Friedenskonsolidierung auf Bougainville

Eine Erfolgsgeschichte

von Volker Böge

Auf der südpazifischen Insel Bougainville, fast ein Jahrzehnt lang Schauplatz eines grausamen, von der Weltöffentlichkeit allerdings kaum wahrgenommenen internen Krieges, kann gegenwärtig eine der wenigen zeitgenössischen Erfolgsgeschichten von Friedenskonsolidierung und Staatsbildung beobachtet werden. Die Menschen dort folgen nicht vorrangig von außen kommenden Konzepten, sondern verstehen es, auf schöpferische Weise ihre eigenen traditionellen Institutionen und Verfahren in die Friedensbildungsprozesse einzubringen.

 

Krieg im Südseeparadies

Bougainville, mit rund 9000 Quadratkilometern etwa so groß wie Zypern, wurde 1975 Teil des damals aus australischer Kolonialherrschaft entlassenen unabhängigen Staates Papua-Neuguinea (PNG). Auf der Insel wurde zwischen 1988 und 1998 der bislang blutigste und längste Gewaltkonflikt im Südpazifik nach dem Zweiten Weltkrieg ausgetragen. Ihm sollen rund 20.000 der knapp 200.000 Inselbewohner zum Opfer gefallen sein. Es bekämpften sich die sezessionistische Bougainville Revolutionary Army (BRA) auf der einen Seite und die Streitkräfte der Zentralregierung Papua Neuguineas, die Papua New Guinea Defence Forces (PNGDF), unterstützt von lokalen bougainvilleanschen Hilfstruppen, den so genannten Resistance Forces, auf der anderen Seite.

Wie so viele der zeitgenössischen ,,vergessenen" Kriege war auch der Gewaltkonflikt auf Bougainville geprägt von Menschenrechtsverletzungen und Grausamkeiten, die vor allem an der Zivilbevölkerung verübt wurden. Dörfer und Kirchen wurden niedergebrannt, Menschen gefoltert und ermordet, vertrieben und beraubt. Nur relativ wenige der Kriegsopfer waren tatsächlich Kombattanten, die bei Kampfhandlungen fielen. Die große Mehrheit waren Zivilisten, Frauen und Kinder.

Ausgelöst wurde der Krieg durch ein gigantisches Bergbauprojekt, das durch Inwertsetzung der reichen Bodenschätze·der Insel (Kupfer und Gold) einem multinationalen Bergbaukonzern Profite und dem jungen Staat Papua-Neuguinea Ressourcen für die nationalstaatliche „Entwicklung" bescheren sollte. Der lokalen Bevölkerung im Minengebiet brachte es allerdings vor allem die Zerstörung der Umwelt und die Zersetzung traditionaler Lebenszusammenhänge. Aus dem Widerstand dieser Bevölkerung und der repressiven Reaktion der Staatsorgane entwickelte sich ein Konflikt, der zu einem Krieg um die Sezession der Insel vom Staatsverband Papua-Neuguineas mutierte. Der Stein des Anstoßes, die Gold- und Kupfer-Mine Panguna, wurde in einer frühen Phase des Krieges von den Aufständischen erobert und still gelegt (1989) - und das ist die Situation bis heute.

Mit Fortdauer des Krieges trugen auf Seiten der PNG-Regierung die Resistance Forces, ausgerüstet und unterstützt von den PNGDF; die Hauptlast der Kampfhandlungen gegen die BRA. Die Streitkräfte der PNG-Regierung wurden massiv von Australien unterstützt; ohne diese australische Militärhilfe wären die PNGDF und die Resistance nicht in der Lage gewesen, den Krieg so lange durchzuhalten.

Weit entfernt davon, ,,nur" ein Sezessionskrieg zu sein, wurden unterhalb dieser Ebene - und auf komplizierte Weise mit ihr verbunden - eine ganze Reihe weiterer Sub-Kriege ausgetragen, die sich aus überkommenen innergesellschaftlichen Konflikten ergaben. Zum Krieg „der" Bougainvilleans gegen die „fremden" Regierungstruppen kamen Gewaltkonflikte der Bougainvilleans untereinander. Traditionale Konflikte zwischen verschiedenen Clans, die sich entweder der BRA oder der Resistance anschlossen, wurden gleichsam unter dem Dach des „großen" Krieges gewaltsam ausgetragen, was zur „Ausfransung" des Kriegsgeschehens beitrug. Die politischen und militärischen Spitzen der Konfliktparteien hatten lediglich nominell, nicht aber faktisch die Führung „ihrer" Einheiten inne.

