Ein Trainingskonzept für Aktive in sozialen Bewegungen

Civic Action and Transformation (CAT)

von Karl-Heinz Bittl

„Für mich war es überraschend, dass ich mir Gedanken machen sollte, welche Vorteile ich davon habe, erfolglos zu sein. Die Frage verfolgt mich die ganze Zeit.“ teilte uns in der Schlussrunde H. aus Nigeria mit. Es ist ein Austausch über ein Training, das - Karen Johne und ich (Karl-Heinz Bittl) entwickelt haben und seit zwei Jahren durchführen und weitergestalten.

Wir nennen es CAT und schmunzeln immer wieder über unsere „Katze“, die so ganz leise, flexibel und tiefgehend ist. CAT ist eine Abkürzung für Civic Action and Transformation und wurde als ein Trainingskonzept für Aktive in sozialen Bewegungen entwickelt. Grundlage für dieses Training ist der Ansatz einer konstruktiven Konfliktbearbeitung, ATCC. (1) In diesem ATCC-Ansatz geht es zuerst einmal um das Wahrnehmen, das genaue Erkennen von Konfliktursachen und das Handeln, d.h. deren konstruktive Bearbeitung. Die sechs Elemente des ATCC- Kulturdiamanten - Person, Recht, Struktur, Rituale, Kultur und Werte - sind dabei die Wegbereiter. So beginnen wir im CAT-Training mit der Frage nach dem Verhältnis von Person zur Struktur, z.B. nach der persönlichen Erfahrung mit der Ausübung von Macht. (2) Als Methode nutzen wir dafür den Machtbaum, mit dessen Hilfe die Teilnehmenden nach den Wurzeln, ihren früheren Versuchen und den aktuellen Erfahrungen mit ihrer Macht suchen -  nicht nach ihren Erfahrungen mit Ohnmacht! Da Macht ein für einige Kulturen ein heikles Thema darstellt, ist diese Einstiegsübung eine Herausforderung. Sich aus dem Mythos der Ohnmacht zu befreien und gleich der eigenen Macht in die Augen zu schauen, öffnet einige Fenster. Hilfreich ist hier das ATCC-Machtraum-Modell, in dem Macht in ihrer konstruktiven und destruktiven Form betrachtet wird. Macht, in der konstruktiven Form, brauchen wir, um unsere Werte umzusetzen.

Womit wir beim nächsten Teil des Seminars sind. Welche Werte sind für uns und unsere Arbeit wichtig? In diesem Abschnitt wird deutlich, dass neben einer „Neukonstruktion“ des Machtbegriffs ebenfalls der Wertebegriff geklärt werden muss. Werte, im Sinne der Charta der Menschenrechte, sind zum Beispiel Würde, Gerechtigkeit, Freiheit oder Wahrheit. Die Unterscheidung zwischen Zielen, Fähigkeiten, Gefühlen oder Dingen und Werten ist sehr wichtig und hilft den Teilnehmenden, unselige Wertediskussionen zu verlassen.

Eine weitere Übung führt zur Unterscheidung zwischen Werten und Idealen. Werte dienen uns als Orientierung in unserem täglichen Handeln und in der Beziehung zu Anderen. Dadurch können sie zwar in Konkurrenz zueinander treten, jedoch liegt es in unserer Verantwortung, die Balance zu halten und unsere Entscheidungen so zu kommunizieren, dass unser Werteverständnis zum Ausdruck kommt. Oftmals geraten jedoch diese Orientierungen aus dem Blickfeld, und die Mittel, die den Werten zur Realisierung verhelfen sollen, werden mit den Werten selbst gleichgesetzt, d.h. überhöht, idealisiert. Geschieht dies, werden menschliche Ängste und Bedürfnisse unter das Ideal gestellt und vom Wert abgetrennt. In unserem Seminar war eines dieser Ideale das Land, der Lebensraum. Teilt jemand nicht dieses Ideal, wird dies als ein Sakrileg empfunden. Das abweichende Verhalten wird sozial oder physisch sanktioniert.

