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60 Jahre NATO - Ein Bericht der Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden
Frieden ist etwas anderes
von
Ein Bericht von der Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden, durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Bremer Friedensforum, in Bremen vom 20. bis 21. Februar 2009.
Die NATO feiert ihren sechzigsten Geburtstag. Sich selbst will sie dabei großzügig bescheren: mit der Rückkehr Frankreichs in die militärische Integration und mit einem neuen strategischen Konzept, das auf der Basis weit ausgelegter Bedrohungsszenarien eine weitere Ausdehnung ihrer militärischen und politischen Aktivitäten vorsieht. Ungeliebte Gäste sollen dabei nicht stören: Nach den Vorstellungen der französischen Behörden sollen der Austragungsort des NATO-Gipfels 2009 in Strasbourg und dessen weiteres Umfeld demokratiefreie Zone werden. Die Aktionen der internationalen Friedensbewegung sollen verdrängt, die geplante Großdemonstration am 4. April in einen abgelegenen Vorort umgeleitet werden, sogar über eine Stilllegung des Bahnverkehrs in Richtung Kehl wird nachgedacht.
Eine etwas andere Geburtstagsfeier zum Sechzigsten richteten die Kooperation für den Frieden und das Bremer Friedensforum am Karnevalswochenende in Bremen aus.
In drei Podiumsrunden und acht Arbeitsgruppen beschäftigten sich etwa 150 Teilnehmende unter anderem mit der Geschichte der NATO, der aktuellen Kriegsführungspolitik, dem Verhältnis zu Russland und Strategien der Friedensbewegung.
Die NATO ändert sich, nicht erst seit Obamas Amtsübernahme. Nach wie vor wollen die USA ihre Führungsrolle behaupten, aber zugleich die Verbündeten stärker in die Pflicht nehmen. Bis zu 30.000 zusätzliche Soldaten fordert der Oberste Befehlshaber in Afghanistan, die USA werden zunächst 17.000 entsenden. Die von Minister Jung zugesagten 600 weiteren BundeswehrsoldatInnen sind nur ein Anfang, unmittelbar nach der Bundestagswahl am 27. September werden weitere Anforderungen gestellt und – so nicht grundlegende Veränderungen der politischen Landschaft geschehen – vom Bundestag vermutlicht auch bewilligt werden.
Einen wichtigen Stellenwert bei der Strategiekonferenz nahm deswegen die Bewertung der neuen US-Administration ein. Während Paul Walker (Green Cross/Institute for Peace, USA) eine eher optimistische Bilanz der ersten Wochen zog und weitgehende Abrüstungsschritte prognostizierte, waren die europäischen Referentinnen und Referenten deutlich skeptischer. So berichtete der russische Umweltaktivist Raschid Alimow von den massiven Bedrohungsängsten in Russland angesichts von NATO-Osterweiterung und US-Raketenabwehr. Er befürchtete, dass ein neuer Kalter Krieg sich negativ auf die Handlungsmöglichkeiten der Basisbewegungen in Russland auswirken und die bereits bestehenden Repressionen verschlimmern könne.
Aus der Sicht von attac Frankreich bewertete Lysiane Rolet die bevorstehende Wiederaufnahme Frankreichs in die militärische Integration der NATO als weitgehende Aufgabe nationaler Souveränität. Die Regierungen unter Bush und unter Obama unterschieden sich weniger in ihren Zielen sondern mehr in ihrem Vorgehen. Diese Einschätzung wurde auch von den deutschen ReferentInnen weitgehend geteilt: So setze der geplante US-Abzug aus dem Irak vor allem Mittel und Truppen frei, die nach Afghanistan umgelenkt werden sollen und die verstärkte Einbindung der Europäer in die US-amerikanische Imperialpolitik drohe einer weiteren Militarisierung der europäischen Politik Vorschub zu leisten.
