Der neue Kampf gegen die Folter

von Susanne Baumann

Das Folterverbot ist eine der wenigen Normen, die absolut und ohne Vorbehalt gilt. Selbst in Kriegs- und Krisensituationen gibt es davon keine Ausnahme. Die Liste der völkerrechtlichen Übereinkommen zum Schutz gegen Folter und Misshandlungen ist lang. Es gibt sogar ein völkerrechtliches Abkommen, das auf die Prävention von Folter und Misshandlung setzt: das Zusatzprotokoll zur VN-Antifolterkonvention, zu dessen Inkrafttreten nur noch wenige Ratifikationen fehlen. Ist der Kampf gegen die Folter also gewonnen? Haben alle verstanden, dass Folter eines der grausamsten Menschenrechtsverbrechen ist - bis auf ein paar Unrechtsregime vielleicht, die es ohnehin nie kapieren? Die Antwort vorweg: leider nein, schlimmer noch, im Gegenteil.

Die sicher gewähnte Überzeugung, dass Folter grausam, unmoralisch und uneffektiv ist und unter allen Umständen verboten sein muss, weicht (wieder) auf. Angriffe erleidet der fundamentale Grundsatz dabei nicht nur von den „üblich Verdächtigen", sondern von Staaten, die sich als Garanten der Menschenrechte verstehen.

Die Aushöhlung des Folterbegriffs durch die US-Regierung

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sind weltweit Menschenrechtsstandards zunehmend ausgehebelt worden. Insbesondere die US-Regierung begann schrittweise, das Verbot von Folter und erniedrigender Behandlung im Namen der Sicherheit aufzuweichen.

So erkannte das Verteidigungsministerium Anfang 2002 den „Individuen der al-Qaida und der Taliban" das Anrecht auf den Status als Kriegsgefangene ab und verweigerte ihnen damit elementare Schutzrechte. Noch im selben Jahr erarbeitete die US-Regierung eine neue Definition des Begriffs der Folter: Folter im strafrechtlichen Sinn sei nur gegeben bei einer Schmerzintensität, wie sie bei „Organversagen und Einschränkung körperlicher Funktionen bis hin zum Tod" auftrete. Darüber hinaus könne der Folter nur dann schuldig gesprochen werden, wer vorsätzlich starke Schmerzen verursacht habe. Damit wurden Verhörmethoden erlaubt, die nach international vereinbarten Kriterien klar als Folter gelten.

Nicht nur auf legaler Ebene wurde das Folterverbot relativiert. Eine vom US-Verteidigungsminister eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitete sogar einen umfassenden Katalog von „widerstandsbrechenden" Verhörmethoden, von denen Verteidigungsminister Rumsfeld schließlich 24 Befragungstechniken genehmigte und sich die Genehmigung von 9 weiteren Methoden im Einzelfall vorbehielt. Zum Teil finden sich hinter diesen „innovativen" Verhörmethoden alt bekannte Foltermaßnahmen: so verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Einnehmen von Stresspositionen" etwa stundenlanges Verharren in der halben Hocke, die „Manipulation des Befragungsumfeldes'' ist nichts anderes, als einen Gefangenen extremer Hitze oder Kälte, permanentem gleißenden Licht, Dunkelheit oder extremem Lärm auszusetzen und die „Anpassung der Schlafgewohnheiten" ist eine beschönigende Bezeichnungen für ständiges Wecken des Gefangenen. Alles bekannte Foltermethoden, die keine sichtbaren Spuren bei dem Opfer hinterlassen.

Ein zentrales Element bei der Inhaftierungspolitik der USA im „Krieg gegen den Terror" ist das Bemühen, nicht nur die Anwendung des Völkerrechts und jede Überprüfung aus dem Ausland zu verhindern, sondern auch die Kontrolle durch die eigenen Gerichte zu verhindern und somit einen rechtsfreien Raum zu schaffen. Die Regierung hat ganz bewusst ein Haftzentrum auf dem Marinestützpunkt Guantanamo Bay ausgewählt, weil sie davon ausging, dass dieser nicht der Rechtsprechung der US-Gerichte unterstehen würde.

Neben den für ihre massiven Menschenrechtsverletzungen bekannten und unter öffentlicher Kritik stehenden Haftlager auf Guantanamo Bay, in Bagram/Afghanistan und Abu Ghraib/Irak unterhält der US-Geheimdienst CIA eine Reihe von geheimen Haftzentren, die sogenannten „black sites". Berichten zufolge existieren bzw. existierten solche Gefangenenlager in Afghanistan, Irak, Jordanien, Pakistan, Thailand, Usbekistan und an weiteren nicht bekannten Orten, auch in Europa. Diese Art der geheimen Haft erfüllt den Tatbestand des Verschwindenlassens und öffnet Folter und Misshandlung Tür und Tor, da eine unabhängige Kontrolle nicht möglich ist. Zudem werden Terrorverdächtige durch die CIA verschleppt und an Staaten überstellt, die von den USA sonst wegen Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen kritisiert werden.

Zwar hat die US-Regierung mittlerweile unter erheblichem Druck verkündet, die VN-Antifolterkonvention gelte „für US-Personal, wo immer es sich aufhält, in den USA oder im Ausland". Auch Präsident Bush hat schließlich seinen Widerstand gegen ein Gesetz aufgegeben, das Folter und Misshandlung auch im Ausland verbietet und auch den Geheimdiensten untersagt. Dabei hat er sich jedoch augenscheinlich eine juristische Hintertür offen gehalten, wie ein nachträglich öffentlich gewordenes „Statement des Präsidenten" verdeutlicht. Aus diesem wird offenbar, dass sich die Regierung mit Blick auf das Antifoltergesetz einen nicht überprüfbaren Interpretationsspielraum zubilligt.