Den nächsten Schritt begleitet die Frage nach gesellschaftlichen Situationen, in denen für die Teilnehmenden deren Grundwerte verletzt werden. In Kleingruppen entstehen nach einem Austausch „Körperstatuen“, die den anderen gezeigt werden. Anschließend werden die Mitglieder der anderen Gruppen eingeladen, die Statuen im Sinne der vereinbarten Werte zu bearbeiten. Sie verändern der Reihe nach die Personen in den Statuen und kommen zu einem sehr harmonischen Endbild.  In unserem letzten Seminar wurden schwerbewaffnete israelische Soldaten dazu gebracht, dass sie die Waffen niederlegten und mit palästinensischen Jugendlichen Fußball spielten. In der Reflexion wurde deutlich, dass alle Energie darauf verwendet wurde, den vermeintlichen Täter zu verändern – die Opfer blieben dabei auf sich allein gestellt. In unserem Ansatz arbeiten wir jedoch mit der Notwendigkeit, den Teufelskreis von Täter-Opfer-Retter, der am „Ideal“ orientiert ist,  zu verlassen. Wir schaffen dafür eine bedürfnis- und werteorientierte Handlungsalternative. Die nun folgenden Einheiten führen immer wieder auf diese Handlungsalternative zurück. Wir arbeiten mit Übungen, die es ermöglichen, Eskalationsstufen in der zivilen, gewaltfreien Auseinandersetzung zu erkennen und mit einem Phasenmodell, das an Bill Moyers Movement Action Plan angelehnt ist und potenzielle nächste Schritte offeriert. Gebunden werden diese einzelnen Schritte an ein dynamisches Rollenmodell, in dem aufgezeigt wird, welche Grundbestrebungen bei den einzelnen Akteuren eines sozialen Wandels vorzufinden sind. Die Teilnehmenden finden hierbei Wege, welche Akteursgruppen wie angesprochen werden müssen, um als soziale Bewegung erfolgreich zu sein. Aber es wurde beispielsweise auch einem unserer Teilnehmer schmerzlich klar, dass eine einmalige Aktion mit UnterstützerInnen auf Facebook noch kein Auftakt für eine neue soziale Bewegung gewesen ist.

In einer ressourcenorientierten Übung erkennen die Teilnehmenden ihre Kraftquellen und besinnen sich ihrer Erfolge, um den Weg weiter zu gehen. Wir ermutigen sie, Rituale zu pflegen, die zum Auftanken helfen. Vorher beschäftigen wir uns aber mit der Frage, ob es nicht ganz versteckt in uns eine Angst vor einem „Erfolg“ unserer sozialen Bewegung gibt. Die Vorteile vom Misserfolg sind eigentlich sehr attraktiv: Trost und Mitleid, vor allem in der eigenen Gruppe, Anerkennung als die ewigen Opfer, Darstellung des Dramas durch die Medien, und keine Beschäftigung mit sich selbst. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ohne dabei in Schuldgefühle zu geraten. Im Wahrnehmen dieser Tendenz finden wir einen Weg, wie wir es genießen können, für uns zu sorgen und erfolgreich zu ein. H., aus Nigeria, teilte mir noch auf dem Rückweg mit, dass er morgen einfach Lust habe, durch Amsterdam zu laufen, die Stadt zu genießen und am anderen Tag auf der Konferenz mit Freude die Anerkennung annehmen will, die seine erfolgreiche Arbeit verdient.

Anmerkungen
1 Approche et transformation construktif de conflit, Konflikte wahrnehmen und konstruktiv verändern, ist ein Ansatz, der von Karl-Heinz Bittl und Hervé Ott entwickelt wurde.

2 Dabei verstehen wir Macht als Mittel zur gesellschaftlichen Veränderung, die immer an Vertrauen, Verantwortung und Möglichkeiten der Kontrolle gebunden ist.

CAT führen wir gerne in Deutsch, Englisch oder Französisch durch. Es dauert mindestens 5 Tage und hat als Zielgruppe Aktive in sozialen Bewegungen, wie z.B. NGO-MitarbeiterInnen und AktivistInnen. Langfristige Planung erforderlich!!! Bitte wenden Sie sich an uns: Karen Johne, www.karenjohne.de, karen [dot] johne [at] yahoo [dot] de oder 030.27574929. Karl-Heinz Bittl, EiCCC,www.konfliktberater.org, www.eiccc.org,  info [at] eiccc [dot] org oder 01738063071.

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Karl-Heinz Bittl, EiCCC, www.konfliktberater.org, www.eiccc,org, info@eiccc.org oder 0173/8063071