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Freiheit für die DDR und Osteuropa!
vonWir haben uns mit den Menschen in Osteuropa. gefreut, daß sie sich ihre Freiheit gegen die bürokratische Herrschaft kommunistischer Parteien überwiegend gewaltfrei erkämpft haben. Für uns ist dies ein Beispiel für die Kraft sozialer Bewegungen, die auf der Mündigkeit der Menschen beruht. Durch die heutige Politik westlicher Regierungen droht jedoch erneut die Entmündigung der Menschen in ganz Osteuropa; nicht allein in der DDR, wohin sich gegenwärtig alle Blicke richten.
Die Freude über die Befreiung ist zugleich auch die Freude darüber, daß jetzt blockübergreifende Zusammenarbeit möglich geworden ist, die Grenzen durchlässig wurden, Menschen in Ost und West 45 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder zusammenrücken können. Überwindung von Trennung und Spaltung führt zu mehr Gemeinsamkeit und Einigung. Dies war immer unser Ziel.
Jetzt zucken wir allerdings zusammen, wenn von der Einheit beider deutscher Staaten die Rede ist. Warum? Wovor fürchten wir uns eigentlich? Solange die Bedingungen der europäischen Sicherheit, wie sie in der KSZE-Schlußakte von Helsinki festgelegt wurden, nicht angetastet werden, müßte sich auch niemand vor mehr Gemeinsamkeit zwischen den deutschen Staaten fürchten. Bisher stehen Veränderungen dieser Bedingungen weder in Moskau noch in Ostberlin und nirgendwo sonst in Osteuropa auf der Tagesordnung - auch nach den jüngsten Erklärung von Gorbatschow und Modrow zur deutschen Vereinigung nicht!
Bonner Erpressungen
In Bonn ist das anders: Unter dem Deckmantel der (Wieder) Vereinigung der beiden deutschen Staaten wird mit erpresserischen Mitteln versucht, die DDR zu einem "Bundesland" der Bundesrepublik umzuformen. Die Wahlen am 18. März, die von der Oppositionsbewegung erkämpft worden sind, wollen die Bonner Parteien vereinnahmen, die Spielregeln sollen im Westen bestimmt, die Bedingungen für die zu wählende Regierung hier diktiert werden. So erklärte die Bundesregierung am 18.1.1990 vor dem Bundestag, wenn die DDR nach den Wahlen am 18. März die Vertragsgemeinschaft mit der BRD nicht als ersten Schritt zur deutschen Einheit ansehe, werde daraus nichts.
Ähnlich anmaßend treten die westlichen Regierungen gegenüber allen demokratischen Reformprozessen in Osteuropa auf. Insbesondere deren Wirtschaftspolitik wird teils durch den IWF, teils durch die Formulierung von Bedingungen für eine EG-Assoziierung oder -Mitgliedschaft massiv von außen beeinflußt. Gleichzeitig hält der Westen am Militärblock NATO fest, und die Bundesregierung streitet um vereinbarte Aufrüstungsprojekte wie die "Modernisierung" der Atomwaffen, die Entwicklung des Kampfflugzeugs "Jäger 90", die "Kampfstärke der Bundeswehr". Hilfe für Osteuropa soll es allein zum von Brüssel und Bonn bestimmten Preis geben. Was die Menschen in Osteuropa wollen und dem Frieden in Europa dient, ist demgegenüber zweitrangig.
Vereinigungsvisionen
Die Möglichkeiten der betroffenen Menschen, sich dagegen zu wehren, sind beschränkt. Denn sie brauchen schnelle Hilfe, damit die ökonomischen Strukturen nicht verfallen und noch mehr ihre Mitarbeit aufgeben. Ihre erste praktische Erfahrung mit unserer hochgelobten "sozialen" Marktwirtschaft ist die, daß derjenige den Preis diktiert, der über die größere wirtschaftliche Macht verfügt. Wenn es nach Bonn ginge, müßten jetzt z.B. in der DDR die Mietpreise freigegeben, soziale Leistungen eingeschränkt, Kindergärten geschlossen werden ... , während in der Bundesrepublik alles beim Alten bleibt - einschließlich des Festhaltens an einer hochgerüsteten Armee im Atomverbund mit den USA.
Diese Vereinigungsvision ist gefährlich: Sie strebt nicht nur nach einer Veränderung der europäischen Staatengemeinschaft mit einem neuen großen hochgerüsteten in der NATO integrierten "deutschen Bund" in Mitteleuropa sondern auch nach der Überwindung von für den inneren und äußeren Frieden unentbehrlichen Bedingungen in Europa. Demokratie und Abrüstung sind unverzichtbare Eckpfeiler für ein friedliches und kooperatives Europa und die Chancen dafür sind zum Nutzen aller Menschen größer geworden!
