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Gute Ziele, weitgehend fehlende Umsetzung
Der Arms Trade Treaty
von
Der Arms Trade Treaty, kurz ATT, ist das Ergebnis intensiver Bemühungen der Vereinten Nationen für mehr Waffenkontrolle und internationale Sicherheit. Mit dem Ende des Kalten Krieges war der Druck innerhalb der VN nach Transparenz und Regulierung des weltweiten Waffenhandels gestiegen. Nach sechs Jahren diplomatischer Verhandlungen trat das UN-Abkommen zum internationalen Waffenhandel am 24. Dezember 2014 in Kraft.
Positiv können die meisten der Zielsetzungen des Arms Trade Treaty bewertet werden. So dient der ATT der Förderung der Herstellung und Wahrung des Weltfriedens sowie der internationalen Sicherheit. Er soll die Abzweigung von wertvollen Ressourcen für Rüstungszwecke aus den menschlichen und ökonomischen Hilfsquellen der Welt verhindern. Des Weiteren soll er den unerlaubten Handel mit konventionellen Waffen sowie deren Umleitung auf illegale Märkte verhüten und beseitigen.
Diese Ziele sind richtig und wichtig. Und dennoch ist der Arms Trade Treaty insgesamt kritisch zu beurteilen. Laut Zielsetzung gelten aber auch die legitimen politischen, sicherheitsrelevanten und wirtschaftlichen Interessen der Staaten am internationalen Handel mit konventionellen Waffen (siehe Präambel: "Recognizing the legitimate political, security, economic and commercial interests of States in the international trade in conventional arms."). Dieser exportbefürwortende Aspekt kann Rüstungskonzernen und Regierungen de facto als Dooropener zu schier unbegrenztem Waffenhandel bzw. deren Genehmigungen dienen.
In seiner vorliegenden Form weist der ATT-Vertrag Form mehrere folgenschwere Schwachstellen auf. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der ATT lässt zu, dass die Teilnehmerstaaten entsprechende Informationen nicht weitergeben müssen, wenn deren nationale Sicherheit oder ökonomische Interessen als gefährdet eingestuft werden. Hieraus erwächst die Gefahr zahlreicher Schlupflöcher. Aus Sicht vieler Staaten würde es einen zu großen Eingriff in deren staatliche Souveränität bedeuten, wenn – im Sinne einer tatsächlich wirksamen Waffenkontrolle – eine internationale Kontrollstelle als übernationale Aufsichtsbehörde über den internationalen Waffenhandel geschaffen werden würde (statt nationaler Lösungen). (1)
Die im Vertragswerk vorgesehenen Kontrollmechanismen, wie z.B. die Notifikationspflicht bei einem nicht genehmigten Export von Rüstungsgütern, zur Einhaltung der vertraglichen Regelungen, sind zu schwach. Die Wirksamkeit des ATT wird durch die mangelnde Bereitschaft zum Beitritt führender Rüstungsexporteure, wie Russland und die USA, weiter unterminiert. Die USA haben den Vertrag unterzeichnet, sind aber nicht beigetreten – eine Vertragsratifizierung durch die USA ist nicht absehbar. Desgleichen haben große Rüstungsimporteure, wie Indien und Saudi-Arabien, den ATT-Vertrag nicht ratifiziert.
Die unzureichende Wirksamkeit des ATT wird insbesondere auch in Deutschland sichtbar. Obwohl die Bundesrepublik als Vertragsstaat gehalten ist, z.B. das Umleiten von Waffen zu verhindern, war es sowohl Heckler & Koch als auch SIG Sauer möglich, illegal Waffen nach Mexiko bzw. Kolumbien zu liefern. In beiden Fällen wurden Strafen jedoch ausschließlich nach nationalen Gesetzen verhängt.
Obwohl der ATT-Vertrag bestehendes Völkerrecht ist, fehlt es an einer Möglichkeit den Vertrag in der Praxis durchzusetzen – nicht zuletzt da keine Strafen bei Vertragsbruch vorgesehen sind.
Rückgehende Rüstungsexporte Russlands
Zwar wurden mit dem Arms Trade Treaty erstmals weltweite Standards für den Handel mit konventionellen Waffen geschaffen. Leider bei maßgeblicher Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen der Unterzeichnerstaaten, zudem mit zahlreichen Schlupflöchern bei fehlender Sanktionsmöglichkeit vertragsbrüchiger Staaten. Entscheidend ist auch, dass Artikel 14 des ATT die Durchsetzung der Ziele regelt, die Schaffung geeigneter Regeln jedoch in das nationalstaatliche Recht verlagert.
Betrachtet man die Berechnungen des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI zu Großwaffensystemexporten, so sind gerade die Rüstungsexporte der ATT-Vertragsländer immens gestiegen: die der US-amerikanischen um 15%, die der deutschen um 21% und die der französischen um 44%. Im Vergleich dazu sind die Waffentransfers Russlands um -22% spürbar gesunken, obwohl dessen Regierung den ATT-Vertrag nicht unterzeichnet hat. Bei diesen Rüstungsexport-Recherchen legte SIPRI den Fünf-Jahres-Zeitraum von 2016 bis 2020 – also der Zeit der Gültigkeit des Arms Trade Treaty – im Vergleich zu 2011 bis 2015 zugrunde. (2)
Letztlich bleibt der Versuch der Regulierung des internationalen Waffenhandels durch den ATT-Vertrag bislang weitgehend wirkungslos. Zumindest für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union erfolgen bisher keine nachhaltigen Rüstungsexportrestriktionen durch den Arms Trade Treaty. Beachtenswert ist auch, dass die rechtlichen Regelungen des Gemeinsamen Standpunkts der EU zu Rüstungsexporten strenger sind als die des ATT.