Die Erosion des Folterverbotes in Großbritannien

Aber nicht nur in den viel kritisierten USA wird das Folterverbot in Frage gestellt. Auch in Europa ist die Erosion dieses grundlegenden Menschenrechtes zu beobachten. Insbesondere in Großbritannien opfert die Regierung das Folterverbot einem vermeintlichen Mehr an Sicherheit.

So intervenierte Großbritannien in dem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängigen Fall „Ramzy gegen die Niederlande". Während die niederländische Regierung die Auffassung vertritt, Ramzy könne nach Algerien abgeschoben werden, weil ihm dort nach ihrer Einschätzung tatsächlich keine Folter droht, möchte Großbritannien erreichen, dass der EGMR sich zu einer Rechtsprechung durchringt, die eine Abwägung zwischen Folterverbot und staatlichen ·sicherheitsinteressen vornimmt.

Weiterhin will die britische Regierung etwa auf Grundlage von sogenannten diplomatischen Zusicherungen (diplomatic assurances) Personen in Länder abschieben, in denen ihnen Folter droht. In diesen Vereinbarungen verpflichten sich die Zielstaaten, in Einzelfällen, in denen eine Abschiebung aus Großbritannien erfolgt, keine Folter und Misshandlungen an der Person vorzunehmen. Geschlossen wurden solche Vereinbarungen bislang mit Jordanien, Libyen und Libanon - Staaten, in denen Folter und Misshandlung an der Tagesordnung sind.

Die britische Regierung versuchte darüber hinaus durchzusetzen, dass „Beweismittel", die unter Folter entstanden sind, verwendet werden dürfen. Im Oktober 2003 hatte dies die Special Immigration Appeals Commission (SIAC) in einem Verfahren nach AntiTerrorism, Crime and Security Act 2001 (ATCSA) entschieden. Der Court of Appeal, das zweithöchste Gericht, konkretisierte - unter Zustimmung der britischen Regierung - im August 2004 die Ausführungen der SIAC unter Folter erwirkte „Beweismittel" seien dann zulässig, wenn sie nicht direkt durch britische Agenten oder unter Beteiligung britischer Agenten erwirkt worden seien. Erst die Law Lords; die obersten Richter Großbritanniens, entschieden im Dezember 2005, dass „Foltergeständnisse" in Gerichtsverfahren nicht zulässig sind, und geboten so dem offenen Völkerrechtsbruch Einhalt.

Die Diskussion um die Verwendung von Foltergeständnissen zur Gefahrenabwehr in Deutschland

Aber auch in Deutschland ist das absolute Folterverbot nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Zwar distanzieren sich Regierung und Parlament von den beschriebenen Beispielen der Aufweichung des Folterverbots anderer Länder und bekennen sich lautstark zum absoluten Folterverbot. Doch gibt es immer wieder Situationen und Konstellationen, in denen auch deutsche Regierungsmitglieder, Parlamentarier und Bürger der Versuchung nicht widerstehen können, doch „nur ein bisschen Folter" zuzulassen.

Ausgelöst durch den Fall Daschner entbrannte eine öffentliche Diskussion, ob Folter in extremen Ausnahmesituationen zulässig sein sollte. In der juristischen Fachliteratur mehren sich die Stimmen, die angesichts einer vermeintlich veränderten Sicherheitslage und indem sie das Ticking-bomb-Szenario heraufbeschwören, die Anwendung von Folter und Misshandlung nicht mehr ausschließen wollen.

Ganz aktuell ist nun die Debatte um die Verwendung von Informationen zur Gefahrenabwehr entbrannt, die möglicherweise unter Folter zustande gekommen sind. Verschiedene deutsche Regierungsmitglieder haben betont, dass im Rahmen der Terrorismusbekämpfung auch solche Erkenntnisse genutzt werden müssten, bei denen die Gefahr besteht, dass sie unter Folter erlangt worden sind. Verwendbar sollen Informationen derart zweifelhaften Ursprungs zwar nicht im Strafverfahren sein, wohl aber als Grundlage weiterer Ermittlungen oder im Rahmen der Gefahrenabwehr. Im Ergebnis würden die deutschen Sicherheitsbehörden damit zu „Profiteuren der Folter". Der Folter wird damit bewusst oder unbewusst Vorschub geleistet und das auch von der Regierung so versicherte absolute Folterverbot aufgeweicht.

Gerade in Deutschland resultiert das absolute Verbot der Folter auch aus den historischen Erfahrungen, die wir während des Nationalsozialismus sammeln mussten. Dass diese Erfahrung eine Lehre für die Gegenwart sein muss, scheint in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich zu sein.

Die Bundesregierung muss die von ihr selbst betonten menschenrechtlichen Verpflichtungen ernst nehmen. Dies gilt für die Beachtung der Menschenrechte in Deutschland, umfasst aber auch das Einfordern der Wahrung der Menschenrechte von anderen Staaten, insbesondere auch von den europäischen Partnerländern und Regierungen, mit denen Deutschland freundschaftlich verbunden ist. Nur eine gemeinsame Anti-Terror-Politik auf der Grundlage der Menschenrechte und der völkerrechtlichen Grundsätze kann zu dem Ziel führen, dass Menschen in Freiheit und Sicherheit zusammenleben.

Eine Politik, die Sicherheit auf Kosten der Menschenrechte erreichen will, geht fehl. Sie höhlt den Rechtsstaat aus, den sie zu verteidigen vorgibt. Der Einsatz für die Menschenrechte ist daher wichtiger denn je - gerade in schwierigen Zeiten.

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