Kein Frieden "in Zeiten des Raubtierkapitalismus"

Bush in Mainz

von Thomas Klein

Bush in Mainz - das war ein in vielerlei Hinsicht denkwürdiges Ereignis. Der Pressesprecher der Stadt Mainz, Markus Biagioni, hatte im Vorfeld des Bush-Besuchs erklärt, man wolle dem Gast und der internationalen Öffentlichkeit "keine tote Stadt" präsentieren. Dieser Wunsch blieb im Zuge der Umsetzung bisher beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen jedoch auf der Strecke.

Letztlich waren es die 15.000 "Not welcome, Mr. Bush"-Demonstranten, die dafür sorgen, dass Mainz an diesem Tag immerhin nicht überall eine tote Stadt mit menschenleeren Straßen war.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac, der Bundesausschuss Friedensratschlag, die DFG-VK, die Friedens- und Zukunftswerkstatt in Frankfurt a. Main, die Ärzteorganisation IPPNW, das Netzwerk Friedenskooperative sowie weitere Organisationen und Parteien im Trägerkreis, außerdem zahlreiche regionale und lokalen Gruppen und Initiativen als Unterstützer, hatten sich in dem Aktionsbündnis "Not welcome, Mr. Bush" zusammengeschlossen und erfolgreich die Werbe(Bush)trommel gerührt.

Dass an einem Werktag 15.000 Menschen bei Kälte und Schneetreiben auf der Straße waren, bezeichnet das Bündnis als einen großen Erfolg - auch vor dem Hintergrund, dass die Protestveranstaltung nicht nur mitten in der Woche stattfand, sondern außerdem nicht klar ist, wie viele Menschen aufgrund der angekündigten Sperrungen und chaotischer Verkehrsumstände im Rhein-Main-Gebiet sich erst gar nicht auf den Weg nach Mainz begeben hatten.

Für große Heiterkeit in Mainz sorgte der IMI-Aktivist und EU-Parlamentarier Tobias Pflüger zu Beginn seiner Rede, als er ausrief "Schröder und Bush treffen sich in Mainz, weil sie zu feige sind, nach Berlin zu gehen". Aber Bush und Schröder seien weder in der einen noch in der anderen Stadt willkommen.

Insgesamt stand in fast allen Reden nicht nur die als "Kriegstreiberei" angeprangerte Außenpolitik Bushs am Pranger, sondern es fehlte zumeist auch nicht der Verweis auf die innenpolitischen, genauer sozialen Folgen der von US-Präsident Bush praktizierten Politik.

So betonte beispielsweise Michael Wilk, Sprecher des Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden (AKU): "Die Neuordnung der Welt findet ihre programmatische Entsprechung im Innern der USA: Massive Kürzungen der Sozialprogramme zu Gunsten des Rüstungsetats, Ausbau des Repressionsapparates, verschärfte Jagd auf Migranten im Innern und entlang der Grenzen".

Genau aus diesen Gründen, so der Tenor dieser und anderer Stellungnahmen, sei die Demonstration keine anti-amerikanische Veranstaltung, sondern eine, die sich gegen die menschenverachtende Politik der US Regierung richte und mit dieser Stoßrichtung auch bei vielen in den USA auf Zustimmung stoße.

Zu einem kuriosen Streit führte der Bush-Besuch noch Wochen später in Hessen. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) widersprach Berichten, er habe die Schließung des Frankfurter Flughafens angeordnet. Die Deutsche Flugsicherung hatte berichtet, die u.a. von der Lufthansa scharf kritisierte Schließung des Flughafens während der Ankunft Bushs sei erst kurzfristig auf Verlangen des US-amerikanischen Geheimdienstes verfügt und von der hessischen Polizei entsprechend umgesetzt worden. Die hessische Polizei wiederum habe sich während des Staatsbesuchs auf eine Direktive Kochs berufen, nach der alle Forderungen des US-Geheimdienstes umzusetzen seien.

Nach Angaben der Lufthansa fielen in Folge der Sperrung der Start- und Landebahnen 92 Flüge ganz aus und bei 335 gab es Verspätungen. Der Lufthansa-Pressesprechers Thomas Jachnow erklärte, dadurch sei dem Unternehmen ein Verlust von "einer satten Million" entstanden. Man wolle Schadensersatzforderungen prüfen.

Noch in anderer Hinsicht hat der Deutschland-Aufenthalt des US-Präsidenten nachträglich Wellen geschlagen: Inzwischen ist klar, dass in mindestens einem Fall vor Beginn der Großdemo eine Wohnung von der Polizei aufgebrochen wurde, um ein am Fenster angebrachtes, Bush-kritisches Transparent zu entfernen. In einem anderen Fall drang die Polizei in die Räume einer Wohngemeinschaft ein und hielt sich insgesamt acht Stunden in der betroffenen Wohnung auf.

Mit Blick auf diese Vorgänge, auf zugeschweißte Kanaldeckel, abmontierte Briefkästen, Balkonverbot für viele tausend Bewohner in Wiesbaden und Mainz, geschlossene Schulen und Jugendzentren, von der Polizei komplett gesperrte Straßen und Brücken, bleibt das Fazit: Würden in Washington DC bei Dienstfahrten des US-Präsidenten auch nur annähernd vergleichbare Sicherheitsvorkehrungen getroffen, wäre die US-Hauptstadt eine letztlich unbewohnbare Hochsicherheitszone.

