Verstrickung von Daimler-Benz in Menschenrechtsverletzungen in Argentinien

"Deutsche Wertarbeit?"

von Wolfgang Menzel
Hintergrund
Hintergrund

Auf der diesjährigen Aktionärshauptversammlung von Daimler-Chrysler (siehe FriedensForum 3-01) sorgte die Journalistin Gaby Weber für Aufsehen. Am Ende eines engagierten Redebeitrags forderte sie Daimler-Chef Jürgen Schrempp auf, sich im Namen des Konzerns beim argentinischen Volk zu entschuldigen. In den fünf Minuten Redezeit, die ihr Versammlungsleiter Hilmar Kopper zugebilligt hatte, war es auf einmal still geworden im großen Saal des Berliner Kongresszentrums. Selbst draußen auf den Gängen und an den Verpflegungsständen verstummten die Gespräche. Die Aktionäre hörten dieser Frau aufmerksam zu und manche Jüngere trauten wohl ihren Ohren nicht. Mercedes-Manager sollen sich vor fast 25 Jahren an der Entführung ihres Kollegen Heinrich Metz in Argentinien bereichert haben. Ein Kindesräuber und Folterer soll im argentinischen Mercedes-Werk Werkschutzchef geworden sein, nachdem mindestens vierzehn Betriebsräte dieses Werkes nachts von Soldaten aus ihren Wohnungen verschleppt, gefoltert und ermordet worden waren - möglicherweise unter Duldung und sogar Beihilfe der Firmenleitung. War Daimler-Benz, heute Daimler-Chrysler, 1976/77 im Zuge des von General Videla angeführten Militärputsches an massiven Menschenrechtsverletzungen in Argentinien beteiligt?

Die Konzernleitung schweigt zerknirscht. Ihr passt überhaupt nicht ins Konzept, dass ausgerechnet jetzt, wo sich der Konzern um eine Art Gütesiegel für die erfolgreiche Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards bemüht, eine aus Südamerika angereiste Journalistin den Mantel des Schweigens von einem Vorgang reißt, der ein Vierteljahrhundert zurückliegt, eigentlich schon Geschichte ist.

Diese Geschichte der jahrzehntelangen Unterdrückung von "Gerechtigkeit und Wahrheit" durch den Stuttgarter Weltkonzern erzählt Gaby Weber ausführlich in ihrem jetzt erschienenen Buch "Die Verschwundenen von Mercedes-Benz". Es ist auch die Geschichte einer vorbildlichen journalistischen Recherche, eines investigativen Journalismus, wie er selten geworden ist heutzutage. Und Gaby Weber hat nicht nur am Mikrofon und auf dem Bildschirm Ausstrahlung - sie kann auch spannend erzählen. Das Buch liest sich, trotz gelegentlicher, der Vollständigkeit und besseren Verständlichkeit geschuldeteter Redundanzen, wie ein Polit-Krimi. Denn der Fall "Mercedes-Benz Argentinien" hat es in sich: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg ermittelt zurzeit gegen Daimler-Chrysler - wegen Beihilfe zum Mord.
Auf die Causa Mercedes-Benz stieß Gaby Weber eher zufällig. Sie hatte sich die Aufgabe gestellt, die Komplizenschaft von Wirtschaft und Diktatur an einem konkreten Beispiel zu recherchieren. Auslöser war der im Namen der Menschenrechte unter Beteiligung der Bundesrepublik geführte Nato-Krieg gegen Jugoslawien. In Südamerika galt die Bundesrepublik Deutschland nicht gerade als Verfechter der Menschenrechte, geschweige denn als ein natürlicher Verbündeter der um ihre Rechte kämpfenden Unterdrückten, der Arbeiter und der ausgebeuteten Landbevölkerung. Die Bundesregierung und die deutschen Wirtschaftsunternehmen galten vielmehr als bester Freund und Helfer der diversen Militärdiktaturen auf diesem Kontinent - immer an der Seite der USA und auf Seiten derjenigen, die die Menschenrechte missachteten. Wie steht die rot-grüne Bundesregierung zu diesem Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte? Gilt auch hier Joschka Fischers Diktum von der "Wahrung der Kontinuität deutscher Außenpolitik"? Erst kürzlich hat Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin im Hinblick auf die Morde an linken Oppositionellen deutscher Staatsbürgerschaft in Argentinien zwischen 1976 und 1983 den Angehörigen der Opfer versichert: "Ich teile Ihre Forderung nach Wahrheit und Gerechtigkeit". Mit ihren nun in Buchform vorgelegten Rechercheergebnissen ermöglicht es Gaby Weber der deutschen und der argentinischen Justiz, die Umstände der Verschleppung von 14 Mercedes-Benz-Betriebsräten in Zusammenhang mit der Entführung des Daimler-Managers Heinrich Metz durch die Guerilla aufzuklären.

