Dorothee Sölle ist tot

von Peter Strutynski
Am 27. April 2003 erlag die evangelische Theologin Dorothee Sölle in Göppingen (Baden Württemberg) einem Herzinfarkt. Sie hatte an einer Tagung in der nahegelegenen Evangelischen Akademie in Bad Boll teilgenommen und dort am Freitagabend über das Thema "Gott und das Glück" einen Vortrag gehalten.

Dorothee Sölle wurde 1929 in Köln geboren. Sie studierte Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaften. 1972 habilitierte sie an der Universität Köln. Von 1975 bis 1987 war sie Professorin am Union Theological Seminary in New York. Seither lebte sie als freie Schriftstellerin in Hamburg.

Von ihren zahlreichen Publikationen seien nur ein paar genannt:
 

 
      "Ein Volk ohne Vision geht zugrunde. Anmerkungen zur deutschen Gegenwart und zur nationalen Identität", 2. Aufl. 1987;
 
 
      "Es muss doch mehr als alles geben. Nachdenken über Gott", 1992;
 
 
      "Gott im Müll. Eine andere Entdeckung Lateinamerikas", 1992;
 
 
      "Leiden", 2. Aufl. 1998;
 
 
      "Träume mich, Gott! Geistliche Texte mit lästigen politischen Fragen", 2. Aufl. 1995;
 
 
      "Mutanfälle. Texte zum Umdenken", 1996;
 
 
      "Das Eis der Seele spalten. Theologie und Literatur in sprachloser Zeit", 1996;
 
 
      "Scientia und Sapientia. Wege zu einer ökofeministischen Spiritualität", 1996;
 
 
      "Gegenwind. Erinnerungen", 2. Aufl. 1999; "Erinnert euch an den Regenbogen", 1999;
 
 
      "Lieben und arbeiten. Eine Theologie der Schöpfung", 1999;
 
 
      "Mystik und Widerstand", 2. Aufl. 2000;
 
 
       
      "Jesus Christus", 2000.  
    Dorothee Sölle war Zeit ihres Lebens immer auf der Seite der Armen, Schwachen und Gedemütigten, setzte sich unermüdlich für Frieden, Abrüstung und internationale Zusammenarbeit ein, stritt gegen die Notstandsgesetze, gegen Atomraketen, gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, gegen Rüstungsexporte und - bis zuletzt - gegen die US-Kriegspolitik. Sie war jahrzehntelang fester Bestandteil der Friedensbewegung und gehörte zu den Gründungsmitglieder der deutschen Sektion von Attac.

Im Januar letzten Jahres sprach Dorothee Sölle auf einer Veranstaltung in der Reformierten Kirche Hausen zum Thema "Widerstand braucht Spiritualität - für eine Globalisierung von unten". Sie beendete ihren Vortrag mit einer Art Gebet/Gedicht, aus der ihre Auffassung von einer aufklärerischen, Partei ergreifenden und befreienden Theologie deutlich wird:

"Erneuere auch unser Herz
und gib uns den Geist der Klarheit und des Muts
denn das Gesetz des Geistes
der uns lebendig macht in Christus
hat uns befreit
von dem Gesetz der Resignation
Lehre uns die Kraft der kleinen Leute zu spüren
und keine Angst mehr zu haben
wenn wir widersprechen
Erneuere auch unser Herz
und lass uns wieder miteinander reden
lehre uns zu teilen statt zu resignieren:
das Wasser und die Luft, die Energie und die Vorräte
zeig uns, dass die Erde dir gehört
und darum schön ist

Dorothee Sölle gegen "pax americana" und Kriegsdrohung. Rede auf der Friedenskundgebung in Hamburg am 26.10.2002

"Not in our name"

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor vielen Jahrhunderten gab es einmal eine große Weltherrschaft, die sich PAX ROMANA nannte, weil sie von Rom ausging. Sie nannte sich "Frieden" und meinte damit die absolute Herrschaft über die damalige antike Welt. Das bedeutete Ausbeutung der Schätze der unterworfenen Völker, Karthago in Nordafrika wurde zerstört, weil es dort billiges Korn gab. Im Interesse der Reichen wurden die Armen zu Sklaven gemacht und das nationale Recht der Stämme und kleinen Staaten mit Füßen getreten. Es gab nur noch ein Recht, das ius romanum, nur noch einen Frieden, die pax romana, weil es nur ein imperium romanum gab. Jeder Krieg diente dieser sich für zivilisiert haltenden Welt und ihren Gewinnern.

Heute leben wir in einer vergleichbaren Welt, der PAX AMERICANA. Dieser Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von Bürgern der USA, die sich gegen diese Art von angeblichem Recht und Ausbeutungsfrieden stellen. George Bush, Junior, lässt sich zwar nicht Kaiser oder Cäsar nennen, aber er verlangt immer klarer absoluten Gehorsam und unbedingte Solidarität, um den wachsenden Wohlstand der Reichen in seinem Land zu sichern.

