Bewegung für einen gerechten Frieden

Die israelische Friedensbewegung

von Dr. Shir Hever
Schwerpunkt
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Die Ursprünge der israelischen Friedensbewegung liegen vor der Staatsgründung. Die Gruppe Brit Shalom (Friedensallianz) wurde 1925 von jüdischen Intellektuellen gegründet. Ihr Appell, eine binationale Demokratie in Palästina zu errichten, wurde von den etablierten zionistischen Parteien ignoriert.

Es folgten vierzig Jahre mit einer sehr kleinen israelischen Friedensbewegung, weil die Öffentlichkeit das Narrativ der israelischen Regierung akzeptierte, dass die israelische Regierung Frieden mit ihren arabischen Nachbarn wolle, aber die Araber*innen sich weigerten. 1967 eroberten die israelischen Streitkräfte große Gebiete. 1971 bot Ägypten an, mit Israel Frieden zu schließen. Im Gegenzug sollten die israelischen Streitkräfte von der besetzten Sinai-Halbinsel abziehen, worauf Verteidigungsminister Moshe Dayan antwortete: „Lieber Sharem A-Sheikh (Stadt auf der Sinai-Halbinsel, Anm. d.Red.) ohne Frieden, als Frieden ohne Sharem A-Sheikh". Der Mythos, dass die israelische Regierung Frieden wolle, brach.
Erst nach der  Invasion 1982 in den Libanon, die in den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Chatilla gipfelte, und nach dem Ausbruch der ersten Intifada 1987 in den besetzten palästinensischen Gebieten entstand in der israelischen Gesellschaft eine massive Friedensbewegung. Zahlreiche Gruppen protestierten gegen die Besetzung. Peace Now ist die bekannteste dieser Gruppen.
Das so genannte „Friedenslager" war fast ausschließlich jüdisch, denn die palästinensischen Bürger*innen Israels fühlten sich durch die Sprache der Ausgrenzung nicht einbezogen. Wie Brit Shalom verstand sich das Friedenslager als zionistisch, links und liberal, doch im Gegensatz zu Brit Shalom strebte es eher nach Trennung als nach Binationalität.
Es war die Sehnsucht, eine westliche, europäische Enklave im Nahen Osten zu errichten, was nicht möglich war, weil ein bedeutender Teil der Bevölkerung Palästinenser*innen war. Für diese Bewegung bedeutete „Frieden", dass die Palästinenser*innen ihren eigenen Staat hinter einer geschlossenen Grenze erhielten, sodass die jüdische Bevölkerung die entscheidende Mehrheit in einem westlichen Staate bilden könnte.
Drei israelische Premierminister vertraten das Friedenslager: Yitzhak Rabin, der nicht wollte, dass das israelische Militär zu einer kolonialen Polizeitruppe korrumpiert werde, und sagte: „Wir brauchen jemanden, der für Ordnung sorgt, ohne Einmischung des Obersten Gerichtshofs und ohne B'tselem (eine radikale Menschenrechtsorganisation in Israel, Anm. d. Red.)", womit er sich auf die Palästinensische Behörde bezog. Schimon Peres, der dazu aufrief, einen „neuen Nahen Osten" zu schaffen, der auf der wirtschaftlichen Ausbeutung billiger palästinensischer Arbeitskräfte durch israelische Unternehmen beruht, und schließlich Ehud Barak, der die Wahlen 1999 mit dem Slogan „wir hier, sie dort" gewann und den Staat Israel als „Villa im Dschungel" bezeichnete.
Die israelische Rechte wies auf den inneren Widerspruch hin, Frieden mit den Palästinenser*innen anzustreben und sie gleichzeitig als unerwünschte Bevölkerung zu behandeln. Rabin wurde ermordet, und Peres wurde bei den Wahlen von Netanjahu besiegt. Barak argumentierte, dass er aufgrund seiner analytischen Ausbildung dort Erfolg haben könne, wo seine Vorgänger versagt hätten. Er unterbreitete Jassir Arafat ein „letztes Angebot" zur Beendigung des „Konflikts“ im Austausch gegen einen Halbstaat und war überrascht, als Arafat ablehnte. Die zweite Intifada begann, und das israelische Friedenslager brach zusammen.

Bewegung für einen gerechten Frieden
Die zweite Intifada bedeutete nicht nur das Ende des liberal-zionistischen Friedenslagers, sondern auch die Wiedergeburt der Bewegung für einen gerechten Frieden. Eine Bewegung, die gleiche Rechte für alle Menschen zwischen dem Fluss und dem Meer fordert. Diese Organisationen bezeichnen sich entweder als „radikale Friedensorganisationen", weil sie die Wurzeln des Kolonialismus in Frage stellen und eine Entkolonialisierung Palästinas anstreben, oder als Organisationen für einen „gerechten Frieden", d.h. einen Frieden, der auf Gerechtigkeit, Versöhnung und Wiedergutmachung beruht, und nicht auf befestigten Grenzen und Abschreckung.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem liberalen zionistischen Friedenslager und der gerechten Friedensbewegung ist die Frage der gemeinsamen Arbeit mit palästinensischen Gruppen. Während das Friedenslager „people to people" eine Trennung zwischen jüdischen und palästinensischen Gruppen anstrebte und dabei die Friedensverhandlungen imitierte, ohne jedoch die Realität zu verändern (co-existence), kämpfen in den Organisationen des gerechten Friedens Jüd*innen und Palästinenser*innen Seite an Seite für dieselben Ziele, auch bekannt als „gemeinsamer Widerstand" (co-resistance). Die meisten israelischen Gruppen für gerechten Frieden unterstützen daher den palästinensischen Aufruf zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel, bis es das Völkerrecht einhält.

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Dr. Shir Hever ist politischer Ökonom und Journalist. Er lebt in Heidelberg und arbeitet für „The Real News Network” in den USA. Hever hat an der Freien Universität Berlin in Politikwissenschaften promoviert. Publikationen: Die Politische Ökonomie der israelischen Besatzung (2010 auf Englisch, 2014 auf Deutsch erschienen) und The Privatization of Israeli Security (2017).