Ein außergewöhnlicher Freispruch

Amtsgericht Frankfurt am Main
Im Namen des Volkes
Urteil

In der Strafsache gegen vier Personen wegen Vergehen nach §§ 240 pp.StGB hat das Amtsgericht in Frankfurt am Main in der Sitzung vom 22. Juli 2004, an der teilgenommen haben:

Richter im Amtsgericht Matzack als Strafrichter
Oberstaatsanwalt Claude als Beamter der Staatsanwaltschaft
Zu 1. Rechtanwältin NN als Verteidigerin
Zu 4. Rechtsanwalt NN als Verteidiger
Justizangestellte NN als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Die Angeklagten werden freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen.

Gründe:

(abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main wirft den Angeklagten mit Strafbefehl vom 24.02.2004 vor, am 20.03.2003 gemeinschaftlich handelnd einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben, wobei die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

Die Angeklagten sollen sich aus Protest gegen die an diesem Tag begonnene "militärische Intervention" alliierter Streitkräfte im Irak zu einer spontanen Aktion mit drei weiteren Gleichgesinnten um 18.50 Uhr auf der Okrifteler Straße am Frankfurter Flughafen vor einen Lastwagen gestellt haben, der das Flughafentor 31 passieren wollte, wodurch sie auch die Fahrer der nachfolgenden Fahrzeuge, die sich in mehreren Reihen hintereinander bis zu einer Länge von 700 Metern aufgestaut haben sollen, an der Weiterfahrt gehindert haben, was sie mit ihrer Aktion auch beabsichtigt hätten. Auf die polizeiliche Aufforderung, die Durchfahrt zu gewähren sowie auf die anschließend um 18.55 Uhr ergangene Auflösungsverfügung ihrer Spontankundgebung und auf die dreimalige Aufforderung, sich zu entfernen, hätten die Angeklagten nicht reagiert, so dass sie von Polizeibeamten zwangsweise weggetragen werden mussten.

Dies stellt ein Vergehen nach § 240 Abs. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB, dar.

II.

Das Gericht ist. nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass tatbestandlich eine vollendete Nötigung vorgelegen hat, erachtet diese jedoch mangels Verwerflichkeit für nicht strafbar.

(... Sachverhalt)

IV.

Die Angeklagten waren vom Vorwurf der Nötigung freizusprechen.

Der Angeklagte NN hatte sich, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in dubio pro reo, unmittelbar, nachdem die Gruppe sich in der Einfahrt zum Tor 31 aufgestellt hatte und bevor die Auflösungsverfügung erging, in Richtung Gehweg entfernt. Damit kann ihm eine strafbare Handlung im Sinne von § 240 StGB nicht nachgewiesen werden.

Die Angeklagten NN, NN und NN haben nach Ansicht des Gerichts dadurch, dass sie sich in die Einfahrt zu Tor 31 gestellt und diese blockiert haben und sich nach Verfügung der Versammlungsauflösung nicht unverzüglich entfernten, tatbestandlich eine Nötigung im Sinne von § 240 Abs.1 StGB begangen. Sie haben sich bewusst mit ihren Körpern auf die Fahrbahn gestellt, um ein Weiterfahren der Fahrzeugführer in das Tor 31 und heraus zu verhindern. Es hatte sich ein erheblicher Fahrzeugrückstau gebildet. Die Angeklagten haben beim Aufstellen auf die Fahrbahn und beim späteren Hinsetzen deshalb Gewalt ausgeübt, weil sie - wenn auch mit geringer - körperlicher Kraftentfaltung handelten und durch ihre Anwesenheit und durch das erste vor ihnen haltende Fahrzeug für die Opfer eine physische Zwangseinwirkung in Form eines körperlichen Hindernisses darstellten. Der BGH hat in BGH St 41,182 ff. überzeugend entschieden, dass Kraftfahrer jedenfalls dann mit Gewalt genötigt werden, wenn sie an ihrer Weiterfahrt durch vor ihnen anhaltende Fahrzeuge unüberwindlich gehindert werden. Dies stellt für die Nachfolgenden nicht nur ein psychisches sondern ein tatsächlich unüberwindbares physisches Hindernis dar. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 10.01.1995 (BVerfGE 92,1 ff.) die Auffassung vertreten, dass in einem Fall einer Blockade` nur eines einzigen Fahrzeugs das bloße Stehenbleiben auf der Fahrbahn noch keine Gewalt darstelle. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in Kenntnis der oben genannten Entscheidung des BGH in seiner Entscheidung vom 24.10.2001 (NJW 2002,1031 ff.) ausgeführt, dass Gewalt dann anzunehmen ist, wenn die Täter über die durch ihre bloße körperliche Anwesenheit verursachte psychische Wirkung hinaus eine physische Barriere errichten. Auch sah sich das Bundesverfassungsgericht nicht veranlasst, in diese Entscheidung auf die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtssprechung des BGH näher einzugehen. Dies lässt darauf schließen, dass das Bundesverfassungsgericht auch in dem vorliegenden Fall das Vorliegen von Gewalt zumindest für die Fahrzeugführer der zweiten und folgenden Reihen annehmen würde.