Konkrete Gesetzesvorlage von Greenpeace und Aktion Aufschrei zu einem neuen Rüstungsexportkontrollgesetz
Analysiert man die Rüstungsexportgenehmigungen der Bundesregierung, des Bundessicherheitsrats und der Ausführungsbehörden Bundeswirtschaftsministerium und Bundesausfuhramt, so ergeben sich desgleichen kaum Begrenzungen durch den ATT. De facto dürften Rüstungsexportgeschäfte aus Deutschland durch den ATT kaum verhindert worden sein bzw. werden. Auch hier gilt: Die rechtlichen Bestimmungen des ATT sind schwächer als die – durchaus kritikwürdigen! – nationalen Regeln des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KrWaffKontrG), des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) in Deutschland.
Diese Feststellung ist um so problematischer, als dass unsere Strafanzeigen des RüstungsInformationsBüros gegen Heckler & Koch und seitens der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ gegen SIG Sauer gezeigt haben, wie leicht selbst die vermeintlich strengen bundesdeutschen Rüstungsexportrestriktionen von exportwilligen Unternehmen zu umgehen sind.
Um die eklatanten Defizite in der bundesdeutschen Rüstungsexportkontrolle zu beheben, bedarf es eines neuen strikten Rüstungsexportkontrollgesetzes, wie es von Greenpeace (3) in Absprache mit „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ vorgelegt worden ist.
Entsprechend Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes soll das grundsätzliche Verbot von Rüstungsexporten wirksam umgesetzt werden. Dieses neue Gesetz muss dem Menschenrechtsschutz und der Abrüstung dienen, nicht länger den Interessen der Rüstungsindustrie.
Unsere Ansprüche an ein Rüstungsexportkontrollgesetz sind u.a.:
- Ein Exportverbot von kleinen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition.
- Keine Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete oder an menschenrechts- und völkerrechtsverletzende Staaten.
- Das Verbot der Lizenzvergabe sowie der Weitergabe von Waren und Informationen, die Nachbau und Weiterentwicklung deutscher Waffen und Rüstungsgüter ermöglichen.
- Die Forderung, dass Exportgenehmigungen begründet werden müssen und jederzeit widerrufen werden können.
- Keine Vergabe staatlicher Exportkreditgarantien für Rüstungsgeschäfte (sog. Hermesbürgschaften).
- Ein Verbandsklagerecht, um Rüstungsexportgenehmigungen richterlich überprüfen lassen zu können.
- Ein Rüstungskonversionsfonds, zur Förderung der Umstellung von militärischer auf nachhaltige zivile Produktion.
Am 24. November 2021 gab es dann auch erst einmal Grund zur Freude. Als Aufschrei-Kampagne begrüßten wir, dass sich die Koalitionspartner von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatten, sich für ein Rüstungsexportkontrollgesetz „einzusetzen“.
Dass sich die künftige Regierung zu einem Rüstungsexport-KONTROLL-gesetz bekennt, ist neu. Keine Frage, diese Vorgabe ist ein großer Erfolg für uns in der Zivilgesellschaft, die wir seit Jahren auf dieses Ziel hinwirken und massiv Druck auf politischer Ebene erzeugt haben. Allerdings ist es für eine finale Bilanz, gar Erfolgsbilanz, viel zu früh. Denn erst der genaue Inhalt dieses neuen, noch zu verabschiedenden Gesetzes wird darüber entscheiden, ob deutsche Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Staaten und an Länder, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind, tatsächlich ein Ende finden. Von zentraler Bedeutung bleibt die Frage, ob in dem Gesetz tatsächlich rechtlich verbindliche, eindeutige und strenge Kriterien für die Exportgenehmigungen festgeschrieben werden.
Falls dies geschehen sollte, wäre der Schritt danach, mit einem Rüstungsexportkontrollgesetz bei richtigen Inhalten auch auf der internationalen Ebene Druck zu erzeugen, damit der ATT erheblich nachgebessert wird.
Anmerkungen
1 Bpb, Die Regulierung des internationalen Waffenhandels, (12.3.2020); Louca, Der Arms Trade Treaty, S. 152 f.
2 Neue Sipri-Studie „Kein Land liefert so viele Waffen wie die USA“, in DER SPIEGEL vom 15.03.2021; siehe https://www.spiegel.de/politik/ausland/sipri-studie-kein-land-liefert-de...
3 Siehe https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/ruestungsexportkontrollge...
Quellen: Dieser Text basiert in den rechtlichen Fragen maßgeblich auf der Masterarbeit von Stephan Möhrle: „Die Bedeutung des internationalen Rechts beim Waffenhandel für das deutsche Genehmigungsverfahren in rechtlicher Hinsicht“, Freiburg/Saarbrücken vom Juli 2020 sowie Daten zur Entwicklung des internationalen Waffenhandels.
Weitere Informationen: siehe www.aufschrei-waffenhandel.de, www.gn-stat.org, www.rib-ev.de, www.dfg-vk.de und www.juergengraesslin.com
Stephan Möhrle, LL.M., ist Leitender Direktor des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und vertritt dieses seit 2017 auch im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen.
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch (KA H&K), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und Initiator des GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT).