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Der Ruf nach den Vereinten Nationen
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Es dauerte gut sechs Monate, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, daß eine europäische Lösung des Jugoslawienkonfliktes nicht möglich war und im Januar 1992 der Ruf nach der UNO erscholl. Kostbare Monate, in denen Zehntausende Opfer eines immer brutaleren Krieges wurden. Bei einem früheren Eingreifen der UNO hätte ein Großteil dieser Leiden vielleicht vermieden werden können. Das gilt für die inzwischen zumindest vorübergehend eingestellten bewaffneten Auseinanderdersetzungen in Kroatien wie für den Krieg in Bosnien-Herzegowina. Schon im Juni 1991 hatte der bosnische Präsident die UNO - vergeblich - um die Bereitstellung einer Friedenstruppe ersucht, die als Puffer an den Grenzen zu Serbien aufgestellt werden sollte.
Der Beschluß des UN-Sicherheitsrates zur Entsendung von 14.000 UNO-Soldaten nach Kroatien Ende Januar 1992 kam nicht nur zu spät, er wurde auch viel zu langsam umgesetzt. Es dauerte fast fünf Monate, bis alle Soldaten der UNO-Blauhelmtruppe UNPROFOR (United Nations Protection Force) an ihrem Bestimmungsort waren. Hierfür war vor allem die katastrophale finanzielle Lage der UNO verantwortlich. Der UNO fehlten Anfang August 1992 rund 1,75 Milliarden DM an Pflichtbeiträgen, davon 844 Mill. für Friedensmissionen. 164 der 179 Mitgliedstaaten - unter ihnen die BR Deutschland - waren zu diesem Zeitpunkt mit ihren Zahlungen für das laufende Jahr im Rückstand, viele sogar noch für 1991. Die mit weitem Abstand größte Summe schuldeten die USA: allein 555 Mio US-Dollar für den laufenden Jahreshaushalt. Dazu kamen Außenstände in Millionenhöhe beim Budget für die Friedensmissionen. Zwar litt die UNO auch schon in vergangenen Jahren unter Finanzschwierigkeiten. Doch noch nie war das Defizit nach sieben Haushaltsmonaten so groß wie 1992.
Die Entsendung einer zunächst nur 1.500 Mann starken UNO-Truppe nach Bosnien-Herzegowina ab Mai dieses Jahres erwies sich als völlig unzureichende Maßnahme. Doch obwohl darüber unter den Beobachtern vor Ort schon nach wenigen Wochen Konsens herrschte, beschloß der Sicherheitsrat erst im August eine Aufstockung auf 8.000 Mann.
Zu enges Mandat
Als viel zu eng erwies sich nicht nur die geographische Begrenzung der UNPROFOR, so der Name der UN-Blauhelmtruppe, auf wenige Gebiete Bosnien-Herzegowinas, sondern auch das auf die Begleitung und Sicherung von humanitären Hilfsleistungen beschränkte Mandat dieser UNO-Truppe. Deutliche Kritik an dieser Beschränkung findet sich in dem am 28. August vorgelegten ersten Bericht des UNO-Sonderbeauftragten für die Menschenrechtssituation im ehemaligen Jugoslawien, Tadeusz Mazowiecki. Bei seiner ersten Erkundungsmission traf der ehemalige polnische Ministerpräsident fast nur auf "völlig frustrierte" UN-Soldaten. "Bei schweren Menschenrechtsverletzungen müssen wir untätig daneben stehen und dürfen nicht eingreifen, selbst wenn sie direkt vor unseren Augen geschehen", zitiert Mazowiecki den Kommandeur einer UNO-Einheit. Unter anderem forderte Mazowiecki, daß die UNO-Soldaten "jederzeit und ungehindert" alle von den verschiedenen Kriegsparteien unterhaltenen Internierungslager betreten dürften.
Als weiteres, politisch bedeutsames Defizit der UNO im Jugoslawienkonflikt erwies sich - wie bereits in der Golfkrise - ihre Unfähigkeit, die Einhaltung und die Auswirkungen der vom Sicherheitsrat verhängten Wirtschaftssanktionen mit eigenen, unabhängigen Instrumenten durchzusetzen und zu überwachen. Das ist deshalb von erheblicher Bedeutung auch für zukünftige Konflikte, weil - ebenfalls wie in der Golfkrise - diese Unfähigkeit der UNO der Behauptung Vorschub leistet, mit dem nichtmilitärischen Druckmittel wirtschaftlicher Sanktionen lasse sich prinzipiell nichts erreichen.
Wirkungslose Sanktionen
Die vom UNO-Sicherheitsrat im Mai 92 gegen Rest-Jugoslawien verhängten Sanktionen waren bis Anfang September kaum umgesetzt und hatten nur geringe Auswirkungen. Das gilt in noch stärkerem Maße für die von den EG-Außenministern bereits Anfang Dezember 91 beschlossenen wirtschaftlichen Druckmaßnahmen. Zwar kam es in Rest-Jugoslawien im Laufe des Sommers zu Engpässen bei einigen Konsumprodukten. Aber Öl, Waffen, Munition und andere für die Kriegsführung unerlässliche strategische Güter gelangten nach wie vor in ausreichender Menge nach Serbien und an die in Bosnien-Herzegowina kämpfenden serbischen Truppen. Am Bruch der Sanktionen beteiligten sich neben Rumänien und Bulgarien vor allem das NATO-und EG-Mitgliedland Griechenland, aber - weitgehend unbehelligt von den jeweiligen Regierungen - auch zahlreiche Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland und anderer westeuropäischer Staaten.
Im Jugoslawienkonflikt wie in der Golfkrise überließ es der UNO-Sicherheitsrat bis November '92 anderen, die Einhaltung von ihm beschlossener Wirtschaftssanktionen zu überwachen, Kriterien zur Bemessung ihrer Wirksamkeit festzulegen und die Auswirkungen dann auch öffentlich bekanntzugeben. Damit gab er die Kontrolle über das zentrale nichtmilitärische Druckinstrument aus der Hand und überließ es der Manipulation durch nationale Interessen. Zu Forderungen nach einer Reform der UNO, die tatsächlich auf eine Verbesserung ihrer Handlungsfähigkeit abzielen und nicht nur darauf, etwa Deutschland oder Japan einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu verschaffen, gehört an vorderster Stelle, diese Kompetenz politisch und von den notwenigen Mitteln her wieder eindeutig beim Sicherheitsrat anzusiedeln.
Keine Grenzveränderungen
Wollen UNO, KSZE und EG ihre stark angeschlagene Autorität nicht noch weiter einbüßen, dann müssen sie darauf bestehen, daß gewaltsam erfolgte Veränderungen der Grenzen ausnahmslos und vollständig rückgängig gemacht und daß Vertriebene wieder in ihre Heimatorte zurückkehren dürfen. Zur Durchsetzung dieses Prinzips und zur Verhinderung weiterer großer Opfer unter der Zivilbevölkerung bedarf es möglicherweise der zeitweisen Unterstellung Bosnien-Herzegowinas oder sogar des gesamten Ex-Jugoslawiens unter ein UNO-Protektorat. Die Neuziehung von Grenzen und die Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen kann nur mit Einvernehmen aller betroffener Seiten erfolgen. Weichen UNO, KSZE und EG von diesem Prinzip ab, sanktionieren sie damit gewaltsame Grenzveränderungen und Vertreibungen bei künftigen Konflikten.
September 1992