Gelingt es, die Schwingen des Adlers zu stutzen?

Friedenskonferenz auf Okinawa

von Andreas Buro
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In den letzten November-Tagen blühen auf Okinawa schon Straßenbäume in großer Pracht. Ein Hauch von Frühsommer liegt über der Hauptstadt Nana, der ab und zu vom fernen Donner tieffliegender US-Jets durchbrochen wird. Okinawa, das ist der am südlisten gelegene Inselkomplex Japans, der auf der Höhe der Sahara liegend, Taiwan näher ist als den Japanischen Hauptinseln. Das ist auch jene Insel, die von den amerikanischen Invasionstruppen im zweiten Weltkrieg als erste japanische Insel in einer ungeheuerlichen Materialschlacht erobert und in vielen Teilen verwüstet würde. Der erbitterte Widerstand der japanischen Verteidiger nahm auf die Zivilbevölkerung kaum Rücksicht, denn es galt damals Zeit für die Verteidigung der Hauptinseln zu gewinnen. Für wenige Tage längeren Widerstandes starben damals etwa 1/5 der Inselbevölkerung. In den Museen der Insel sehe ich Fotos von Schulkindern - Mädchen und Jungen - mit ernster Gesichtern, die fast wie ein Heiligtum die Last der Vaterlandsverteidigung mittragen, und die dann doch von den japanischen Kommandeuren zynisch, rücksichtslos in den Kämpfen vernichtet werden. Sahen wir damals auch so aus?

Die Japanische Friedenskonferenz 1995 - getragen von vielen verschiedenen Gruppen unter denen die japanische kommunistische Partei eine hervorragende Rolle spielt - war nach Naha gelegt worden. Vom 21. bis zum 25. November fand dort erst ein internationales Symposium statt, dem sich eine Konferenz mit Japanern von allen Inselteilen anschloss. Als Teilnehmer aus Europa wurde ich immer wieder nach unseren Erfahrungen im Kampf um Abrüstung und nach der Rolle der USA via NATO in Europa gefragt. Dahinter lag das Interesse zu erfahren, ob es und welche Gemeinsamkeiten es zwischen der europäischen und pazifischen Region gäbe. Ich habe diese Frage mit einem Bild beantwortet, das mir selbst dort, also auf einem anderen Teil der Erde stehend, deutlich wurde. Die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und anläßlich des Golf-Krieges vom damaligen Präsidenten verkündete Neue Weltordnung ist die bewaffnete Pax Americana, welche durch den amerikanischen Adler symbolisiert werden kann. Die beiden mächtigen Schwingen des Adlers sind nach Europa hin die NATO und nach Asien gerichtet jenes System von US-Stützpunkten und Militärbündnissen in deren Mittelpunkt der US-Japanischen Sicherheitsvertarg steht.

Die Friedensbewegung in Europa und im pazifischen Raum hätten zum Ziel, die militärischen Flügel des Adlers zu stutzen und stattdessen Netze ziviler Konfliktbearbeitung zu knüpfen, durch die vorbeugend rechtzeitig eine Deeskalation von Konflikten und ihre politische Lösung betrieben werden könne. Freilich bedarf das Bild vom Adler der detaillierteren Ausmalung. Die Unterschiede im Bereich der beiden Schwingen sind groß. Aber dennoch stellt es den Zusammenhang meines Erachtens angemessen und einleuchtend dar. Es zeigt auch den Aufstieg der ehem. Achsenführungsmächte Deutschland und Japans zu Vorächten der jeweiligen Adlerschwingen. Für Deutschland im Rahmen der EU braucht ich das hier nicht zu erläutern. In Japan ist Verfassungsverbot einer Remilitarierung längst durch den Aufbau sog. Selbstverteidigungskräfte unterlaufen worden. Der Etat für diese Kräfte liegt je nach Wechselkurs im Bereich dessen, was hier für die Bundeswehr ausgegeben wird. Daß die Selbstverteidigungskräfte Japans modernst ausgerüstet sind, versteht sich bei dem hohen Stand der japanischen Technologie und Elektronik von selbst. Den Sprung zur Atommacht könnte Japan leicht schaffen. Das scheinbar unsinnige Festhalten an der Technologie der Schnellen Brüter wird erst unter der Perspektive der Produktion von Uran als Bombenrohstoff für viele verständlich.

