Jugendliche aus Ecuador und Peru fordern Frieden

Frieden ist mehr als ein Abkommen

von Jhonny Jimenez
Friedensbewegung international
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In Lateinamerika gibt es kaum Kriegsdienstverweigerungs (KDV)-Organisationen. Dies liegt zum einen daran, dass die Erfassung der jugendlichen Wehrpflichtigen wenig geregelt ist und "nur" etwa 20% der männlichen Jugendlichen eines Jahrganges zum Militärdienst eingezogen werden. Darüber hinaus nimmt das Militär in Lateinamerika eine andere gesellschaftliche Stellung ein, als etwa in der Bundesrepublik. Trotz bitteren Erfahrungen mit Militärdiktaturen gilt das Militär noch immer als Institution, die gerade für Mitglieder der unteren Mittelschichten einen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen kann.

Im folgenden dokumentieren wir einen Text des peruanisch-ecuadorianischen KDV-Projektes "Jornadas Binacionales por la Paz" (Binationale Zusammenarbeit für den Frieden). Dieses Projekt ist Ergebnis von Initiativen Jugendlicher aus Peru und Ecuador, die gemeinsam den seit Jahrzehnten verdeckt und immer wieder auch kriegerisch ausgetragenen Grenzkonflikt zwischen beiden Ländern "von unten", d.h. vor allem durch Kriegsdienstverweigerung und gegenseitige Zusammenarbeit, befrieden wollen. Das im Oktober 1998 geschlossene Friedensabkommen zwischen beiden Konfliktparteien kann nach Ansicht der Aktivisten nur der Beginn des Friedens sein. Ein wirklicher Frieden dagegen erfordert vor allem Begegnung und Freundschaft der jungen Generationen beider Länder.

Der Artikel ist Vinicio Jimenez, Kriegsdienstverweigerer und Initiator des Projektes "Jornadas Binacionales por la Paz", gewidmet. Vinicio, der unmittelbar nach dem letzten Treffen in der Grenzregion zwischen Peru und Ecuador ums Leben kam, war für viele derjenige, der die Kriegsdienstverweigerung in Ecuador und in Lateinamerika forciert hat. Er war ein Friedensstifter und ein "Fluss der Liebe und des Kampfes" (J. Jimenez) für die Menschenrechte. Seine Sensibilität für das Leben und die Gewaltfreiheit intensivierte seinen Kampf für die Landlosen, die Verachteten, die Stimmlosen und Ausgeschlossenen der Gesellschaft:
Seit mehr als 200 Jahren befinden sich Ecuador und Peru in einem permanenten Konflikt, mit allen seinen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Das Wettrüsten, das von den beiden Regierungen betrieben wird, beunruhigt und hat eine Kultur des Krieges zur Folge, die einen Keil zwischen die Menschen in der Region treibt. Die Regierungen lassen nicht ab von der ständigen hypothetischen Annahme einer erneuten kriegerischen Auseinandersetzung. Davon ist die Entwicklung der Länder, und im speziellen die Entwicklung der Jugend scheinbar abhängig.

Die Art der Konftiktpräsentation verwandelte die Menschen der beiden Länder unhinterfragt in Feinde. Der Staat, die Armee und die notwendige Kriegsmaschinerie der reichen Länder haben den zerstörerischen Grundgedanken diktiert: "Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten." Die Jugendlichen werden aus diesen Entscheidungen ausgeschlossen, gleichzeitig sollen sie dem Aufruf, das "Vaterland zu verteidigen" Folge leisten. Sie sind die ersten, die das Schlachtfeld betreten sollen. Gleichzeitig sind sie aber auch die Basis für eine weitere Entwicklung, eine regionale Integration, deren Ziel eine Kultur des Friedens ist. Die Idee einer Gemeinschaft der Anden-Staaten ist dabei einer von vielen Ansätzen.

Die Situation im Herbst 1998
Im Augenblick stehen wir knapp vor der Unterzeichnung eines Friedensvertrages. (Oktober 1998; A.d.Ü.) Die Diplomatlnnen werden, vor allem von Garantenländern wie den USA, gedrängt, zu einer schnellen Lösung des Konfliktes zu kommen. Aber der Neoliberalismus, der sich als eine Integration im Sinne des Marktes und nicht des Menschen versteht, fördert nur die Entwicklung von transnationalen Unternehmen und die Stabilisierung der nationalen Bourgousie. Dieser Prozess löst den Koflikt nur scheinbar, er verlagert ihn. Die Ausgaben für Militär und Krieg steigen weiter, während die sozial Ausgeschlossenen immer weiter an den Rand gedrängt werden. Die wirklichen Feinde der Entwicklung fahren fort, ihre Gier zu stillen. Hunger, Armut und der Tod brechen über die Menschen herein und weder die Militärs, noch die Regierungen, noch die transnationalen Organisationen versuchen auch nur in Ansätzen, diese Situation aufzubrechen.

