Russland und die OSZE

Ein gespaltenes Verhältnis

von Bernhard Clasen

Das Tauwetter in der Sowjetunion, die Entspannung zwischen dem Westen und der Sowjetunion und der Fall der Berliner Mauer sind nicht nur auf Michael Gorbatschow zurückzuführen. Auch der KSZE-Prozess, der 1975 mit einem von 33 Staaten unterzeichneten Dokument zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa seinen Auftakt hatte und in dem sich alle Staaten Europas auf die Einhaltung gewisser Grundwerte geeinigt hatten, hat seinen Beitrag zur Entspannung zwischen Ost und West geleistet. In der Schlussakte von Helsinki hatten sich alle 33 Unterzeichnerstaaten auf die Wahrung menschenrechtlicher Prinzipien, vertrauensbildende Maßnahmen, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umweltschutz, Schutz der bürgerlichen Grundrechte und der Menschenrechte, Abbau der Spannungen zwischen West und Ost geeinigt. Mit der Schlussakte von Helsinki 1975 hatten MenschenrechtlerInnen in der Sowjetunion ein Dokument in der Hand, mit dem sie ihre eigene Regierung beim Wort nehmen konnten.

Auch nach dem 1. Januar 1995, als sich die KSZE in OSZE umbenannte und sich verstärkt der Regelung von bewaffneten Konflikten widmete, brachte sich Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion aktiv in den OSZE-Prozess ein. Russland ist in den beiden Minsk-Gruppen zur Lösung der Konflikte um Nagornij Karabach und in der Ukraine maßgeblich tätig. Und es sitzt bei den von der OSZE geführten Verhandlungen zur Beilegung des Transnistrien-Konfliktes in Moldawien mit am Tisch. Jedes Jahr steuert Russland fünf Millionen Euro zum Haushalt der OSZE bei.

Eine der ersten Einsätze der OSZE beim Versuch, in einem Konflikt zu vermitteln, war der erste Tschetschenien-Krieg, der im Herbst 1994 begonnen hatte. Hier hatte die Bevölkerung im Januar 2007 unter der Beobachtung der OSZE Aslan Maschadow zum Präsidenten der Republik gewählt.

Bei der OSZE-Mission in Tschetschenien zeigten sich bereits erste Risse in der Zusammenarbeit von Russland und der OSZE. 1998 hatte die in Tschetschenien tätige OSZE-Mission ihr Tätigkeitsfeld nach Moskau verlegen müssen. Angeblich hatte man in Tschetschenien nicht mehr deren Sicherheit garantieren können. Erst Mitte 2001 konnte die OSZE wieder zurück nach Tschetschenien, wo sie bis zum 31.12.2002 bleiben durfte.

1999: Spannungen verschärften sich
Mit dem Eingreifen der NATO in den Kosovo-Krieg im März 1999 und Putins Machtantritt 2000 verschärften sich die Spannungen zwischen Russland und anderen OSZE-Staaten. Russlands Kritik richtet sich insbesondere an das „Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte“ (ODIHR) der OSZE, dessen Aufgabe die Wahlbeobachtung in osteuropäischen Staaten ist. Während die OSZE-WahlbeobachterInnen noch in den 1990er Jahren unter Präsident Jelzin die Wahlen in Russland als fair und frei gelobt hatten, häufte sich nun die Kritik an den russischen Wahlen. So bezeichnete die OSZE die russischen Parlamentswahlen von 2003, 2007 und 2012 gleichermaßen als „unfrei und nicht fair“. Im Juli 2004 hatten Russland und weitere GUS-Staaten der OSZE vorgeworfen, mit zweierlei Maß zu messen. Russland beschuldigte das ODIHR, die Arbeit zu politisieren. 2005 drohte Russland gar mit einem Zahlungsstopp. Man sei nicht gewillt, Projekte zu finanzieren, die den Interessen des Landes zuwiderliefen, so Außenminister Lawrow. Lawrow kritisierte die Prioritätensetzung der OSZE. Die OSZE habe das Thema Menschenrechte ganz oben auf ihrer Prioritätenliste, die beiden anderen Schwerpunkte, Zusammenarbeit in der Rüstungskontrolle und wirtschaftliche Zusammenarbeit, kämen eindeutig zu kurz, so der russische Außenminister 2005.

