Fußball und Rechtsextremismus

Eine jahrzehntelange Verbindung

von Peter Römer
Schwerpunkt
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Chemnitz, März 2019. Verein und Fanszene gedenken in einer Schweigeminute dem verstorbenen „Tommy“, berüchtigter Gründer von „Hoonara“ – eine Abkürzung für „Hooligans, Nazis, Rassisten.“ Diese Gruppe schaffte einst ein ausgrenzendes und für Andersdenkende oder -Aussehende gefährliches Klima auf den Rängen. Nur mit und durch sie ist zu erklären, warum gerade in Chemnitz sich wie in einem Brennglas viele Jahre später im Spätsommer 2018 gesamtgesellschaftliche Konflikte gewalttätig entluden. Viele BeobachterInnen zeigten sich überrascht über die Mobilisierungsfähigkeit der rechten Szene gerade auch aus Fankreisen. Doch eigentlich ist die Verbindung von Fankultur und Neonazi-Szene seit langem bekannt – und schien zwischenzeitlich zurückgedrängt. Eine Einordnung.

Fußball-Fankultur und Rechtsextremismus – über Jahrzehnte hinweg schien dies eine natürliche Verbindung zu sein. In den 1980er Jahren bildete sich erstmals eine Subkultur in deutschen Fankurven heraus, die der Hooligans nämlich, die sich von englischen Vorbildern inspirieren ließen und ihre Unterstützung der eigenen Mannschaft um gewalttätige Aspekte – stärker als das Gegenüber sein – ergänzte. Für Michael Kühnen, einer Führungsfigur der Neonazi-Szene, die diese so danach nicht wieder hatte, waren die Männerbünde hochinteressant, die das „Recht des Stärkeren“ in der „Dritten Halbzeit“ propagierten. „Wir müssen in die Stadien gehen und unter den Hooligans Unterstützer rekrutieren“, so Kühnen intern. Viele Hooligan-Gruppen ließen sich nie politisch instrumentalisieren, so etwa die „Gelsenszene“ von Schalke 04 oder die „Cologne Street Fighters“ vom 1. FC Köln, die von Beginn an viele Migranten in ihren Reihen hatten. Anders in Dortmund oder Hamburg: Für die „Borussenfront“ oder die „Hamburger Löwen“ waren Rechtsextremismus und Hooliganismus zwei Seiten derselben Medaille. Sie machten ausländischen Spielern selbst des eigenen Vereins das Leben schwer, suchten nach Spielen die Auseinandersetzung mit türkischen Gangs und organisierten Saalschutz und Kampagnen-Unterstützung für die Neonazi-Szene.

Der Hooliganismus wurde im Laufe der 1980er Jahre die prägende Szene in den Fankulturen vieler Vereine. Extrem rechte Symbolik und Diskriminierung war gleichzeitig allgegenwärtig, Reichskriegsflaggen, Affenlaute bei schwarzen Spielern und Angriffe auf linke Institutionen waren allgegenwärtig.
Die EM 1988 in Deutschland stand unter diesen Vorzeichen. Nach dem Halbfinalspiel der Nationalelf gegen die Niederlande in Hamburg sammelten sich mehrere Hundert Hooligans vor den damals besetzten Häusern der Hafenstraße, die damals bundesweit in den Schlagzeilen stand. Gefragt nach der denkwürdigsten Aktion sagte „Fränkie“, ein Mitglied der Borussenfront Jahre später zum Autor Michael Pettau:

"Der Versuch des Aushebens der Hafenstraße auf St.Pauli […] war eine phänomenale Aktion und außerdem eine hochpolitische Kiste. Man hat also hool-artig versucht, die Hafenstraße zu räumen.  […] Und interessant war, dass uns die Polizei – ich denke, auch ganz klar auch politisch gesteuert – bis zu einem gewissen Zeitpunkt freien Raum gelassen hat! Die Beamten haben beobachtet: Na, schaffen sie´s? Dann wäre nämlich in der Stadt  ein politisches Problem weniger gewesen. Aber irgendwann ist die Schlacht  – es war wirklich eine echte Schlacht – gekippt und wir wurden zurückgetrieben." (Michael Pettau: Fußballrowdies. Die Mobs der achtziger und neunziger Jahre. Ein bundesdeutscher Rückblick. Hamburg 2012)

Dieses Beispiel zeigt, dass nicht-fußballbezogene, politisch motivierte Gewalt zu einem mehr als nur akzeptierten Mittel deutscher Hooligans gehörte und die Bekämpfung politischer Gegner situativ wichtiger sein konnte als Rivalitäten untereinander.