In der Japanischen Politik und Gesellschaft findet seit einiger Zeit eine analoge Auseinandersetzung zu der in Deutschland geführten Kontroverse über Blauhelmeinsätze und out-of-area statt. Psychologische Schlüsselbereiche der Diskussion sind, wie in Deutschland mögliche Einsätze japanischer Soldaten in 'humanitären Missionen`- z.B. auf den Golan-Höhen. Die Bevölkerung soll so schrittweise an die Entsendung von japanischen Soldaten out-of-area und außerhalb von Verteidigungsaufgaben gewöhnt werden. In Deutschland kennt man sehr wohl diese Art von psychologischer Salamitaktik. Hierzu gehört auch die erneute Bestätigung (Re-affirmation) des Sicherheitsvertrages, der bei dieser Gelegenheit uminterpretiert werden soll: Stärkere Eingliederung Japans in die US-Globalstrategie, Einbeziehung japanischer Streitkräfte in die US-Ausbildungs- und Manöverprogramme, sowie die verstärkte Heranziehung Japans zur Finanzierung und Logistik der US-Basen und für Hilfsleistungen. Worauf dies alles hinauslaufen kann, wird an einer in Auftrag gegebenen Untersuchung deutlich. In ihr sollen die Möglichkeiten einer aktiven Rolle der 'Selbstverteidigungskräfte' bei eventuellen Sanktionen von US-Streitkräften gegenüber Nordkorea untersucht werden.

Vertraut klingen auch die Argumentationen, welche die Vertragsbefürworter vortragen. Die einen sagen, der Vertrag sei unabdingbar für die Stabilität der Region, während andere in der gleichen Absicht argumentieren, der Vertrag sei erforderlich, um Japan daran zu hindern, eine Militärmacht zu werden. Freilich zeigt der Blick zurück, daß Japan gerade unter dem Vertragsregime ständig aufgerüstet hat. Wie ähnlich doch die Beschwichtigungsstrategien im pazifischen und im europäischen Raum sind! Neu war für mich die Argumentation, die geringe Bereitschaft der Regierung, sich kritisch auf die Kolonialmacht-Vergangenheit Japans einzulassen, hinge ganz eng mit dem Ziel der Herrschenden zusammen, doch letztlich wieder eine eigenständige Militärmacht aufzubauen.

In Okinawa, aber auch in Japan bestand an den Themen der Friedenskonferenz großes Interesse. Nach Umfragen der Nikkei Shimbun war der Anteil der Bevölkerung, der die Auflösung des `Sicherheitsvertrages' mit den USA forderte, vom August 1996 bis zum Oktober von 28% auf 40% gestiegen. Auf Okinawa hatte der Prostet gegen die großen Militärstützpunkte auf der Insel und ihren tiefgehenden Einfluss auf das Leben der Bevölkerung durch die Vergewaltigung eines Schulmädchens durch GIs einen enormen Auftrieb erfahren. Im Hintergrund steht, daß weitere Ländereien für die Ausweitung der Basen konfisziert werden sollen. Die Bauern, die ohnehin schon viel ihres Landes haben abgeben müssen, weigern sich und der Gouverneur der Insel steht auf ihrer Seite. Außerdem laufen im März '96 die Pachtverträge der US-Force für ihre Basen aus. Dazu kommen die auch in Deutschland so bekannten Tiefflug-Probleme und vieles andere mehr. Trotz all dieser Kontroversen war die Friedenskonferenz doch eher heiter. Man hoffte auf eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Als schließlich im großen Schauspielhaus von Naha die Konferenz mit vielen Reden, Sketchs und Gesängen zu Ende ging, tanzten alle auf der Bühne und im Saal nach der Musik traditioneller japanischer Lauten, man wurde freudig umringt, vorgestellt, begrüßt und verabschiedet. Offen blieb freilich die Frage, ob nur einige Basen geschlossen und Pachtverträge verbessert werden würden, oder ob es tatsächlich gelingen könnte, die pazifische Schwinge des Adlers zu stutzen.

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