Für wirklichen Frieden müssen wir kämpfen
Frieden ist notwendig, aber es ist mehr als die Absenz von Krieg. Wir müssen erkennen, dass wir in einer Welt voller Gewalt leben, und das ist mit dem Begriff Frieden nicht vereinbar: Die Brutalität der Wirtschaft, die Abhängigkeit, die ganze Kontinente in Armut hält, Hunger, Krankheiten, Naturkatastrophen, der ständige Bruch der Menschenrechte, politische und soziale Gewalt. Die Entwicklung einer Kultur des Friedens ist in dieser Umgebung nicht möglich. Frieden ist nicht passiv, er wird nicht beschlossen und passiert. Frieden ist viel mehr ein ständiger Dialog, an dem gearbeitet werden muss und der Raum für Entwicklung braucht. Die, die sich für den Frieden einsetzen, sind nicht die DilpomatInnen, die irgendwelche Verträge unterzeichnen, nur um einer Änderung des Status Quo aus dem Weg zu gehen. Friede muss auf die aufgebaut werden, die sich für eine menschlichere, eine weniger gewalttätige und eine gerechtere Welt einsetzen. Sie haben auch nicht Angst davor, die eigenen Privilegien des "freien Marktes" zu verlieren, so wie die VertreterInnen der politischen Parteien, der Wirtschaft und selbst der Kirche.
 

Gerade wir Jugendlichen werden ständig in die sozialen und territorialen Konflikte involviert. Oft wurden wir missbraucht, um zu "verteidigen", zu zerstören oder um für das "Vaterland zu sterben". Gleichzeitig sind wir aus allen Entscheidungen ausgeschlossen, wie die Kinder, die diese Welt, für die wir verantwortlich sind, einmal erben werden. Es liegt in unseren Händen, nach Lösungen, nach Alternativen zu suchen, die eine menschlichere Entwicklung ermöglichen können. Wir sehen, dass viele Jugendorganisationen in unseren beiden miteinander verfeindeten Staaten mit den gleichen Problemen kämpfen, ähnliche Anliegen und Forderungen haben. Sie kämpfen um ihre Bildung, sie wollen öffentlichen Raum. Das sind Auseinandersetzungen, die auf beiden Seiten der Grenze stattfinden, die uns über die Distanz vereinen und uns erlauben, eine Diskussion aus einer jugendlichen Perspektive über eine regionale Integration zu führen. Die Geschichte ist nicht teilbar: die Zeit der Aymaras, der Quechua und Quichua, der Inkas, die spanische Invasion, die Kolonisation, schließlich die Republik. Und heute haben wir auf beiden Seiten das gleiche brutale Wirtschaftsmodell, das die einzige Möglichkeit zu sein scheint, unsere Geschichte zu teilen, um uns in ein vorbestimmtes Leben zu drängen.

Die Jugendlichen in den beiden Ländern haben die Energie, die Kreativität und den nötigen Widerstand, um wirklichen Frieden aufzubauen. Ohne militärische "Verteidigungskonzepte", die nur dazu führen, nach Feinden zu suchen und Grenzen hochzurüsten. Wir wollen neue Alternativen ausbauen, die in eine humane Sicherheit münden und sich ausdrücken wie: ein Kind, das nicht sterben muss; eine Krankheit, die sich nicht ausbreitet; Arbeitsplätze, die nicht eliminiert werden; ethnische Spannungen, die nicht in Gewalt münden; Andersdenkende, die nicht durch die Folter oder den Tod ruhig gestellt werden. Durch Waffengewalt wird nicht Sicherheit erreicht, sondern die Würde der Menschen bedroht und verletzt. Es ist die Zeit gekommen, um unser Gewissen zu entwaffnen, eine menschlichere Welt zu schaffen. Im gegenseitigen Respekt der Umwelt, der Natur und der Menschen fließt die Gerechtigkeit wie Wasser und die Aufrichtigkeit wie ein reißender Fluss. Noch immer träumen wir von einer Freiheit, in der das Produkt von Gerechtigkeit Friede ist und die Zufriedenheit zu einer dauerhaften Sicherheit führt.
 