Diese politisch aktive Hooligan-Szene konnte auch deswegen so gut wachsen, da sie Handlungsspielräume hatte. Zwar war Fußball wie heute deutlich Sportart Nummer 1 in Deutschland, dennoch berichtete die „Sportschau“ in der Regel von Ausschnitten von drei Spielen neben anderen Sportarten wie Pferderennen. Der ZuschauerInnenschnitt in der Bundesliga betrug nur um 20.000, für die linke Szene wie auch Mittel- und Oberschicht galt der Stadionbesuch als gefährlich – und tatsächlich kam es in und um die Stadien weit häufiger zu unsanktionierter Gewalt als heute.

Eine antirassistische Fanszene entsteht
Diese Zustände änderten sich nach 1990 langsam, aber doch spürbar, vornehmlich durch Bewegungen von „unten“. Im Umfeld des FC St. Pauli formierte sich eine antirassistische Fanszene, die ihrerseits rechte Strömungen aus dem Stadion am Millerntor vertrieb. Das Aufkleber-Motiv „St. Pauli-Fans gegen Rechts“ verbreitete sich unzählige Male über ganz Deutschland und fand Nachahmer in fast jedem anderen Verein. Viele bemerkten, dass Antirassismus und Fan-Dasein keinen Widerspruch mehr darstellte. Für offen links auftretende Menschen war der Stadionbesuch kein No-Go mehr.
Dennoch blieben Hooligans, die in einigen Vereinen Neonazis waren, die Platzhirsche auf den Rängen. Bei Länderspielen waren sie ohne Korrektiv, im polnischen Zabrze sorgten mehrere Hundert von ihnen 1996 für einen politischen Skandal und hissten unweit des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz das Transparent „Schindler-Juden – wir grüßen Euch!“ und sorgten für Ausschreitungen.

Gemeinhin gilt die WM 1998 in Frankreich als Wendepunkt. Die Hooligan-Szene war nun bereits überaltert und hatte einige Nachwuchs-Schwierigkeiten. Ein Angriff auf den französischen Polizisten Daniel Nivel durch Hooligans, der beinahe zu Tode kam, hatte einen weltweiten öffentlichen Aufschrei zur Folge. Eine Zunahme an medialem Interesse wie auch staatliche Überwachungsmaßnahmen führten dazu, dass sich Hooligans aus dem Alltagsgeschäft zurückzogen.

Sie hinterließen ein Vakuum auf den Stehplatzrängen, dass nach und nach rund um die Jahrtausendwende gefüllt wurde von einer neuen Subkultur: Die der Ultras. Zunächst von älteren BesucherInnen belächelt und dann respektiert, ergänzten sie den Wettbewerb um das „Recht des Stärkeren“ um andere Werte, etwa Kreativität und Lautstärke. Sowohl die kritische Einstellung zur Kommerzialisierung des Fußballs wie auch die vielfältigen Betätigungsfelder von Ultras führten in vielen Städten zu einer Logik, die sich gegen Diskriminierung richtete: Natürlich konnten Frauen oder Homosexuelle in einer Ultragruppe partizipieren. Wer keinen Wert auf körperliche Gewalt legte, konnte Choreographien malen oder in Fanzines (Fan-Magazinen) schreiben und Zusammenhänge zum politischen Umfeld herstellen. All dies hatte einen Wert für die Ultrakultur, so dass sich nach und nach politisch teils ein eher linkes Bewusstsein entwickelte.

