Sudanesische Jugendliche gehen für demokratischen Wandel auf die Straße

„Die Barriere der Angst brechen“

von Zara Amal
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Am 30.1. und 3.2. 2011 protestierten Hunderte sudanesischer Jugendlicher auf den Straßen von Khartoum, El Obeid und weiteren Städten im Nordsudan. Sie gaben damit ihrer Sorge Ausdruck, dass nach der Abspaltung des Südens der ohnehin geringe Raum der Zivilgesellschaft weiter verengt und es verstärkt zu Menschenrechtsverletzungen kommen werde. Die Proteste waren auch Ausdruck ihrer Wut über von der als korrupt angesehenen Regierung veranlassten Preissteigerungen auf Alltagsgüter. Die Regierung hatte angesichts einer wirtschaftlichen Krise Subventionen auf Güter wie Benzin, Zucker und andere Lebensmittel aufgehoben, was bereits seit Wochen sporadische Proteste zur Folge hatte.

Inspiriert sind die Proteste auch durch die gewaltfreien Revolutionen in Tunesien und Ägypten. Die Demonstrationen wurden jedoch von der Polizei gewaltsam niedergeschlagen und über 70 Protestierende verhaftet. Einige von ihnen sind bis heute (Stand 15.2.) in Haft, teils in inoffiziellen Gefängnissen unter akuter Foltergefahr, darunter auch die Kinder von Oppositionspolitikern. Am 11. und 13.2. forderten die Mütter der Inhaftierten laut „Sudan Tribune“ im Rahmen einer Mahnwache sowie einer Petitionsübergabe an die Sicherheitskräfte faire Gerichtsverfahren oder deren Freilassung. Einige der Frauen wurden am 11.2. daraufhin ebenfalls verhaftet und anschließend in verschiedenen Stadtteilen wieder ausgesetzt. Dutzende Journalisten demonstrierten zudem am 13.2. vor dem Nationalkonzil für Presse und Publikationen für Pressefreiheit und die Freilassung von 8 Journalisten der Zeitschrift „Al Maidan“ von der kommunistischen Partei.

Die SudanesInnen haben bereits 1964 und 1985 durch gewaltfreie Massenproteste diktatorische Regime gestürzt. Während der gewaltsame Tod des Studenten Qureishi 1964 die Proteste erst richtig ins Rollen brachte, blieb ein breiter Aufschrei nach dem Tod des Studenten Mohamed Abdelrahman von der Al Ahlia Universität, der seinen am 30.1. durch Polizeigewalt zugefügten Verletzungen erlag, aus. Auch die vorangegangene Selbstverbrennung des AlAmin Musa in Omdurman am 24.1., die offensichtlich von der Tat des Tunesiers Mohamed Bouazizi inspiriert war, löste im Sudan keine Massenproteste aus.

Dies mag zum Einen daran liegen, dass Angst und Apathie im Nordsudan momentan zu groß sind, auch angesichts der Teilung des Landes und der damit verbundenen Schwächung der Opposition. Anders als bei den früheren Revolutionen ist die Überwachung und Kontrolle durch die Sicherheitskräfte des Staates heute ungleich stärker. Es gibt keine großen unabhängigen Gewerkschaften und kaum Organisationsstrukturen, die eine breite Bewegung, einschließlich der marginalisierten Bevölkerungsgruppen, mobilisieren könnten. Doch nur so könnte ein wirklicher Wandel stattfinden, der nicht nur einen oberflächlichen Machtwechsel zwischen altbekannten Herren der Politikerkaste bedeuten würde. Trotz neuer Zusammenschlüsse in einem Bündnis der „nationalen Konsenskräfte“ gelten die Oppositionsparteien als zersplittert und haben bisher die Demonstrationen nicht direkt unterstützt. Sie schlossen dies allerdings nicht aus, sollte die Regierung ihren Forderungen nach einer verfassunggebenden Konferenz, Neuwahlen und der Lösung des Darfur-Konfliktes nicht nachkommen.

Letztlich mag es die relative Alternativlosigkeit und der Mangel an konkreten Visionen in einem komplexen und von gewaltsamen Konflikten geprägten Land sein, die den Funken (noch) nicht in die Breite überspringen lassen. Die „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen der nordsudanesischen Regierung und den USA, als „Belohnung“ für die Akzeptanz der Abspaltung des Südsudan, stützt zudem das ansonsten geschwächte Regime. In den internationalen Medien wird der Nordsudan von der Berichterstattung über Ägypten und dem neuen Staat Südsudan überschattet.

Doch die jugendlichen AktivistInnen bleiben aktiv. Zu den Demonstrationen hatten verschiedene Gruppen in sozialen Medien wie Facebook aufgerufen (http://www.facebook.com/event.php?eid=166512193395282; www.girifna.com). Sie nutzen auch digitale Berichterstattungsmethoden wie „Crowdmap“ (http://jan30sudan.crowdmap.com/main), die in einem hochgradig zensierten Medienkontext wie Sudan eine Möglichkeit bieten, schnell und übersichtlich die Ereignisse für die Öffentlichkeit aufzuzeichnen. Während sich Gruppen wie „Spark“ und „Youth for Change“ erst kürzlich gegründet haben, sind die AktivistInnen von „Girifna“ („Wir haben genug“) schon seit 2010 vor den sudanesischen Wahlen aktiv. Sie haben mit ihren orangenen Flugblättern und Straßenaktionen bereits erreicht, dass zumindest unter den Jugendlichen ein Stück der Angst und Apathie gewichen sind.

Währenddessen ruft Präsident Bashir seine Anhänger auf, sich auf Facebook und anderen sozialen Medien gegen die Protestierenden einzusetzen. Bashir argumentiert, dass Mubaraks Loyalität zum Westen - nicht Unterdrückung, Korruption und Menschenrechtsverletzungen - dessen Sturz begründen. Er hat bereits angekündigt, nach der Unabhängigkeit des Südsudan die Gesetzgebung anhand der Scharia zu verschärfen.

Auch dies mag letztlich dazu beitragen, dass der Leidensdruck und die Wut doch noch die Menschen auf die Straße bringt. Kurz nach der Bekanntgabe des Rücktritts des ägyptischen Präsidenten Mubarak war auf der Internetseite von Girifna zu lesen: „Sudan - Die Freiheit ist gleich um die Ecke“.

Hinweis: Es gibt ein sehr beeindruckendes Video einer jungen Frau, die bei Girifna aktiv ist und von Sicherheitskräften vergewaltigt wurde - und die den Mut hat, ihre Geschichte zu veröffentlichen: http://www.girifna.com/blog-girifna/?p=2602

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Zara Amal arbeitet im Sudan.