Flugblätter gegen Atomwaffen

Etappen einer 25-jährigen Rechtsunsicherheit

von Hermann Theisen

Proteste gegen Atomwaffen im Sommer 1987: „AUFRUF ZU DEN GEWALTFREIEN AKTIONSTAGEN IM HUNSRÜCK
 vom 2.-11.10.87:
 Wir appellieren an die Verantwortlichen:
 HALTET EIN! MACHT DEN ERSTEN SCHRITT!
 SCHLIEßT DIE TODESBASIS HASSELBACH! 
JETZT!“

So hieß es 1987 in einem Flugblatt, mit dem zur Teilnahme an einer Sitzblockade vor dem damaligen Atomwaffenlager Hasselbach aufgerufen wurde. Der Aufruf wurde von etwa 50 Personen unterschrieben, worauf alle von der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) angeklagt und vom Amtsgericht Simmern verurteilt wurden. Bereits zuvor war ich wegen meiner Teilnahme an einer Sitzblockade in Hasselbach zu einer Geldstrafe verurteilt worden, und da ich mich weigerte, sie zu zahlen, wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verhängt, die ich im Juli 1989 in der Justizvollzugsanstalt Mainz absaß.

Auch die Geldstrafe wegen des Flugblattes zahlte ich nicht, worauf ich am 15.10.1992 in Erzwingungshaft genommen wurde. Damit sollte ich dazu gebracht werden, entweder die Geldstrafe zu zahlen oder den Offenbarungseid zu leisten.

Am darauffolgenden Tag bekam ich im Mainzer Gefängnis Besuch von Oberstaatsanwalt Roos, der mir erklärte, dass die Erzwingungshaft aufgehoben werde und von Amts wegen ein Gnadenverfahren eingeleitet werde, weil sich inzwischen die Rechtsprechung geändert habe und das Flugblatt doch nicht strafbar sei.

Am 27.01.1993 bekam ich Post vom rheinland-pfälzischen Justizministerium: „In der Strafsache gegen Hermann Theisen aus Bad Kreuznach wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten wird die durch Urteil des Landgerichts Mainz vom 09.10.1989 – 302 Js 11506/89 – 7 Ns – verhängte Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 10,– DM nebst Kosten im Gnadenwege erlassen.“

Im April 1995 teilte mir dann die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach mit, dass sie beantragen werde, das gegen mich verhängte Urteil aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufzuheben, worauf mich das Landgericht Bad Kreuznach freisprach und die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz im November 1996 entschied, dass ich wegen der zweitägigen Erzwingungshaft 40 DM Haftentschädigung zu bekommen habe. Bereits zuvor erhielt ich 600 DM Haftentschädigung, weil auch das Blockade-Urteil aufgehoben worden war.

Proteste gegen Atomwaffen im März und April 2013
„AUFRUF ZU DEN GEWALTFREIEN AKTIONSTAGEN IN DER EIFEL
 vom 5.-12.8.13:
 Wir appellieren an die Verantwortlichen:
 HALTET EIN! MACHT DEN ERSTEN SCHRITT!
 SCHLIEßT DIE TODESBASIS BÜCHEL! 
JETZT!“

26 Jahre später wurde der Hasselbach-Aufruf von mir aktualisiert, und ich rief damit zur Teilnahme an der für August 2013 geplanten Blockade in Büchel auf.
Im April und Mai verteilte ich den Aufruf an die BundeswehrsoldatInnen direkt am Fliegerhorst in Büchel und im Mai vor dem Hauptbahnhof in Koblenz. Der Kommodore des Fliegerhorsts Büchel erstattete nach den Flugblattverteilungen zweimal Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, obwohl die Flugblätter außerhalb des Militärgeländes verteilt worden waren, und in Koblenz beschlagnahmte ein Staatsanwalt die Flugblätter zunächst ohne richterliche Genehmigung wegen „Gefahr in Verzug“. Zuvor hatte die Stadt Koblenz die Flugblattverteilung während der angemeldeten Kundgebung untersagt.

Im Beschlagnahmebeschluss heißt es: „Eine Vollblockade aller Tore des Flugplatzgeländes Büchel über den Zeitraum von zwei Tagen entfaltet Außenwirkungen, die den Bereich einer psychischen Einwirkung auf die von der Blockade betroffenen Personen überschreitet.(…)Der Angeschuldigte beabsichtigt folglich zumindest in mittelbarer Täterschaft die Errichtung eines unüberwindbaren physischen Hindernisses und damit eine Gewaltausübung im Sinne des § 240 StGB.“

Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Koblenz am 27. Februar 2014
Das Verwaltungsgericht entschied, dass „ die Untersagung des Verteilens der Flugblätter auf der angemeldeten Kundgebung als ein tiefgreifender Grundrechtseingriff einzustufen ist“. Zudem stellte es fest: „Die Kammer teilt nicht die Einschätzung der Beklagten (Stadt Koblenz), die Verteilung dieses Flugblatts hätte zu einer strafbaren öffentlichen Aufforderung zu einer Nötigung im Sinne der §§ 111, 240 StGB geführt.“ (1 K 628/13.KO)

Verhandlung vor dem Amtsgericht Koblenz am 30. April 2014
Richterin Anke van den Bosch erklärte, dass sie die Auffassung des Verwaltungsgerichts Koblenz nicht nachvollziehen könne. Der Aufruf erfülle nach der sog. 2. Reihe-Rechtsprechung den Straftatbestand der Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§111 StGB, 240 StGB) – das Urteil: 30 Tagessätze zu je 20 Euro, womit der Streit um die Flugblätter gegen Atomwaffen in eine neue Runde geht ...

Wer über den weiteren Verlauf der juristischen Auseinandersetzung um den Blockade-Aufruf informiert werden möchte: Hermann [dot] Theisen [at] t-online [dot] de

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