Dies biss sich an vielen Orten mit den nach wie vor im Hintergrund präsenten Hooligan-Strukturen, so dass es nach einigen Jahren der Akzeptanz zu einem „Kampf um die Kurven kam“, am sichtbarsten in Aachen und Braunschweig, die teils zu Verdrängungen emanzipatorisch denkender Ultras kam.
Wer denkt, dass diese Auseinandersetzungen um Einfluss- und Resonanzräume nur ein Problem des Fußballs ist, versteht die Reichweite der Fankultur nicht. Ultras stellen heute die wohl größte Jugend-Subkultur in Deutschland dar. Es macht einen Unterschied, ob in einem Stadion Jugendliche mit antidiskriminierenden oder ausgrenzenden Werten geprägt werden – und die teils für diese erfolgreich verlaufenen Auseinandersetzungen rechte Hooligans zu weiteren Schritten und zu einem sichtbaren Comeback ermutigt werden.

Wiedererstarken der Rechten
Die einst tot geglaubte Subkultur rekrutierte fernab der Stehplatzränge Nachwuchs, teils auch in der Ultraszene. Für staatliche Strukturen wie auch Zivilgesellschaft war die Demonstration „Hooligans gegen Salafisten“ in Köln im Oktober 2014 ein Schock. 5.000 Hooligans und Neonazis marschierten auf und überraschte die Polizei – Monate vor dem Sommer 2015 mit der landesweiten Debatte um Flüchtlingszuzug und der seither bestehenden gesellschaftlichen Polarisierung. Es waren Hooligans, die teils dank der bis auf die beginnenden 1980er Jahre zurück reichenden Verbindungen, hier relativ konspirativ die erste große Demonstration, die sich öffentlich gegen vermeintliche Islamisierung richtete, in Westdeutschland organisieren konnten. Sie ermöglichten Erfolge rechter Politik.

Hooligans haben ein gesellschaftliches Feld bereitet, in dem sich rechte Politiker als Tabubrecher inszenieren können. Mit Gewalt oder teilweise auch nur einer Drohkulisse werden GegendemonstrantInnen europaweit von rechten Kundgebungen und Demonstrationen ferngehalten. Bei Pegida in Dresden ist es beispielsweise so, dass die SprecherInnen der Bewegungen auf der Bühne ihre Reden halten, während Hooligans in Kleingruppen am Rande der Demonstration stehen. Sie fungieren gewissermaßen als inoffizielle Ordner, jederzeit bereit zuzuschlagen. So ermöglichten sie das Gefühl einer Massenbewegung, die der „neuen Rechten“ Auftrieb verlieh.

Während sich in Deutschland viele Ultra-Gruppen im Sinne einer „Willkommenskultur“ für Geflüchtete einsetzten, vernetzten sich extrem rechte Fußballfans europaweit, traten in Stadien und bei Demonstrationen auf. Der wieder verstärkt zu Tage tretende Rassismus hat so Widerhall und teils auch Ursprung in und um Stadien in ganz Europa.

Und: Wie schon 1988 agieren rechte Hooligans genuin politisch. Als „Legida“, der Leipziger Pegida-Ableger, Anfang 2016 den ersten Jahrestag feierte, griffen Hooligans verschiedener,  vornehmlich ostdeutscher Vereine den Leipziger Stadtteil Connewitz an und entglasten als links geltende Läden. Fast alle der später Festgenommenen etwa 200 Hooligans hatten einen Eintrag in der Datei „Gewalttäter Sport“. Sie hatten zuerst ein Stadion betreten, bevor sie sich politisch aktiv zeigten. Die Demonstrationen in Chemnitz im Sommer 2018 bestärkten diesen Trend lediglich. All dies hat Deutschland verändert, die Grenzen der Sagbarkeit verschoben – und wurde durch rechte Hooligans initiiert oder beschleunigt.

Es ist also ein Spiel mit dem Feuer, wenn ein Verein wie der Chemnitzer FC zulässt, dass Neonazis nicht ausgegrenzt, sondern als „Teil der Familie“ inszeniert werden. Denn eines ist Fußball und Fankultur ganz gewiss nicht: Unpolitisch.

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Peter Römer ist Politikwissenschaftler und Historiker und arbeitet als Wissenschaftlich-Pädagogischer Mitarbeiter im Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster. Seit Jahren beschäftigt er sich zudem auch wissenschaftlich und journalistisch mit Fußball und Fankultur.