Diese Nötigung ist allerdings nach Auffassung des Gerichts im Sinne von § 240 Abs.2 StGB nicht rechtswidrig, da es an der hierfür erforderlichen Verwerflichkeit mangelt. Die in Absatz 1 des § 240 festgestellte Tatbestandsmäßigkeit stellt keine Indizwirkung für die Verwerflichkeit im Sinne von § 240 Abs.2 dar. Die Gewaltanwendung muss vielmehr zu dem angestrebten Zweck als eindeutig verwerflich bzw. sozialwidrig eingestuft werden. Bei dieser sogenannten Zweck-Mittel-Relation sind die wesentlichen Umstände des Einzelfalles, also Umfang, Intensität, Dauer und Auswirkung der Blockade in Bezug zu setzen zu den Freiheitsinteressen der Opfer. Hier stehen sich das grundgesetzlich gewährte Versammlungsrecht (Artikel 8 GG) und die Meinungsfreiheit (Artikel 5 GG) der Angeklagten dem Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 GG der Fahrzeuginsassen entgegen. Auch wenn die Grundrechte der Angeklagten keinen Rechtfertigungsgrund darstellen, sondern ihre Schranken in den Strafgesetzen finden, muss doch eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles vorgenommen werden. Die Angeklagten wollten mit ihrer Blockadeaktion auf ihre politische Einstellung zum Irakkrieg deutlich hinweisen. Hierbei wendeten sie sich zwar nicht an den richtigen Adressaten, der allenfalls in den Angehörigen der US-Streitkräfte bestanden hätte, sondern an Verkehrsteilnehmer, die keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten auf den Irakkrieg hatten. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass die Dauer der Blockade lediglich maximal fünf Minuten betragen hat. Die Angeklagten wurden bereits unmittelbar nachdem sie sich in der Einfahrt über die Fahrbahnbreite aufgestellt hatten, von dem Einsatzleiter angesprochen und die Versammlung wurde in sehr kurzer Zeit aufgelöst. Zwar stellt auch die fünfminütige Blockade der Einfahrt eine durchaus nennenswerte Beeinträchtigung der Verkehrsteilnehmer dar, diese ist jedoch nach Auffassung des Gerichts weder sozialwidrig noch als verwerflich zu bezeichnen. Derartige kurzfristige Verkehrsbehinderungen sind, insbesondere im Berufsverkehr und auf vielbefahrener Straße alltäglich und sind bei Abwägung sämtlicher Umstände nach Auffassung des Gerichts von den Verkehrsteilnehmern gerade noch hinzunehmen.

Eine Verurteilung der Angeklagten NN, NN und NN wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs.1 Nr. 2 Versammlungsgesetz kommt ebenfalls nicht in Betracht.

Eine Verfolgung wegen dieser Ordnungswidrigkeit kommt jedoch aufgrund bereits eingetretener Verjährung im Sinne von § 31 Abs.1 Nr.4 OWiG nicht in Betracht. Nach Eingang der Akten bei Gericht am 10.07.2003 erfolgte erst wieder eine Verjährungsunterbrechung mit Erlass der Strafbefehle am 24.02.2004. Zu diesem Zeitpunkt war die sechsmonatige Verjährungsfrist bereits abgelaufen.

Matzack
Richter im Amtsgericht Frankfurt am Main

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