Journalismus

Dem Frieden verpflichtet

von Karl Grobe
Schwerpunkt
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Die Verfassungsväter haben der Presse einen hohen Rang zugestanden. Grundgesetz-Artikel 5 garantiert die Pressefreiheit und untersagt die Zensur, das heißt den staatlichen und behördlichen Eingriff in die Berichterstattung. Medien können die vierte Gewalt sein, die Legislative, Exekutive und Judikative kontrolliert und gegebenenfalls kritisiert. Dem journalistischen Selbstverständnis nach sind sie das auch.

Doch hinter jeder Publikation, gedruckt oder gesendet, stecken verschiedene und oft einander widersprechende Interessen. Vor allem finanzielle.

Zu Boom-Zeiten brachten Inserate 60 bis 80% der Einnahmen in die Verlagskassen. Mittlerweile schrumpfen  die Anzeigenannahmen. Die Verlage reagieren mit Kündigungen (Software ersetzt die Berufe der SetzerInnen, KorrektorInnen, MetteurInnen, PrägerInnen und einen Teil der DruckerInnen), Outsourcing (tariflich bezahlte Tätigkeiten werden in Unterfirmen verlagert, die nicht tarifgebunden sind) und Konzentration. Fünf große Verlagshäuser publizieren die Hälfte aller in Deutschland verkauften Zeitungen. Verlagsgruppen fusionieren, so dass etwa im Ruhrgebiet, in Niedersachen und im Südwesten im Wesentlichen ein einziges Unternehmenskonglomerat die Printmedien besitzt und sich nur wenige Konkurrenten an begrenzten Orten behaupten.

Konzentration und Monopolisierung gehen viel weiter. Zentralredaktionen stellen den „Mantel“ für die Konzernzeitungen an einem Ort her; zum Mantel gehören die politischen und die meisten anderen überregionalen Seiten. Die einzelnen Blätter unterscheiden sich schließlich nur noch durch Namen und Lokalberichterstattung. Für größere Recherchen  ist keine Zeit mehr. Es ist fast die Ausnahme, dass eine Lokal- oder Regionalzeitung sich eine eigene politisch relevante Meinungsseite mit eigenen Kommentatoren leistet.

In Berlin konkurrieren drei Zentralredaktionen, die jeweils Dutzende Zeitungen beliefern, um Aktualität. JournalistInnen haben ihr eigenes Gruppenverständnis von Neuheit, Wert und Form einer Nachricht. Sie haben einen Tauben-Instinkt: Wenn man eine füttert, kommen sie alle.  Das bestimmt die Inhalte, die den LeserInnen geliefert werden.

Dennoch besteht das Berufsethos der JournalistInnen weiter. Es  gibt nach wie vor Grundsätze, an die jeder sich zu halten bemüht: Aktualität, Faktentreue, Nachprüfbarkeit, Objektivität. Audiatur et altera pars ist eine Forderung seit der Antike, und der Grundsatz, alle Seiten zu hören, gilt weiter. Im Prinzip. 

Die Berichterstattung – nicht die Kommentierung – des aktuellen Ost-West-Konflikts setzt stillschweigend aggressive Absichten „Moskaus“ voraus, übergeht aber die territorial und politisch beträchtliche Ost-Erweiterung der Nato seit 25 Jahren, obwohl diese ein die russische Politik erklärender Faktor sein könnte. China wird einseitig zur bedrohenden Macht stilisiert; linke Bewegungen in Lateinamerika gefährden die Stabilität der Region; Iran ist böse, aber Saudi-Arabien ist gut.

Die implizite Vertretung ökonomischer und politischer Interessen des Westens liegt auf der Hand, genauer: der Interessen der herrschenden Wirtschafts- und Machteliten. Es geht unausgesprochen um gesellschaftliche Kräfte und Faktoren, die die Politik bestimmen, um Krieg und Frieden. Sie bedingen auch die Deutungshoheit der großen Medienhäuser – oft sanfte, aber stets wirksame Gleichschaltung der öffentlichen Meinung. Dieser öffentlichen Meinung passt sich wiederum die Berichterstattung an.