Zitate aus Mainz

"Die Mainzer klagten ja ewig, dass alle Gullis zugeschweißt werden. Aber da frage ich doch: Ist es von den Mainzern zu viel verlangt, einen Tag lang mal keine Gulli-Deckel hochzuheben?" (Rüdiger Hoffmann, RTL am 26.2.05)

"Anhand der Einwohnermeldedaten überprüfen wir genau, wer innerhalb der Sicherheitszone wohnt. Ist jemand vorbestraft, beispielsweise wegen Einbruchs, belassen wir es dabei. Gilt ein Anwohner als radikal rechts oder radikal links, kontaktieren wir die Person und halten eine sogenannte Gefährdenansprache. Das hört sich schlimmer an, als es ist, und die Menschen zeigen insgesamt Verständnis für die Situation, schließlich handelt es sich um den Präsidenten der Vereinigten Staaten." (Polizeisprecher, FAZ 23.2.05)

"Wir sind froh, dass wir schulfrei haben. Aber den Bush wollen wir hier nicht, der macht ja sowieso nur Krieg. Außerdem kann ich meinen Freund nicht besuchen, obwohl der gleich nebenan wohnt." (Schüler der 8. Klasse, FAZ 23.2.05)

"Es gibt verschiedene Gerüchte. Die einen sagen, man dürfe das Haus nicht verlassen, die anderen, man müsse aus dem Haus. Manche glauben sogar, man bekäme einen Polizisten in die eigene Wohnung gesetzt. Das muss man sich mal vorstellen." (Hausfrau, FAZ 23.2.05)

"Ich fühl` mich, als sei ich in einem Ghetto. Man darf nur noch mit Passierschein das Haus verlassen und muss sagen, wohin man warum will." (Hausfrau und Mutter, FAZ 23.2.05)

"Bis der Herr Präsident im Flugzeug sitzt, werden die Straßen so leer sein, dass man nackt durch die Gasse rennen könnte." (Sprecher der Straßenmeisterei, FAZ 23.2.05)

"Sollte ein Todesfall in der Sicherheitszone eintreten, müssten wir die Abholung in die Abendstunden verlegen. Laut Gesetz ist es ja erlaubt, einen Toten 36 Stunden im Haus zu behalten." (Bestattungsinstitut, FAZ 23.2.05)

"Die Polizei stand schon in meinem Vorgarten. Die suchen hinter jedem Baum, drehen die Steine um und inspizieren jedes Haus. Das geht nun schon seit letztem Donnerstag so. Ich fühl` mich wie im Krieg." (Rentnerin, FAZ 23.2.05)

Auszüge aus einem Demonstrationsverbot

Auf Grund der herausragenden Bedeutung und der Stellung des amerikanischen Präsidenten und seine Regierungsmitglieder in der Weltöffentlichkeit sowie des Umstandes, dass die von diesen repräsentierte Politik vielfach auf eine teilweise massiv gewalttätige Ablehnung stößt, besteht eine besonders hohe Gefahrensituation für Leib oder Leben dieser Personen. Die Gefahr beschränkt sich dabei nicht auf solche Staaten, in denen bereits in der Vergangenheit Gewaltaktionen unternommen wurden, die sich gegen die USA richteten. Es ist vielmehr stets damit zu rechnen, dass zumindest radikale Kräfte weltumspannend versuchen werden, Repräsentanten der amerikanischen Politik zu schädigen und hierdurch die USA als solche und deren Politik zu beeinträchtigen.

Diese Gefahr besteht auch für den bevorstehenden Staatsbesuch in Mainz. Es ist zu befürchten, dass Personen, die der amerikanischen Regierung oder deren Politik ablehnend gegenüberstehen, für den 23.02.2005 Anschläge, gegebenenfalls mit Hilfe von Sprengstoff, auf den amerikanischen Präsidenten oder andere Teilnehmer des Staatsbesuch planen. Konkret besteht die Gefahr, dass solche Personen unter dem Deckmantel der Teilnahme an Ihrer Mahnwache versuchen werden, den amerikanischen Präsidenten und seine Begleiter tätlich anzugreifen, zumindest aber den Staatsbesuch massiv zu stören. Es liegt damit eine Gefahr für Leib und Leben von Personen sowie eine störungsfreie Durchführung des Staatsbesuches vor. Dabei liegt angesichts der Hochrangigkeit der gefährdeten Rechtsgüter die gesteigerte Form einer dringenden und gegenwärtigen, erheblichen Gefahr vor.

"Kein Picknick mit Eiern und Tomaten"
Auszug aus dem Merkblatt, das dem Demo-Verbot beigefügt war:

"Es wird insbesondere darauf hingewiesen, dass es nach § 17a Abs. 1 VersG verboten ist, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder bei Aufzügen Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen. Dazu gehören insbesondere Seile, Taue, Ketten, Sprühdosen, Stangen aus Metall oder Hartholz etc. (auch Fahnen- und Transportstangen), Eier, Tomaten oder sonstige Wurfgegenstände."

 

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