Ein letzter. Versuch der Zentralregierung, zu einer militärischen Lösung zu gelangen, scheiterte im Frühjahr 1997 kläglich: Seinerzeit heuerte die damalige Regierung eine britisch-südafrikanische Söldnertruppe an, die von den Söldnerfirmen Sandline International und Executive Outcomes gestellt wurde, um die Panguna-Mine zurückzuerobern und die BRA zu zerschlagen. Doch Demonstrationen in der Hauptstadt Port Moresby gegen die Söldner und die Weigerung der PNGDF-Führung, mit diesen zu kooperieren, zwangen die Regierung zum Rücktritt und die Söldner außer Landes. Die nach Neuwahlen vom Juni 1997 gebildete neue Regierung sah keine Perspektive mehr in der Fortsetzung des Krieges und erklärte sich zu Verhandlungen bereit.

Waffenstillstand und Friedensabkommen
Auf Vermittlung der neuseeländischen Regierung kam es ab Juni 1997 zu einer Reihe von Gesprächen zwischen den Konfliktparteien. Hinzugezogen wurden RepräsentantInnen anderer gesellschaftlicher Kräfte aus Bougainville, die eine „dritte" Seite bildeten und der Kriegsmüdigkeit der „Basis" Ausdruck verleihen konnten: Nichtregierungsorganisationen, vor allem Kirchen- und Frauengruppen sowie traditionale Akteure wie Clanälteste und -chiefs. Im Oktober 1997 einigte man sich auf eine Waffenruhe, den so genannten Burnham Truce.

Die Erklärung zum Burnham Truce wurde nicht allein von den politischen und militärischen Spitzen der Konfliktparteien, sondern auch von VertreterInnen der Zivilgesellschaft, Kirchenleuten, Clanältesten sowie den lokalen Kommandeuren der BRA und der Resistance unterzeichnet. Das erhöhte ihre Verbindlichkeit und Implementierbarkeit. Im April 1998 wurde schließlich ein „permanenter und unwiderruflicher" Waffenstillstand verkündet, der als das Ende des Krieges gelten kann. Beendigung des Krieges bedeutet allerdings in Situationen wie auf Bougainville noch lange nicht Frieden. Vielmehr folgten nunmehr Jahre mühsamer Friedensbildung.

Ein Element hiervon war ein komplizierter, immer wieder von Verzögerungen, Rückschlägen und Unterbrechungen begleiteter Verhandlungsprozess auf der politischen Ebene. Schließlich konnte in den politischen Schlüsselfragen eine Einigung erzielt werden. Am 30. August 2001 wurde das Bougainville Peace Agreement (BPA) unterzeichnet. Es sieht vor:

  • Weitgehende politische Autonomie für Bougainville im Rahmen PNGs und seiner Verfassung und Wahlen zu einer Autonomieregierung;
  • ein Referendum über die politische Zukunft - also die Frage: Unabhängigkeit oder Verbleib bei PNG - innerhalb von 10 bis 15 Jahren nach Bildung der Autonomieregierung;
  • einen dreistufigen Prozess der Abgabe der Waffen und der Auflösung der bewaffneten Gruppierungen - verbunden mit dem Abzug der Regierungstruppen von der Insel.

In der Tat zogen sich die PNGDF völlig aus Bougainville zurück, und BRA und Resistance gaben nach und nach ihre Waffen ab. [1] Von 2002 bis 2004 arbeitete eine bougeanvilleansche Verfassungskommission an einer Autonomie-Verfassung für Bougainville; mehrere Entwürfe wurden der Bevölkerung auf Bougainville vorgelegt und von dieser breit diskutiert. Im November 2004 erfolgte die Verabschiedung der Verfassung durch eine bougainvilleansche Verfassungsgebende Versammlung, die am 15. Januar 2005 in Kraft trat. Im Mai/Juni 2005 dann fanden Wahlen für eine Autonomieregierung statt. Gewählt wurden 40 Abgeordnete eines autonomen Parlaments und ein Präsident. Dieses Amt bekleidet nunmehr Joseph Kabui. Er war in den 80er Jahren bereits einmal Chef der damaligen Provinzregierung, hatte sich dann den Sezessionisten angeschlossen und war für die BRA in maßgeblicher Position an allen Verhandlungen seit der Kriegsbeendigung beteiligt. Er bildet gemeinsam mit einigen Ministern das Autonomous Bougainville Government (ABG) der „Autonomous Region of Bougainville" – so der offizielle Name der neuen politischen Einheit.

