Protestaktionen gegen die Giftgaslager gehen ins zehnte Jahr

Der lange Atem der WestpfälzerInnen

von Karl-Heinz Kohn

Die Massenmedien im Lande hören auf das Brausen der schnellen Modewellen wie die Einkäufer der Bekleidungsbranche. Die Friedensbewegung im Westen gehört im Moment nicht mehr zu ihren Lieblingskindern. Wer dennoch versucht, Öffentlichkeit von unten her immer wieder herzustellen, braucht viel Zeit, eine Menge Energie und einen langen Atem. Und oft genug gewinnt nach einigen Versuchen die Erschöpfung die Oberhand.

Nicht so bei den Westpfälzer BürgerInnen, die gegen die Lagerung von Giftgas in ihrer Region kämpfen. Und daß so viel zäher Wille und scheinbar unermüdliche Energie spürbar werden, hängt sicher in erster Linie daran, gegen welche menschenverachtenden Waffen da gerungen wird und wie monströs die Bedrohung für die Bevölkerung ist, die von diesem Teufelszeug ausgeht.

Worum geht es?

Im äußersten Südwesten der Pfalz liegt, mitten in der ausgedehnten Waldlandschaft in einem 800 ha großen, hermetisch abgeriegelten Gebiet das größte US-Giftgaslager Europas, das Fischbach-Depot. Es hat einen Umfang von 18 km. Wer es umwandert, braucht vier Stunden.

Gelagert werden dort 2000 bis 4000 Tonnen Nervenkampfgase in 122 Erdbunkern, Nervengifte wie Sarin, Tabun und VX, deren Wirkung auf den menschlichen Organismus mit dem des Giftes E 605 in der Schädlingsbekämpfung zu vergleichen ist. Es kommt zur Verkrampfung der gesamten Muskulatur, die Vergifteten schnappen nach Luft, der Kampf endet mit Atemstillstand, das Opfer erstickt unter schrecklichen Qualen.

Ein Liter dieser von Menschen erdachten Tinktur reicht theoretisch aus, um 1 Millionen Menschen zu töten und eine weitere halbe Million lebensgefährlich zu verletzen. Die in Fischbach gelagerte Menge entspricht der Füllung von 100 Tanklastwagen. In der Husterhöhlkaserne Pirmasens befindet sich die Befehlszentrale für alle chemischen Operationen in Europa, ist mit der 59th Ordonance Brigade, die größte Brigade der US-Armee stationiert, zuständig für die gesamte Versorgung mit chemischen Waffen.

Wen wundert es da, daß der Widerstand nicht aufhören will, daß sich die Demonstrationsteilnehmer auch von massenhaften Strafprozessen in Sachen Nötigung nicht abschrecken lassen, wie sie seit Januar letzten Jahres vor dem Primasenser Amtsgericht stattfinden? Einhundert Urteile "im Namen des Volkes" sind bereits gesprochen: 96 Verurteilungen, 4 Freisprüche.

Der Protest in der Westpfalz geht nun schon in das zehnte Jahr. Angefangen hat alles mit einem Bericht des Fernsehmagazins MONITOR 1981, der aufdeckte, was in diesem riesigen, abgeschirmten Waldgebiet verborgen liegt.

"Militärrisiken zumutbar"

Einer Großdemonstration im August 1981 folgten zwei große Veranstaltungen in Pirmasens und schließlich - unter der Leitung von Julius Lehlbach - die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Auch hier wurde dann im Dezember 1987 der Bevölkerung ein Urteil "im Namen des Volkes" beschert: Die Stationierung chemischer Waffen, gegebenenfalls auch ein etwaiger Zweiteinsatz, sei rechtens und bleibe im Rahmen des NATO-Bündnisses. Auch sei es gerechtfertigt, dem einzelnen ausnahmsweise hinsichtlich militärischer Anlagen ein höheres Maß an Risiken zuzumuten als im Bereich ziviler Anlagen.

Und diese Risiken bestehen allerdings. Schon 1980 berichtete der US-Senator Henry Jackson von 4000 Giftgas-Lecks pro Jahr in den Lagerstätten der USA. Die Altbestände im Pfälzer Wald in ihren langsam dahinrottenden Behältnissen werden kaum in besserem Zustand sein.

Deshalb richten sich die Hauptverordnungen auf die gefahrlose Vernichtung der bestehenden Bestände, d.h. Bau von Spezial-Sicherheitsbehältern für den Abtransport, und auf die Aufgabe aller Pläne zur Abschaffung der neuen binären C-Waffen-Systeme.

Und der permanente öffentliche Druck zeigt Ergebnisse. Hatte die Landesregierung unter Bernhard Vogel noch jede Giftgaslagerung bestritten, so gab es im Januar letzten Jahres schon einen einstimmigen Beschluß aller Landtagsfraktionen, in dem die Beseitigung der gegenwärtigen Bestände und die Ablehnung neuer Systeme gefordert wird. Die Existenz der menschenverachtenden Waffenarsenale kann somit spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bestritten werden.

Am 4. November 1989 war in der Aula der Kirchbergschule Pirmasens, eine Expertenbefragung anberaumt, in der die Bevölkerung und ein Gremium aus Journalisten mehrere Sachverständige zum Thema befragten.

Inzwischen sind über 15.000 Unterschriften für den Bürger-Appell gesammelt worden, die Mitte Februar an einen verantwortlichen Politiker übergeben wurden. Die Aktionen in der Pfalz gingen und gehen weiter.

Karl-Heinz Kohn ist Mitarbeiter der Friedenskoordination Westpfalz.

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