dabei hatte diese Politik niemals eine wirkliche ökonomische und soziale Perspektive für die gesamte Gesellschaft. Sie diente vor allem der Herrschaftssicherung der bürokratischen Eliten aus der alten Gesellschaftsformation. Das in Sachen Kriegsführung so wenig wirksame Embargo hat jedoch die soziale und wirtschaftliche Situation der breiten Masse der Menschen unerhört verschlechtert. Zusätzlich drücken die Kriegslasten, die Restjugoslawien für die bosnischen Serben trägt. Da steht Kriegsbegeisterung, besonders bei militärischen Rückschlägen, auf tönernen Füßen. Auf Dauer können nur Friedensperspektiven, die Aufhebung des Embargos mit der Hoffnung auf besseres Leben und die Aussicht, mit dem Beutestück aus Bosnien das Gesicht zu wahren, Belgrad aus der verfahrenen Situation herausführen. Dabei gilt es auch, die Kräfte abzuwehren, welche das bürokratische Machtzentrum nationalistisch rechts überholen und zu verschärfter Kriegsorientierung drängen wollen. In dieser Rechten sind vor allem jene Kräfte versammelt, deren Rechtfertigungs- und Existenzgrundlage der Krieg selbst geworden ist. Daß solche Kräfte auch im serbisch-beherrschten Teil Bosniens eine große Rolle spielen, versteht sich von selbst. Belgrad muß deshalb stets bemüht sein, sie seiner Kontrolle zu unterwerfen. Die Lieferung von Kriegsgütern oder deren Verweigerung dürfte dabei von entscheidender Bedeutung sein. Soweit mein dritter Puzzlestein.
Alle genannten Puzzleteile dürfen nicht auf dem offenen Markt gehandelt werden, liefe man doch Gefahr, ob "des großen Deals" auf vielen Seiten sein Gesicht zu verlieren. Muß es nicht das Ziel sein, alle politischen Akteure - nein, nicht die Menschen - als Sieger erscheinen zu lassen? Daraus werden meine folgenden Puzzleteile:
Viele Sieger teilen sich die Ehre
- Die NATO wird zum Echt-Tiger, obwohl Mladic sie ein Stück weit vorführen kann, die Bedrohungswaffen für Sarajewo stationiert bleiben und der tatsächliche Kriegsverlauf nur in beschränktem Maße von ihr bestimmt wird. Als Echt-Tiger wird sie allerdings zu einem wichtigen Argument dafür, daß Großserbien nun vielleicht doch nicht ganz so groß werden kann und viele Menschen auf eine elende Flucht geschickt werden.
- Milosevic, eigentlich Kriegsverbrecher, könnte zum Friedensstifter werden, der gleichzeitig den serbisch dominierten Bereich ausweiten konnte, da Bosnien de facto geteilt wird. Außerdem würde es ihm gelingen, das Embargo aufzubrechen und die Rechte zurückzudrängen.
- Als Retter und Erweiterer des Vaterlandes wird Tudjman die kommenden Wahlen gewinnen und seine guten Beziehungen zum Westen ausbauen, wobei sicherlich die militärischen Kräfte auf ihre Kosten kommen werden.
- Sarajewo wird mit der Siegerpose größere Schwierigkeiten haben. Sollte es militärisch in Zukunft zu forsch agieren oder gar ein multikulturelles Bosnien zum Ziel erklären, wird es wohl von "Partnern" und Gegnern zur "Ordnung" gerufen werden.
- Auch die UN wird kaum zu den Siegern gehören, wurde ihr doch das Heft von den USA und der NATO aus der Hand genommen. Mangels Einfluss und Geld hat ihr Generalsekretär schon den Rückzug der UNPROFOR angekündigt. Das Mandat für Ex-Jugoslawien soll dann per Beschluß des Sicherheitsrates an die europäischen Mächte oder gar an die selbsternannte Ordnungsmacht NATO übergeben werden.
Ich beende das Puzzle und werfe einen Blick auf das Gesamtbild. Zu sehen ist eine NATO-Militärintervention, die in mehr oder weniger klammheimlicher Kooperation mit den kroatischen und serbischen nationalistischen Regierungen steht, welche die ethnische Vertreibung organisieren und den ethnisch reinen Staat herstellen wollen. Die kroatische und die bosnische Armee fungieren - wenn auch sicher mit vielen Unwägbarkeiten - als NATO-Bodentruppen, deren Aktivitäten wenigstens in den grundsätzlichen Zielen zwischen Washington und Belgrad abgesprochen zu sein scheinen. Das dadurch Abertausende in Vertreibung und Not gestürzt werden, wird billigend in Kauf genommen. Schon werden die Serbenvertreibungen aus der Krajina und aus Slawonien von Gegenvertreibungen von Kroaten aus Restjugoslawien beantwortet. Die Teilung Bosniens und die Auflösung multikultureller Gesellschaften bei gleichzeitiger Steigerung nationalistischer Ausrichtung widersprechen allen Vorstellungen von der Förderung ziviler, demokratischer Gesellschaften.
"Mach` Dir nur einen Plan .."
Freilich sagt das Bild nichts über die tatsächliche Zukunft aus. Schon Brecht ließ in seiner Dreigroschenoper singen: "Mach` Dir nur einen Plan ...". Wird das serbische Militär doch noch zu einem Rückschlag nach den Rückschlägen ausholen? Werden kroatische und moslemische Bosnier sich friedlich arrangieren? Werden die wahrscheinlich langwierigen Detail- und Durchführungsverhandlungen zu neuen Konstellationen und Konflikten führen? Aber auch: Welche gesamteuropäischen Auswirkungen wird die gewichtige Ausgrenzung Russlands haben? Doch das ist ein weites neues Thema!
Die Verlierer des Krieges stehen dagegen schon jetzt fest: die geflohenen und exilierten Menschen, die zerstörten und verhetzten Gesellschaften, das Ausmaß an Verfeindung und wirtschaftlicher Verelendung; und was wird aus den Minderheiten in den jeweiligen Bereichen, wird an ihnen nun die nationalistische Frustration innenpolitisch ausgelassen?
Doch noch ein weiteres Ergebnis zeichnet sich ab: Die Entstehung eines Mythos von der humanitären Militärintervention, welche den Frieden herbei bombte. Er wird als Legitimationsideologie für die weitere Aufrüstung der EU-Staaten mit offensiv einsetzbaren schnellen Eingreif- und Krisenreaktionskräften dringend benötigt. Vielleicht war gerade dies der tieferliegende Grund, warum man die Tornados und die Ärzte nach Ex-Jugoslawien schickte.
Für die Friedensbewegung wird es großer Anstrengungen bedürfen, um dem Mythos und dem damit verbundenen Drang der Parteien zur "Normalisierung" ihres Umgangs mit dem Militär zu widerstehen und an dem zukunftsträchtigen Projekt der Entfaltung von Konzept und Praxis ziviler Konfliktbearbeitung festzuhalten.