Auch die Kritik der OSZE an Russland in anderen Bereichen häufte sich. So bemängelte die OSZE nicht aufgeklärte Morde, u.a. den an der Journalistin Anna Politkowskaja.

Heute sieht Russland den Schwerpunkt seiner Arbeit in der OSZE im Konfliktmanagement.

Nagornij Karabach
Es ist vor allem dem Verhandlungsgeschick des russischen Unterhändlers im Karabach-Konflikt, Vladimir Kasimirow, zu verdanken, dass am 5. Mai 1994 im kirgisischen Bischkek ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen wurde, das dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg mit dreißigtausend Toten ein vorläufiges Ende setzte.

Ukraine
In der mit der Regelung des Ukraine-Konfliktes betrauten Minsk-Gruppe verhandeln Russland, die Ukraine und die OSZE. Mit der Aushandlung des 13-Punkte Waffenstillstandes von Minsk im Februar 2015, „Minsk 2“, konnte ein großer Krieg verhindert werden.

Immer wieder kommt es zu Kontroversen. Einer der Streitpunkte ist die unterschiedliche Auslegung von „Minsk 2“. Während Russland auf zeitnahen Wahlen in Donezk und Lugansk besteht, eine Amnestie für die Kämpfer in beiden Regionen und einen Sonderstatuts für Donezk und Lugansk fordert, wie in „Minsk 2“ vereinbart, stellt sich Kiew auf die Position, dass Russland zuerst die Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze Kiew oder zumindest der OSZE übergeben müsse. Kiew ist gegen zeitnahe Regionalwahlen. Diese, so Kiew, müssten in Übereinstimmung mit der ukrainischen Gesetzgebung durchgeführt werden, was in der derzeitigen Situation jedoch niemand garantieren kann.

Ein weiterer Stein des Anstoßes: Russland ist darüber verärgert, dass die OSZE genau beobachtet, wieviel russisches Militär die Grenze zwischen der Ukraine und Russland passiert.

Transnistrien
Ungefähr tausend Menschen hatten 1992 in einem sechs Wochen dauernden Krieg zwischen der Zentralmacht der früheren Sowjetrepublik Moldau und dem Gebiet Transnistrien ihr Leben verloren. Derzeit arbeitet Russland in einer gemeinsamen Verhandlungskommission im sogenannten 5 + 2 Format (Moldau, Transnistrien, Ukraine, Russland, OSZE, und die EU und USA als Beobachter) an der Regelung des Transnistrien-Konfliktes mit. Derzeit sind Teile der 14. Russischen Armee in Transnistrien stationiert. Noch aus der Sowjetunion lagern hier zwanzigtausend Tonnen an Waffen und Luftwaffenbomben. Auf der Grundlage eines Abkommens zwischen Moldau und Russland von 1992 sind 1.500 russische Soldaten in Transnistrien stationiert. Seit Jahren verlangt die Republik Moldau den Abzug der russischen Truppen. Im Sommer 2011 forderte auch die parlamentarische Versammlung der OSZE den Abzug der russischen Truppen.

 

Während russische Diplomaten vom Frieden reden…
Russland hat in einigen Konflikten in der früheren Sowjetunion zur Deeskalation beigetragen. Doch Russland handelt doppelbödig. Während der russische Botschafter in der Minsk-Gruppe zur Regelung des Karabach-Konfliktes einiges tut, um eine weitere Eskalation zu vermeiden, beliefert Russland gleichzeitig beide Seiten mit tödlichen Waffen.

Russland hat in Tschetschenien 1997 die Wahlbeobachtung durch die OSZE ermöglicht – und im März 2005 haben russische Spezialeinheiten den bei diesen Wahlen gewählten Präsidenten Aslan Maschadow erschossen.

Während das „Minsk 2“ – Abkommen zur Regelung des Konfliktes in der Ukraine auch ein Verdienst Russlands ist, befinden sich bewaffnete russische Soldaten – ich habe sie mit eigenen Augen gesehen – im Donbass. Auch die Verurteilung einer ukrainischen Offizierin, Nadiia Savchenko, durch ein russisches Gericht lässt sich mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbaren.

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