Die Autonomieregierung hat weitgehende Befugnisse. Insbesondere kann ein autonomes Bougainville eine eigenständige Verwaltung, Justiz, Gefängniswesen und Polizei aufbauen. Selbst in Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik hat es gewisse Kompetenzen: PNGDF dürfen nur in kleiner Zahl und nur mit Zustimmung der Autonomieregierung auf der Insel stationiert werden. Die Autonomieregierung kann in gewissen Fragen eigenständig internationale Verträge abschließen und auf dem internationalen Parkett präsent sein; insbesondere kann sie mit ausländischen Geberstaaten Übereinkommen zur Entwicklungszusammenarbeit und zur finanziellen Unterstützung abschließen.

Friedensbildung an der Basis

Von herausragender Bedeutung für die Stabilisierung der Nachkriegssituation war der Rückgriff auf traditionale Formen der Beendigung von Gewaltkonflikten auf der lokalen Ebene. Der Krieg - als ein mixtum compositum aus modernem Sezessionskrieg und zeit- und teilweisen traditionalen Sub-Kriegen zwischen Clans, Dörfern und ethnolinguistischen Gruppen - wurde partiell auch nach traditionalen Regeln geführt. Deswegen konnte und musste seine Beendigung ebenfalls auf modernen und traditionalen Wegen erfolgen. Traditionale Verfahren der Kriegsbeendigung und Versöhnung wurden in der Übergangs- und Nachkriegsphase vielerorts praktiziert. Vor allem geht es dabei um den Ausbruch aus der Logik der Vergeltung (pay back). Dem liegt ein komplizierter und oft langwieriger Aushandlungsprozess zugrunde, in dem autorisierte Führungspersonen der Konfliktparteien die Bedingungen für einen Friedensschluss sowie Form und Umfang von Kompensationen für entstandene Schäden und begangene Gewalttaten festlegen. Abgeschlossen wird ein solcher Prozess mit einer festlichen Friedenszeremonie, in deren Rahmen die Kompensationen übergeben werden. Kompensation tritt an die Stelle des pay back. Die lokalen Versöhnungsprozesse und deren enge Verbindung mit der „nationalen" politischen Ebene waren entscheidend für den Erfolg. VertreterInnen der Zivilgesellschaft und traditionale Autoritäten waren in recht großer Zahl bei allen wichtigen Verhandlungsrunden zugegen; eine große Rolle spielte der Einfluss von Frauen(-gruppen), haben Frauen in den matrilinear organisierten Gemeinschaften auf Bougainville doch eine starke soziale Stellung. Erst die Verbindung der vielfältigen Friedensprozesse ,,unten", auf der Ebene „von Dorf zu Dorf“ mit jenen „oben" verlieh den im engeren Sinne „politischen" Regelungen der „großen" Streitfragen ihre Bedeutung und Nachhaltigkeit.

Staatsbildung neuen Typs

Mit der Formierung des ABG war die Phase der Friedenskonsolidierung im Wesentlichen abgeschlossen. Seither ist Bougainville in die Phase der Staatsbildung eingetreten. Die politische Führung und die Menschen Bougainvilles stehen heute vor der Herausforderung, tatsächlich „Staat machen"zu müssen, zunächst für ein autonomes, in zehn bis 15 Jahren womöglich unabhängiges Bougainville. Dabei macht man sich bewusst die positiven Erfahrungen der Friedenskonsolidierungsphase zu Nutze, indem man auch jetzt auf eine Verbindung von modernen staatlichen Institutionen und Verfahren auf der einen Seite und traditionalen Institutionen auf der anderen Seite setzt.

Auf Bougainville scheint eine staatliche Ordnung neuen Typs bei Vertrauen in die eigene Kraft möglich. Dieses in Krieg und Nachkrieg erworbene Vertrauen in die eigene Kraft sollte eine Ressource sein, die für den weiteren Weg der Selbstbestimmung von sehr viel größerem Wert ist als die Ressourcen im Boden der Insel. Der Weg wird allerdings nicht ohne Hindernisse und Fallstricke sein. So ist seit neuestem in Kreisen ehrgeiziger Politiker und geschäftstüchtiger Wirtschaftsleute die Rede davon, dass jetzt allmählich die Zeit gekommen sei, an die Wiedereröffnung der Panguna-Mine zu denken.

Anmerkung

1 Mit Ausnahme einer Gruppierung, der Me' ekamui Defence Force (MDF), einer BRA-Fraktion, die sich 1998 von der BRA gelöst und dem Friedensprozess bisher nicht angeschlossen, ihn aber stillschweigend geduldet hat. Die MDF-Leute kontrollieren nach wie vor die Mine und das umliegende Gebiet, welches sie zur „no-go area" für alle Fremden erklärt haben.

 

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