Zudem üben die so genannten sozialen Medien einen starken Einfluss aus. Es ist leicht, einen Shitstorm gegen eine Fußball-Reporterin loszulassen, Falschmeldungen (fake news) zu lancieren, selbst nationale Wahlen dadurch zu beeinflussen. Die fakten- und geistlose Schwarm-„Intelligenz“ der Trolle und bezahlter Manipulateure ist das alternative Medium, durch das beschönigend populistisch genannte Ideologie  in die Hirne gefiltert wird. „Die sprachliche Entsicherung, die Rechtspopulisten in Wechselwirkung mit Massenmedien betreiben, ist Vorstufe zur barbarischen Tat“ (Tomas Konicz in Telepolis, 7.7.2018).

Dieses Bild ist düster. Es muss aber ergänzt werden. In Qualitätszeitungen und Qualitäts-Rundfunksendern kann man sich seriös und zuverlässig informieren. Sie beschäftigen hochqualifizierte KorrespondentInnen, gut informierte RedakteurInnen und freie MitarbeiterInnen und sind sich der Mängel der routinemäßigen Nachrichtenarbeit bewusst. Die Qualitätspresse vermittelt Einsichten in den Hintergrund der Ereignisse. So ist beispielsweise die einfache Nachricht über Bauernunruhen in Nordostthailand nur zwanzig Worte wert. Der Zusammenhang mit einer Dürre vor einigen Monaten, den die Zeitung nennt, mag die erste Erklärung für die Unruhen hergeben. Der Korrespondent hat den einen oder anderen Bauernführer möglicherweise früher kennengelernt, weiß über die Landwirtschaft, das Klima und die bäuerlichen Lebensverhältnisse Bescheid und kann die Motive und die Organisationen beurteilen. Erst jetzt wird die Nachricht zur Information.

KorrespondentInnen leben in den Hauptstädten (Kapitalen) der Länder, in die sie entsandt werden, und berichten vorrangig über die Entwicklung in diesen Kapitalen. Sie folgen den Diskussionen, Handlungen und Maßnahmen der jeweiligen Regierung, der Parteien (wenn es die gibt) oder des Justizapparats. Man erwartet von ihnen, dass sie internationale und bilaterale Beziehungen exakt verfolgen. Dabei steht für sie im Vordergrund, was der Interessenlage unseres Landes entspricht und was das Publikum interessiert. Daraus folgt ein hoher Grad von Eurozentrismus.
Zweitens sollen Korrespondenten die wirtschaftlichen Entwicklungen beobachten und interpretieren. Da geht es um die Mittel und Wege deutscher Investitionen in den Gastländern, also um Kapitalbewegungen. Sie müssen daher den Interessen der Banken, Konzerne und anderen Manifestationen des Kapitals auf der Spur bleiben und ihnen folgen. Auch das bedingt Eurozentrismus.

Drittens hängt die Entscheidung, einen Korrespondentenplatz im Ausland zu schaffen, von dem Kapital ab, das die Zeitung (oder der Sender) daheim dafür ausgeben kann oder glaubt ausgeben zu können. In diesem Zusammenhang ist sogar die Arbeit durchreisender ReporterInnen oder RedakteurInnen aus Deutschland oft kapitalbedingt. Auch dann, wenn es sich um die sehr verbreitete Gewohnheit handelt, Staatsbesuche oder Ministerreisen zu begleiten. Die Zahl der GesprächspartnerInnen (InformantInnen) ist durch den Terminplan des Veranstalters begrenzt.
Wer Informationskanäle in der Landessprache öffnen kann, kann die aufgezählten Verzerrungen wenigstens ein bisschen korrigieren. Aber die Zensoren mögen solche Leute gar nicht. Was schlimmer ist: Die leitenden RedakteurInnen mögen sie oft auch nicht. Der Korrespondent oder die Korrespondentin versucht, Berichte ins Blatt zu bringen; aber da gibt es unglücklicherweise auch die Themen, die gerade auf dem Markt sind.

Krieg ist immer ein Thema. Kriegsfolgen sind es vor allem dann, wenn sie „uns“ als „Flüchtlingsströme“ betreffen. Die Untersuchung und Darstellung von Kriegsursachen ist kompliziert und nüchtern. Deshalb finden journalistische Forschungsberichte, wie sie Egon Erwin Kisch, Edgar Snow, Seymour Hersh und manche andere geschrieben haben, nur selten den unmittelbaren Weg zur Leserschaft. Erst in Buchform erreichen sie höhere Auflagen.

Damit ist umschrieben, vor welchen Hindernissen ein Journalismus steht, der sich dem Frieden verpflichtet weiß.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.