Nur einer der Verschleppten, Héctor Ratto, hat überlebt, alle anderen tauchten nie wieder auf. Ihnen erging es wie rund 30.000 anderen ermordeten Regimegegnern jener Jahre: Ihre Leichen wurden von Flugzeugen über dem Meer abgeworfen oder irgendwo verscharrt. Warum traf es ausgerechnet die Mercedes-Betriebsräte und nicht die benachbarter Firmen wie Ford? Kein einziger internierter Ford-Betriebsrat ist ermordet worden. Alle Indizien sprechen dafür, dass Mercedes-Benz die Privatadressen seiner gewerkschaftlich stark links engagierten Mitarbeiter an die Militärs weitergegeben hat, ja einzelne regelrecht denunziert hat. Ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Firmenleitung sehr genau wusste, dass die fehlenden Mitarbeiter nicht einfach der Arbeit ferngeblieben, in den Untergrund oder ins Exil gegangen, sondern in den Folterkammern der Militärs auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren: Sie zahlte den Witwen zehn Jahre lang eine Art Schweigegeld in Form des Lohns der untersten Gehaltsgruppe.

Den Militärs ging es damals um die Zerschlagung der linken Gewerkschaftsbewegung. Erklärtes Ziel des Videla-Putsches war die Durchsetzung eines Wirtschaftssystems, das die nationalen Reichtümer umverteilt und das den Interessen der internationalen Konzerne nützt. Argentinien sollte in einen Agrarstaat verwandelt werden. Dieses Ziel wurde weitgehend erreicht, die damaligen Menschenrechtsverletzungen blieben ungesühnt, Amnestiegesetze verhindern noch heute eine strafrechtliche Verfolgung der Morde. An einer kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit besteht in Argentinien selbst wenig Interesse. Daimler-Chrysler profitiert heute noch von den Folgen dieser mit brutaler Gewalt durchgesetzten Politik. Verdienten in den 70er-Jahren Mercedes-Arbeiter überdurchschnittlich gut, so musste die Belegschaft in den 90er-Jahren Lohnkürzungen hinnehmen. Statt wie früher 4.000 beschäftigt Daimler heute nur noch 1.200 Arbeiter im Werk Gonzalez Catan, wo jetzt Sprinter-Transporter zusammengeschraubt werden. Die arbeitgeberfreundliche, rechte Gewerkschaft SMATA hat seit dem Militärputsch bei Mercedes-Argentina das Heft in der Hand.

"Die Verschwundenen von Mercedes-Benz" ist ein hervorragend recherchiertes, spannendes, mit viel politischem und historischem Sachverstand geschriebenes Buch. Die Autorin Gaby Weber fordert damit erneut, wie schon in ihren Hörfunksendungen zum gleichen Thema oder bei ihrem Auftritt auf der Aktionärsversammlung, "Wahrheit und Gerechtigkeit" ein. Diesem wichtigen Buch ist eine große öffentliche Wirkung zu wünschen.

Gaby Weber, Die Verschwundenen von Mercedes-Benz, Assoziation A Berlin, Hamburg, Göttingen 2001, 128 Seiten, 19,80 DM
 

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