Entmilitarisierung
Ob die ökonomische und soziale Kluft in Europa und damit auch zwischen den Deutschen überwunden werden kann, oder ob es zu Vereinbarungen im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung kommt, hängt vor allem von der Bereitschaft der europäischen Staaten zur vollständigen Entmilitarisierung ihrer Beziehungen ab. Solange die Bundesrepublik aber die NATO-Mitgliedschaft zum selbstgewählten Hemmnis einer weiteren friedlichen Einigung und Kooperation macht, statt die historischen Abrüstungschancen zu nutzen, besteht die Gefahr, daß auch in der Sowjetunion Hardliner und Militaristen wieder die Oberhand bekommen! Eine Bundesrepublik ohne Armee wäre dagegen die wirkungsvollste Unterstützung der Reformprozesse in Osteuropa.
Wir müssen uns jetzt verstärkt dafür einsetzen, daß Frieden, freie Selbstbestimmung und gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den Staaten die Politik bestimmt. Wer auf politischen und ökonomischen Druck - der gegenüber Unrechtsregimen wie Chile und Südafrika stets abgelehnt wurde - in dieser Zeit des demokratischen Umbruchs setzt, handelt nach den alten Regeln des Kalten Krieges. Dazu zählt auch das Gerangel um die polnische Westgrenze, mit der die CDU/CSU die Vorstellung fördert, als könnten Deutsche im Osten wieder ''Land nehmen".
Die Demokratisierungs- und Entmilitarisierungsprozesse in Osteuropa beeinflussen das friedenspolitische Denken der Menschen. Abschaffung der Atomwaffen, einschneidende Abrüstungen und Militärhaushaltkürzungen sowie eine deutliche Entlastung von militärischen Anforderungen und Gefährdungen finden zunehmende Unterstützung. Jetzt kommt es darauf an, realistische und zukunftsträchtige Vorschläge zur Grundlage gemeinsamer, grenzüberschreitender Friedensarbeit zu machen.
Palme-Friedensprozeß
Die Friedensbewegungen in Ost und West brauchen jetzt mehr Zusammenarbeit. Sie kann anknüpfen an die Erfahrungen des Olof-Palme-Friedensmarsches von 1987: Damals demonstrierten Friedensgruppen in beiden deutschen Staaten für die Entmilitarisierung (und Entnuklearisierung) der deutsch-deutschen Grenze, während Kohl und Honecker in Bonn sich über mehr Zusammenarbeit verständigten.
Die von der Palme-Kommission 1982 in die Diskussion gebrachte Idee des schrittweisen Auseinanderrückens der beiden Militärblöcke durch Bildung zunächst atomwaffenfreier und später militärfreier Zonen ist heute aktueller denn je. So bietet sich angesichts der Entwicklungen in der DDR und der CSSR und dem möglichen Abzug aller sowjetischen Truppen aus den Ländern an, Bundeswehr und Stationierungsstreitkräfte entlang der bisherigen Nahtstelle der Blöcke ebenfalls abzuziehen. In Mitteleuropa kann der Anfang gemacht werden, mit einem entmilitarisierten Kerngebiet, das immer weiter ausgedehnt schließlich ein Europa der gewaltlosen Konfliktaustragung im inneren wie nach außen schafft.
Sinnvoll ist die verstärkte Einrichtung von projekt- und themenbezogenen Friedenspartnerschaften zwischen spezifischen und lokalen Friedensgruppen aus Ost- und Westeuropa. Gegenstand gemeinsamer Arbeit könnten z.B. die Umstellung von Rüstungsbetrieben und Regionen auf friedliche Arbeit oder die Eingliederung von Soldaten ins Zivilleben sein. Internationale Verhandlungen dürfen nicht länger allein Regierungen überlassen bleiben, sondern müssen von Friedensgruppen kritisch und mit eigenen Vorschlägen begleitet werden: ein "Runder Tisch" z.B. bei den KSZE-Konferenzen und den Wiener Verhandlungen unter Beteiligung von nichtstaatlichen Organisationen ist durch die in osteuropäischen Ländern neu geschaffenen demokratischen Strukturen auf die Tagesordnung gebracht worden! Und nachdem in der DDR wie auch in anderen osteuropäischen Ländern ebenso wie hier in der Kampagne Bundesrepublik ohne Armee die vollständige Abschaffung der Armee debattiert wird, sind dazu gemeinsame Aktivitäten und der politische Meinungs- und Erfahrungsaustausch angesagt.
Ein Schritt dahin kann die deutschdeutsche Arbeitskonferenz vom 9. bis 11. März 1990 in Hannover sein, zu der die Friedensbewegungen der DDR und der Bundesrepublik gemeinsam einladen.
Gerd Greune / Gregor Witt, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)