Möglichkeiten Gesamteuropäischer Zusammenarbeit

Für eine europäische Friedensordnung

von Karsten D. Voigt

Ziel der SPD ist eine Europäische Friedensordnung. Wer dieses Ziel erreichen will, muß sich zwischen Ost und West um Entfeindung, Entmilitarisierung und Zusammenarbeit bemühen.

Wer in der historischen Perspektive die Spaltung Europas überwinden will, muß heute neue Brücken zwischen Ost und West errichten. Stabilität ist in den Ost-West-Beziehungen nicht nur ein politisches Mittel, sondern auch ein politisches Ziel. Stabilität ist Vorbedingung für friedlichen Wandel. Brücken müssen stabil sein, damit sie ohne Risiko begangen werden können. Stabile Beziehungen können durch ihre Intensität und Dauer die Qualität der Beziehungen verbessern und wechselseitig zum Abbau der Bedrohungswahrnehmungen und von Feinbildern beitragen. Eine Politik des Interessenausgleichs verlangt ein Maximum an politischer, ökonomischer, wissenschaftlich-technischer und kultureller Kooperation und jenes Minimum an militärischen Fähigkeiten, das eine ausreichende Verteidigungsfähigkeit gewährleistet.

Solange es keine gewaltfreie Friedensordnung gibt, bedarf Friedenspolitik in Europa des Rückhaltes in einer auch militärisch abgestützten Sicherheitspolitik. Für defensive militärische Ziele reicht auf beiden Seiten eine nach dem Prinzip der Hinlänglichkeit organisierte Verteidigung aus. Im Sinne der Friedensgestaltung muß sie durch eine aktive Entspannungs- und Abrüstungspolitik ergänzt werden.

Die NATO hat es nicht nötig, der Sowjetunion Angriffsabsichten zu unterstellen, um ihre Verteidigungsanstrengungen zu legitimieren. Meiner Meinung nach hegt die Sowjetunion gegenwärtig und auf absehbare Zeit keinerlei Angriffsabsichten gegenüber der NATO. Auf dem Wege zu einer europäischen Friedensordnung soll die Verteidigungspolitik der NATO verhindern, daß die Sowjetunion durch militärische Vormacht die Bedingungen des Friedens einseitig bestimmen kann. Die kriegsverhindernde Funktion von militärischen Potentialen ist primär die Abwehr potentieller, wenn auch nicht aktueller Angriffsabsichten. Die Verteidigungspolitik muß durch Stärkung der Verhandlungsfähigkeit und Verhandlungsbereitschaft aber auch zur Friedensgestaltung und damit zur beidseitigen schrittweisen Entmilitarisierung beitragen.

Die militärische Stabilität bei verringerter Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu gewährleisten, ist die Aufgabe der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in Westeuropa. Sie kann gleichzeitig ohne zusätzliche Aufrüstung die Handlungs- und Verhandlungsfähigkeit Westeuropas gegenüber den Staaten Osteuropas verbessern. Das Nebeneinander von westeuropäischer Zusammenarbeit und KSZE symbolisiert, wie sich in der Außen- und Sicherheitspolitik der Prozeß der westeuropäischen Einigung mit gesamteuropäischen Perspektiven verbinden kann.

Die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern Verhandelter Rüstungskontrolle und Anhängern einer 'einseitigen Umrüstung kann überwunden werden, wenn beide Vorstellungen in ein Konzept konventioneller und nuklearer Abrüstung in Europa eingebunden werden. Weder darf die Umrüstung ausschließlich auf defensive

konventionelle Strukturen von Rüstungskontrollerfolgen abhängig gemacht werden, noch sollte man sich der Illusion hingeben, ohne kooperative Rüstungssteuerung könnten wirksame stabilitäts konforme Strukturen auf Dauer in Europageschaffen werden.

Verhandelte Rüstungskontrolle und einseitige Stabilisierung durch Umrüstung können sich gegenseitig ergänzen und befördern. Aufgabe der Rüstungskontrolle mit der Warschauer Vertragsorganisation wäre es, die besonders zur Offensive geeigneten Verbände auf beiden Seiten zu reduzieren. Verhandlungen über konventionelle Rüstungsminderung in Europa müssen mit dem Ziel begonnen werden, schwer gepanzerte und hochbewegliche Verbände auf beiden Seiten abzubauen. Darüber hinaus dienen diese Gespräche mit der Warschauer Vertragsorganisation dem Zweck, einvernehmlich Kriterien der Stabilisierung zu definieren, Bedrohtheitsvorstellungen zu kommunizieren, sie gegebenenfalls zu verändern sowie schließlich gemeinsam festzulegen, was hinlängliche Verteidigungsfähigkeit bedeutet. Kurz, es handelt sich darum, konventionelle Stabilisierung als gegenseitigen Lernprozeß zu organisieren.

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