Nachdem Uli Cremer die Geschichte der NATO von Anfang an als Geschichte eines Militärpaktes dargestellt und ihren aggressiven Charakter zunächst als Bündnis gegen die Sowjetunion und nun als Interessen- und Kriegspakt gegen den globalen Süden herausgestellt hatte, verwiesen Andreas Buro und Ottfried Nassauer auf mögliche Chancen für eine andere Politik, wie sie in den inneren Widersprüchen der NATO und in den Konkurrenzen zwischen EU und USA liegen. Möglich sei auch ein Entwicklungsszenario, in welchem die USA ihre Interessenpolitik eher „europäisiere“, weil sich die weniger auf Dominanz und mehr auf Kooperation setzende EU-Außenpolitik letztlich als erfolgreichere und weniger kostenintensive Herrschaftsvariante erweise. Schließlich sei der einzige Krieg, den die NATO bisher gewonnen habe, derjenige gegen die Termitenplage im Bundeswehrstützpunkt Termez/Usbekistan gewesen – und hier hätten nicht die Soldaten den Sieg davongetragen, sondern zivile Fachkräfte mit dem Einsatz chemischer „Kampfstoffe“.
Die Entwicklung der NATO sei noch offen – dies könne auch eine Chance für die internationale Friedensbewegung sein, in Richtung Entmilitarisierung gegenzusteuern.
Demgegenüber forderte der Friedensbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche, Martin Warnecke, die Wiederentdeckung von Visionen. Dem klaren Nein zum Krieg, das der Ausgangspunkt jeglicher Friedensarbeit sei, müsse ein positives Bild vom gerechten Frieden folgen. Er beklagte den Verlust an Utopiefähigkeit auch in der Friedensbewegung und regte an, in allen Aktivitäten die Alternativen sichtbar werden zu lassen, als Beispiele nannte er den Zivilen Friedensdienst und die Initiative „Vorrang für Zivil“. Ganz gleich, ob die Vision aus einer religiösen Überzeugung oder aus einem politischen Bekenntnis hervorgehe – der Austausch darüber bereichere die Menschen und ermögliche das gemeinsame Handeln für Veränderung. Nicht nur die NATO – alle Militärbündnisse müssten aufgelöst werden.
Abschließend stellte Renate Wanie fünf Elemente einer Strategie gegen die NATO vor. Diese beinhaltet die Delegitimierung militärischer Gewalt, die Behinderung aktueller militärpolitischer Entscheidungen wie z.B. weiterer Truppenentsendungen nach Afghanistan, Aufklärung über die Kriegspolitik der NATO gegen den Mythos des „Verteidigungsbündnisses“, die Kritik an Rüstungsproduktion und –export sowie das Eintreten für zivile Konfliktbearbeitung. Sie hielt der Friedensbewegung einen Spiegel vor: Diese sei als soziale Bewegung zu wenig sichtbar, weil sie zu wenig koordiniert und gezielt handle. Es fehle ihr ein Kristallisationspunkt, an dem sich ihre Aktivitäten ausrichten könnten, eine leitende Zielsetzung. Wanie hält die Forderung nach und Förderung von ziviler Konfliktbearbeitung für eine solche Chance. Ausgehend von konkreten Konzepten, wie auf Konflikte und Krisen ohne Gewalt reagiert werden kann, könnte die Friedensbewegung wieder das Heft des Handelns in die Hand nehmen, anstatt vorwiegend zu reagieren. Weg und Ziel eines gerechten Friedens in Übereinstimmung zu bringen, könnte die zentrale Herausforderung an Friedensarbeit im 21. Jahrhundert werden. In diesem Zusammenhang wäre auch die Rolle der Vereinten Nationen, der EU und der OSZE neu zu definieren. Wer die NATO beerdigen will, braucht internationale Institutionen, die dem Faustrecht des Stärkeren entgegen wirken und Konflikte auf konstruktive Art bearbeiten helfen.