Persönlich-politische Erinnerungen

Friedensgutachten.

von Corinna Hauswedell

Wir kannten uns die zweite, erwachsene Hälfte unserer beider Leben – zusammen 60 Jahre. Und so alt bist Du geworden, bevor am 17. Juli Dein Herz einfach aufgehört hat zu schlagen. Inzwischen habe ich Dich auf einem Deiner neuen Plätze, auf dem Poppelsdorfer Friedhof unter den hohen Bäumen einige Male besucht und bringe Dir immer etwas mit, ein paar Blumen, Kastanien ... und die Empörung darüber, dass die Welt ausgerechnet jetzt dermaßen entgleisen muss, wo wir uns Deines Rates nur noch so schwer vergewissern können. Du hättest mit ruhiger Stimme versucht, ordnende Gedanken in das Chaos zu bringen und nach einem Ansatzpunkt gesucht, mit dem sich die verunsicherten Menschen mobilisieren lassen ...

Für Mani trifft das Wort Weggefährte zu und hat dabei nichts von dem etwas altmodischen oder biederen Klang, der ihm sonst vielleicht anhaften mag. Denn Mani war keines von beidem. Seine Art zu arbeiten und zu leben kam zwar aus einer „anderen Zeit“, wie er selbst einmal sagte. Aber eben das machte ihn glaubwürdig und gut gegründet, sodass er es mit der tiefen Frustration über diese nicht friedlich werden wollende Welt immer wieder kreativ aufnehmen konnte. Er hat die Bögen der Proteste für und mit den Menschen gespannt vom Hofgarten nach Heiligendamm, von der Startbahn nach Straßburg, von Rheinmetall nach Riad. Sich dabei nicht zu schonen, sondern mit der notorisch Selbstgedrehten in der Hand oder im Mundwinkel, jedenfalls am Rechner, den nächsten Aufruf entwerfend oder die Kontoauszüge des chronisch unterfinanzierten „Netzwerks“ zu wälzen – das war zuweilen schon etwas „freaky“, im besten Sinne dieses Wortes unserer Generation – „burning the candle from both ends“.

Wenn man ihn abends in Bonn manchmal in der Ermekeilstraße traf zwischen seiner Stammkneipe „Südbahnhof“ und der Gründungskaserne der Bundeswehr, die trotz vieler, auch Manis, Initiativen immer noch auf ihre vollständige Konversion wartet, ahnte man, dass die Pausen zu kurz waren, die er sich gönnte, dass zuhause um die Ecke noch Arbeit wartete –  „ viel zu tun“. Ruhepausen waren irgendwie nicht sein Ding, auch wenn ich ihn nie rastlos oder unbesonnen erlebt habe. Er hat schon bewusst so gelebt, wie er lebte.

Ich hatte es mir deshalb dreimal überlegt, ob ich ihm noch eine Bitte aufhalsen dürfte, als im Herbst 2011 die junge Occupy-Bewegung hohe Wellen schlug: einen Artikel  über „Politik aus dem Netz und von der Straße“ für das „Friedensgutachten“ zu schreiben. Er hatte gezögert, nicht wegen Arbeitsüberlastung, sondern aus Angst, ob er denn „für sowas der Richtige“ sei. Ja, wer denn sonst?? In der gemeinsamen Arbeit an dem Text lernte ich Mani noch einmal neu und tiefer kennen: den klugen, differenzierenden Denker und uneitlen Zweifler, der uns nicht nur mit eigenen Schreibhemmungen und Erkenntnisgrenzen konfrontierte, sondern umgetrieben wurde von der Frage, was denn akademische Analyse einerseits und politische Bewegung andererseits miteinander – oder notfalls nebeneinander – für Frieden und Demokratie bewirken könnten. Im Globalisierungsschock der Finanzkrise erkannte er eine neue Qualität der Herausforderung, auch für den „alten“ Pazifismus: „ […] Joachim Gauck mag Occupy Wallstreet ‚unendlich albern’ finden, die Politik ist aber gut beraten, die Empörten in ihren jeweiligen Anliegen wie in dem allen gemeinsamen Anspruch auf mehr Teilhabe an Entscheidungsprozessen ernst zu nehmen. Auch die Wissenschaft hatte die neue Dynamik der globalen Proteste nicht antizipiert. Sie sollte genauer hinsehen, welche Prozesse zu welchem Protestpotenzial führen, und ihre Analyseanstrengungen verstärkt auch in den Dienst der Bürgerproteste stellen […] Soziale Bewegungen als fünfte Kraft im demokratischen Gefüge der Republik und nicht als fünftes Rad am Wagen.“ (1)

Wir sind dann im Juni 2012 mit dem Friedensgutachten unterm Arm nach Brüssel gefahren; die Evangelische Kirche Deutschlands wollte dort Manis Aufsatz zum Gegenstand einer Debatte mit Europaabgeordneten machen. Er nutzte das für ihn eher ungewöhnliche Terrain und Forum, um die Dringlichkeit neuer direkter Demokratieformen gegen die Sattheit der deregulierten Welt anzumahnen.

Es lohnte sich immer, mit dem Macher und Moderator von Bewegung in die Tiefe zu diskutieren. Die Logistik von Aktionen war nach vielen Jahren zwar nie Routine, aber doch ein vergleichsweise Leichtes geworden. Von der Logik und Unlogik politischen Handelns hingegen fühlte sich Mani gefordert: Ihn interessierten die Hintergründe von Protest, die veränderten Bedingungen von Einmischung, die Mühen des Sisyphos...

Du wirst uns so verdammt fehlen, Mani, wenn wir einen zeitgemäßen Pazifismus gegen die neuen Kriegsszenarios „in Stellung bringen“ müssen!

 

Anmerkung
1 Manfred Stenner (2012): Politik aus dem Netz und von der Straße – Bewegung für eine demokratischere und friedlichere Welt? In: Bruno Schoch, Corinna Hauswedell, Janet Kursawe, Margret Johansen (Hrsg.): Friedensgutachten 2012. Münster: LIT, S. 168-180.

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Corinna Hauswedell ist Historikerin, leitet Conflict Analysis and Dialogue in Bonn (www.hauswedell-coad.de) und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der FEST in Heidelberg (www.fest-heidelberg.de).