Dem 9. September Sinn abgewinnen

von Prinz el Hassan bin Talal

In den letzten zehn Jahren wurde viel geschrieben, um dem, was am 11. September 2001 geschah, Sinn abzugewinnen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Das Böse zu analysieren, ist nicht einfach. Terror macht keinen Sinn für den rationalen Verstand. Klar ist, dass für Millionen von Amerikanern und der Welt im Allgemeinen die Ereignisse jenes Tages nie einfach eine Erinnerung sein, sondern etwas bleiben werden, dass sie für den Rest ihres Lebens mit sich tragen werden.

Es war keine glückliche Dekade – noch war es eine „amerikanische“ Dekade. Wirtschaftlicher Niedergang, soziale Immobilität, kulturelle und künstlerische Depression und der Verlust von Chancen für gewöhnliche Menschen haben zu einer Zukunft beigetragen, die nicht länger voll von Möglichkeit erscheint. Optimismus scheint nicht greifbar. Es gibt vielfältige Faktoren und komplexe Gründe – aber da ich in einer unsicheren Region aufgewachsen bin, kann ich mir nicht helfen anzunehmen, dass diese Atmosphäre bis zu einem gewissen Maß ein Abfallprodukt des sog. „Kriegs gegen den Terror“ ist – ein Krieg, dessen Ende nicht absehbar scheint.

Hat der Kampf gegen jene, die versuchen, die Wahrheit – auf beiden Seiten - zu monopolisieren, den Westen und die muslimische Welt einander näher gebracht?

In den letzten Jahren schien es oft, als ob unser gegenseitiges Sich-Missverstehen nicht tiefer sein könnte. Christliche Minderheiten im Nahen Osten haben viele Probleme. In vielen westlichen Ländern wurden muslimische Gemeinschaften marginalisiert, um widerstreitende Ideologien zu befrieden und den Absatz von Zeitungen zu erhöhen.

Und doch, seit ein gleichgültiger Führer sein eigenes Land in Tunesien fluchtartig verließ und ein dreißigjähriges Regime in dreißig Tage gestürzt wurde, scheint diese natürliche menschliche Angst vor dem „Anderen“ und „voreinander“ durch etwas anderes ersetzt worden zu sein. Das Gespenst des religiösen Extremismus – obwohl es tragischerweise existiert - hat nicht mehr länger die Resonanz, die es einst hatte.

Die Stereotypen, die so lange diese Region als eine gezeichnet haben, die rettungslos verloren ist, konkurrieren jetzt mit hoffnungsvollen Darstellungen. Weniger AmerikanerInnen scheinen damit zufrieden zu sein, den Nahen Osten schlicht zu beurteilen – sie wollen ihn verstehen. Das ist sowohl tapfer wie unerwartet. Es ist genau das, was Al Quaida und ihre Gleichgesinnten nicht wollen.

Tatsache ist, dass, obwohl die Menschen in den USA und im Nahen Osten weit voneinander entfernt sind, unsere Schicksale miteinander verwoben sind. Zu sagen, dass der junge Jordanier, Tunesier, Ägypter, Bahraini oder Iraner mit einer feindlichen Einstellung gegenüber den USA aufwächst, würde eine komplexe Beziehung vereinfachen. Junge Leute in Jordanien und im ganzen Nahen Osten nehmen die Situation in Palästina wahr. Sie haben sich daran gewöhnt, enttäuscht zu werden, und man kann sich darauf verlassen, dass sie unermüdlich jede Diskrepanz zwischen Worten und Taten aufzeigen werden. Doch solche Gefühle sind oft mit Bewunderung gemischt – Bewunderung für amerikanische Filme und Kultur, für solche Ideen wie Freiheit und Individualität, für Chancen und Belohnung von Anstrengung. Es mag schizophren sein, aber es ist real. Das „Recht auf die Verfolgung von Glück“ ist eine Formel, die Menschen überall anstreben und verstehen. Aber sie ist nicht leicht zu gewinnen.

Im Nahen Osten haben Menschen den höchsten Preis für das Recht bezahlt, Rechte zu haben, Die „Arabische Straße“ stand gegen den modernen Staats-Sicherheitsapparat. Das Ergebnis war häufig völlige Unterdrückung, Gewalt, Einschüchterung und Brutalität.

Gleichzeitig scheint überall, wo man hinsieht, eine früher schweigende Mehrheit ungefähr das Gleiche zu wollen: Einen Sinn von Würde, Kontrolle über das eigene Schicksal und Zugang zu Chancen. Die Aufstände verliefen unterschiedlich. Sie werden auch unterschiedlich enden. Aber sie werden auch revolutionär und evolutionär sein, da sie zwei zentrale Inhalte vermitteln:

Erstens, dass der Nahe Osten anders sein kann. Der zweite ist, dass er sich verändert, und zwar schnell.

Wie wir in diesem Teil der Welt gesehen haben, ist es nicht einfach, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sie zu überwinden. Die Angriffe des 9. September stellten einen kalkulierten und feigen Versuch dar, einen großen und tiefen zivilisatorischen Graben zu schaffen. Dieses große und perverse Projekt schien, trotz aller guten Geister, oftmals Gefahr zu laufen, zu siegen. Wir dürfen das nicht geschehen lassen.

Es ist das Akzeptieren von Unterschieden, das eine Freiheit von Furcht impliziert, das jeder Terrorist gewiss am meisten fürchten muss. Anstatt gegen „Terror“ zu kämpfen, sollten wir für Optimismus und Hoffnung kämpfen.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die anlässlich des 11. September geschrieben wurde und von Common Ground News Service (CGNews) veröffentlicht wurde (6. September 2011, www.commongroundnews.org). Übersetzung: Redaktion.

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Seine Königliche Hohheit Prinz El Hassan bin Talal ist Vorsitzender und Gründer des Arab Thought Forums (ATF) und des West-Asia North-Africa (WANA) Forums.