Das binationale Jugendprojekt Ecuador - Peru
Unter diesen Voraussetzungen haben wir uns entschieden für unsere Träume, für Frieden durch die Zivilgesellschaft zu kämpfen. Wir, die Jugendlichen, wollen einen Prozess in Gang bringen, der von Reichweite und Nachhaltigkeit geprägt ist. Die von verschiedenen Gruppen realisierte Arbeit ermöglichte, dass an einem binationalen Treffen in Ecuador Jugendliche aus den entferntesten Teilen der Länder teilnehmen konnten. Sie kamen nach Quito und Pasaje in Ecuador und nach Lima und Piura in Peru. Das Projekt begann 1996. Damals besuchten vier AktivistInnen aus Ecuador befreundete Gruppen in Peru. 1997 kamen dann erstmals peruanische Jugendliche nach Ecuador. Dies war der Beginn eines Austausches, der Versuch, sich gemeinsam mit Alternativen und Visionen auseinanderzusetzen. Das erste große Treffen und die ersten gemeinsamen Aktionen fanden in Ecuador von 2. bis 7. Juni 1998 unter dem Titel "Primeros Jornados Binacionales por la Paz" (Erste binationale Zusammenarbeit für Frieden) statt. An diesem Treffen waren ReferentInnen beteiligt, die sich mit der Problematik des Konfliktes zwischen Ecuador und Peru intensiv auseinandergesetzt hatten. Dadurch war es uns möglich, uns eingehend in die Problematik zu vertiefen und uns intensiv mit den Perspektiven der Jugend, die direkt von der Kriegspolitik betroffen sind, auseinanderzusetzen.

Wir errichteten ein Camp, an dem sich 150 Jugendliche beteiligten. Die Wichtigkeit der Reflexion der Realität, in der sich die Jugend befindet und eine genaue und tiefgehende Analyse war uns ebenso ein Anliegen, wie Liebe und Gefühl in die Bewegung zu bringen für den Aufbau einer Kultur des Friedens. Das Camp fand in Pasaje, ca. 100 km von der umstrittenen Grenzregion entfernt, statt. Genutzt wurde dabei das "Zentrum zum Aufbau von Frieden", das von der Organisation Serpaj (Servicio Paz y Justicia, Dienst für Frieden und Gerechtigkeit) in Pasaje betrieben wird. In kleinen Gruppen diskutierten und erarbeiteten wir eine Deklaration der Jugendlichen aus Ecuador und Peru, die den Verantwortlichen für den Krieg, den Regierenden und den diplomatischen Vertretungen in beiden Ländern übergeben wurde.

Das Camp hatte Dynamik und Kraft und so waren die politischen Aktivitäten, die die Gruppen hervorbrachten, voller Spaß und jugendlicher Freude. Wir organisierten eine große Karawane durch die Stadt Pasaje. Wir wollten unserer Solidarität mit den Menschen, die in den Grenzregionen leben, Ausdruck verleihen: Städten wie Machala, Santa Rosa, Jipijapa, El Juncal. Für jede Stadt sangen wir ein Friedenslied. Wir schrieben Flugblätter über unsere Arbeit, liefen auf Stelzen herum und freuten uns vor allem über die vielen Jugendlichen aus der Umgebung, die zu uns stießen, mit uns diskutierten und arbeiteten. Dann organisierten wir noch ein großes Friedensfest mit Freude und Witz, Musik und Theater. Viele Menschen aus Ecuador und Peru haben sich kennen und respektieren gelernt. Im Kampf um Frieden und eine gerechtere Welt werden sich die AktivistInnen der beiden Länder auch weiter intensiv austauschen und unterstützen.
 

Als Motto unseres Treffens galt uns ein Gedicht des lateinamerikanischen Schriftstellers Eduardo Galeano:

"Llevo cinco minutos ante la hoja en blanco buscando palabras sobre la paz.

En estos cinco minutos el mundo ha gastado cinco millones de d¢lares en armamentos, mientras cinco cincuenta ninos monas por hambre o enfermedad curable. O sea: en estos cinco minutos de mis dudas el mundo ha gastado cinco millones de d¢lares en armamentos para que cinco cincuenta ninos pudieran ser asesinados bajo una total impunidad en la guerra de las guerras, la más silenciosa, la no declarada, la que muchos llaman paz. Que puedo decir, pues, sin ofender a la paz verdadera?"

"Fünf Minuten starrte ich auf ein Blatt Papier und suchte nach Worten über Frieden. In diesen fünf Minuten wurden fünf Millionen Dollar für Rüstung ausgegeben. Fünfhundert Kinder sind am Hunger gestorben - oder an heilbaren Krankheiten. In diesen fünf Minuten meiner Zweifel gab die Welt fünf Millionen Dollar für Rüstung aus, dafür sind 500 Kinder ermordet worden, unter völliger Straflosigkeit für die Täter in diesem Krieg der Kriege. In diesem leisen, in diesem nicht deklarierten Krieg, der von vielen Frieden genannt wird. Was kann ich dann sagen, ohne den wirklichen Frieden zu beleidigen?"

 

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