Die Aktualität des "Die Waffen nieder!"

von Christa Thierig

Genau 100 Jahre nach Erscheinen des Romans "Die Waffen niederl" von Bertha von Suttner veranstaltete die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegnerlnnen am 11./12.11.1989 in Essen einen Schriftstellerinnenkongreß. Die Teilnehmerinnen diskutierten die heutige Bedeutung des Werkes in Zusammenhang mit spezifischen Problemen von Frauen in Politik und Gesellschaft.

Angesichts der neuesten Entwicklungen in der DDR, der neuen Außenpolitik Gorbatschows, der Kontakte zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion, des Vertrages über den Abbau von Raketen kürzerer und mittlerer Reichweite, angesichts der offensichtlich zurückgegangenen Gefahr des Ausbruchs eines Krieges - ist die Forderung "Die Waffen nieder" denn überhaupt noch aktuell?

Trotz der erwähnten, Hoffnung schaffenden Entwicklungen geht die Hochrüstung weiter, als habe sich nichts geändert. Die NATO bleibt bei der militärischen Abschreckung und beharrt auf dem Beschluß, alle Atomwaffen zu modernisieren. Atomsprengköpfe werden in den USA durch solche mit zwanzigfacher Sprengkraft ersetzt. Weil dabei die Gesamtzahl der Sprengköpfe vermindert wird, nennt man das dann "Abrüstung". Und - nicht zuletzt - die Bundeswehr hält am Milliardenprojekt Jäger 90, diesem gigantischen Rüstungsplan fest.

Die Rüstung geht weiter. Schon Bertha von Suttner spricht vom "Rüstungskrieg". Dieser Rüstungskrieg bedeutet Hunger und Tod in der dritten Welt, sinnlose Vergeudung von Intelligenz und Ressourcen weltweit. Rüstungsproduktion ist zerstörerisch für Menschen und Umwelt. Und trotzdem wird die Gefahr, die von der Rüstung ausgeht, von vielen verdrängt. Der Grund ist sicherlich, daß so viele andere Probleme im Vordergrund des Bewußtseins stehen, die jedes für sich ebenfalls das "Aus" für unseren Planeten bedeuten können. Sie seien hier nur genannt: Umweltzerstörung, Hunger, Massenarbeitslosigkeit.

"Das Ganze ist ein Kampf zwischen alter Institution und neuem Geist. Auf welcher Seite der Sieg bleiben wird, kann nicht zweifelhaft sein; es handelt sich um die Frage: wann wird der neue Geist sich neue Formen geschaffen haben? Das hängt von der Kraft und Anzahl und der Willenseinigkeit der Neubildner ab." (Bertha von Suttner, 1894)

Es muß viele unterschiedliche Neubildner geben, und ihre Willenseinigkeit besteht darin, daß die Dringlichkeit der Probleme, aber auch ihre Interdependenz erkannt wird. Wir sehen den Zusammenhang zwischen Rüstung und Sozialabbau, zwischen Militäraktivitäten und Umweltzerstörung, zwischen Rüstungsausgaben und Hunger in der Welt.

Abrüstung hat darum besonderes Gewicht.

"Die Waffen nieder" bedeutet für uns Frauen in der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegnerlnnen aber wesentlich mehr.

Weit über die politische Bedeutung ihrer Friedensarbeit hinaus verkörpert Bertha von Suttner die Vorstellungen, die für uns Frauen mit dem politischen Pazifismus verbunden sind.

Das sind drei Elemente:

  • Emanzipation
  • Ganzheitlichkeit des Menschen
  • und kulturelle Betätigung.

Bertha von Suttner entwickelte sich aus dem jungen Mädchen, das doch "eine rechte Null" war, wie sie selbst sagte, zur Friedenskämpferin, zu einer pazifistischen Persönlichkeit. Sie emanzipierte sich nicht nur von den politischen Vorstellungen ihrer Gesellschaft, sondern auch als Frau. Ihren Beitrag in der Geschichte der Friedenspolitik konnte sie so nur leisten, weil sie eine Frau war, äußerlich eingeengt durch männliche Vorurteile und Ignoranz, doch innerlich frei von Zwängen, denen Männer unterliegen: Prestige - militärisches Denken; Zwänge, die ihr die Sicht und Orientierung auf das "Wichtige" (Bertha von Suttner) hätten verstellen können.

Auch der Anspruch der Ganzheitlichkeit des Menschen wird von ihr gestellt: „Desto besser, wenn sich auch der Verstand gegen den Krieg auflehnt, aber unterdrücken wir darum nicht die Empörung unserer Herzen. Nicht nur das Denken und Schlußfolgern zeugt von unseren Seelenkräften, sondern auch das Fühlen. Klar und scharf sollen unsere Gedanken sein, warm und edel die Gefühle - erst so ist die volle Menschenwürde erreicht...Leidenschaft brauchen wir, um zu handeln und zu wirken, nur Leidenschaft reißt hin." So schreibt Bertha von Suttner an den Frauenbund der DFG 1914 als 71-jährige!

Die erste große Tat für den Friedenskampf Bertha von Suttner's war eine kulturelle Tat, das Schreiben eines Buches.

"Kunst sei gleichbedeutend mit Humanität" läßt Peter Weiß in "Ästhetik des Widerstands" Hodann sagen, "denn ohne diese Teilnahme am Leben, an diesem ständigen Kampf gegen die Selbstaufgabe, ohne diesen Drang, die Situation von immer wieder neuen Gesichtspunkten aus zu erhellen, ließe sich die weittragende Wirkung der Kunst nicht verstehen. Die Antworten der Kunst seien immer ungeheuerlich gewesen, denn, als einzige, wagten sie es, die Thesen der Zeit zu widerlegen..."

Die humane Zukunft, für die wir uns engagieren, ist eine Utopie. Doch in unserem politischen Alltag nehmen wir Elemente dieser Utopie auf und verwirklichen sie wenigstens ansatzweise:

Frieden, z.B. durch Verweigerung von Kriegsdiensten und Entwicklung von Toleranz und Respekt untereinander; Emanzipation, um unserer Sensibilität Raum und unserer Weise, Politik zu machen, Geltung zu verschaffen; Einheit von Politik und Moral und kulturelle Betätigung im weitesten Sinne.

Daraus schöpfen wir unsere Kraft.

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Christa Thierig ist Mitglied der DFG-VK.