Das Beste, was diesem Kaiser passieren konnte, geschah am 11. September 2001. Der Terroranschlag hat ihn ermächtigt. Seine Beliebtheit verdoppelte sich. Seine Einteilung der Welt in "gut" und "böse" setzte sich in den USA zunächst durch, gemeint ist mit gut immer "gut für uns". Der Außenminister Colin Powell sagte vor kurzem, dass Präsident Bush, unabhängig von allen UNO Resolutionen "`die Autorität und das Recht` habe, ´für das amerikanische Volk und unsere Nachbarn in Selbstverteidigung zu handeln.`" (taz 19./20. 10.02) Das Völkerrecht wird umgangen.

Amerikanische Freunde von mir haben schon in den 70er Jahren ihr eigenes Land ironisch "God`s own country" genannt. Es steht Gott so nah, dass es, um nur einige Beispiele zu nennen, nie Verträge unterschrieben hat, die Atomwaffen und ihre Lieferung kontrollieren. Die Ächtung der Landminen wurde abgelehnt, ebenso wie die Kontrolle der Biowaffen, und nur konsequent, der Internationale Strafgerichtshof. All das ist, was Bush heute den "uneingeschränkten Krieg" nennt, es ist das Recht, an jedem Ort und zu jeder Zeit militärisch einzugreifen.

Seine Behauptung, dass die vom Irak ausgehende Bedrohung einen Krieg rechtfertige, ist nach Ramsey Clark, der jahrelang Justizminister der USA war und einer der schärfsten Kritiker der US-Außenpolitik, schlicht falsch. "Achtzig Prozent der militärischen Kapazitäten des Iraks wurden im Golfkrieg 1991 zerstört- das sagt das Pentagon! Neunzig Prozent der Ausrüstung, die man benötigt um Massenvernichtungswaffen herzustellen, wurden von den UN-Inspektoren während der acht Jahre dauernden Inspektionen zerstört. Der Irak war einmal militärisch stark - im Jahre 1990. Heute ist er ein schwacher Staat mit einer Bevölkerung, die unter den Sanktionen leidet. Eins von vier Kindern, die im Irak geboren werden, wiegt weniger als 2 Kilo. es hat ein schweres Leben vor sich." (Clark, Publik Forum, 2002, Nr. 19)

Hunderttausende von Amerikanern haben in den letzten Wochen gegen den Krieg protestiert. Heute werden zigtausend Demonstranten zum "Nationalen Marsch auf Washington" erwartet. "No blood for oil" konnte man in San Francisco auf den Straßen lesen, aber auch, und das gegen die Demokraten im Parlament "No vote for oil".

"Nicht in unserem Namen" ist ein Aufruf von Intellektuellen, den indessen 10.000 Menschen unterschrieben haben. Sie erklären, dass "die Exekutive langsam aber sicher Aufgaben und Funktionen an sich gerissen hat, die eigentlich in den Bereich der übrigen Regierungsinstanzen gehören. Gruppierungen können mit einem einzigen Federstrich des Präsidenten zu ´Terroristen` erklärt werden.

NOT IN OUR NAME. Wir weigern uns, mit diesen Kriegen irgendetwas zu tun zu haben". Die Gruppe beruft sich auf die großen Widerstandstraditionen in der Geschichte der USA, von den Revolten gegen die Sklaverei bis zum Vietnamkrieg.

Der israelische Schriftsteller Uri Avnery, Träger des Alternativen Nobelpreises, sagt über den Krieg gegen den Irak "Das hauptsächliche Ziel der US-amerikanischen Wirtschaft (und infolgedessen der dortigen Politik) gilt dem Öl des Kaspischen Meeres. Die Erforschung und Förderung der dortigen gigantischen Ölreichtümer - der größten der Welt - hat noch gar nicht richtig angefangen. Deren Kontrolle wird die USA in die Lage versetzen, billiges Öl auf Jahrzehnte zu kontrollieren. Bush, ein typischer Öl- Interessenvertreter, der die alternativen umweltfreundlichen Energiequellen verachtet, betrachtet dies als Hauptziel."

Das Imperium braucht Öl. Und es braucht nicht mehr Verbündete, sondern Vasallen, die zur Verfügung stehen. Wir Europäer sollten uns nicht dazu machen lassen. Verbündet sind wir mit denen, die gegen Bush und Co. aufstehen. Die USA verlangen das Recht auf einen Präventivkrieg, sie drehen das "Recht auf Verteidigung" um in "das Recht auf Selbst-Verteidigung durch präventives Handeln." (1941 berief sich Hitler gegen die Sowjetunion auf das Recht zum Präventivkrieg.) "`Dass sich kein Staat in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischt`, gehört zu den bisherigen Grundlagen des Völkerrechts. Damit ist die internationale Ordnung, wie sie sich unter der Führung der Vereinten Nationen nach dem Ende des 2. Weltkriegs entstanden war, begraben. Dass Washington die Weltherrschaft anstrebt, wurde bisher als ´primitiver Antiamerikanismus` abgewehrt. Jetzt wird dieser Anspruch von den Falken in der Bush-Administration in aller Offenheit erhoben." (Le Monde diplomatique, 11.10.2002).

NOT IN OUR NAME.
Wir sind mit dem anderen Amerika verbündet.
Der Kampf geht weiter.

Rubrik

Initiativen
Peter Strutynski, AG Friedensforschung, Kassel, ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.