Die G7/G8 als sicherheitspolitisches Sprachrohr

G8 - Supervision der Mächtigen

von Stefan Schoppengerd

In ihrer gemeinsamen Sicherheitspolitik zeigt sich, dass die G7/G8 kein Block, sondern eine Gruppe mit bisweilen höchst unterschiedlichen Interessen ist. Sie macht aber auch deutlich, dass jenseits der UN-Strukturen gravierende politische Weichenstellungen vollzogen werden. In den 1980ern wurde Japan in die westliche Bündnispolitik einbezogen, in den 1990ern Russland, und ab dem 11. September 2001 stand das Bündnis beim »Krieg gegen den Terror« im Mittelpunkt.

»Die NATO hat viele Mitglieder. Es ist wichtig, dass die Mitglieder, die die größte Verantwortung tragen, Gelegenheit haben, sich zu treffen und ihre Ansichten auszutauschen. Die Gipfeltreffen sind eine gute Gelegenheit für solche Gespräche.« So verdeutlichte Helmut Schmidt, der als Bundeskanzler die Gründung der »Gruppe der Sieben« vorangetrieben hatte, die Bedeutung der Gipfel als informelles Forum sicherheitspolitischer Richtungsentscheidungen. Seit den frühen 1980ern nimmt die G7/G8 die Rolle als machtvolle Akteurin in strategisch wichtigen Konflikten wahr - nicht selten als Schlichterin zwischen UNO, NATO und den jeweils beteiligten Staaten.

Die postsowjetische Ordnung
In den 1980er Jahren hatte das Wettrüsten zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion seinen Höhepunkt erreicht. Das System der gegenseitigen Abschreckung war zwar einigermaßen stabil, hatte jedoch überall auf der Welt zu so genannten Stellvertreterkriegen geführt - und es war sehr teuer und damit für die Ökonomien der beteiligten Staaten ein ständiges Hemmnis. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 endete diese Mächtekonstellation, die über einige Jahrzehnte das wichtigste Strukturmerkmal in der internationalen Politik gewesen war. Der Übergang in eine »Neue Weltordnung«, den US-Präsident George Bush sen. euphorisch verkündete, erwies sich allerdings hinsichtlich militärischer und kriegerischer Bedrohungen kaum als Verbesserung.

Die Hoffnungen, Krieg und Gewalt würden mit dem Ende der Systemkonkurrenz als Mittel der internationalen Politik an Bedeutung verlieren, haben sich schnell zerschlagen. Im Gegenteil gehört Krieg wieder zum regulären Maßnahmenrepertoire internationaler Konfliktbearbeitung. Die wahnwitzigen militärischen Kapazitäten, die im Rahmen des Wettrüstens zwischen Ost und West aufgebaut worden waren, sind insgesamt nicht verringert worden. Inzwischen haben die weltweiten Militärausgaben beinahe wieder den Höchststand des Kalten Krieges erreicht. 2005 wurden den Erhebungen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) zufolge 1.118 Milliarden US-Dollar in Militär und Rüstung investiert - das sind 2,5 Prozent des weltweiten BSP oder ca. 173 US-Dollar pro Kopf der Weltbevölkerung. Allein die USA bestreiten 48 Prozent dieser Ausgaben, die 15 militärisch bedeutendsten Länder kommen zusammen auf 84 Prozent. Der Anteil der NATO-Staaten beträgt 70 Prozent.

Dass sicherheitspolitische Themen seit Beginn der 1980er Jahre zur offiziellen Tagesordnung der G7/G8-Gipfel gehören, geht vor allem auf die Regierungen Kanadas und Italiens zurück. Sie wollten damit ihren Einfluss auf die westliche Strategieentwicklung erhöhen. Seither ist die übliche Form, in der bei den Treffen Sicherheitspolitik »gemacht« wird, die Veröffentlichung »gemeinsamer Standpunkte« zu aktuellen Ereignissen und Entwicklungen. Sie sind meist im Vorfeld der Gipfel durch die »Sherpas« (wie die den Gipfel vorbereitenden Diplomaten genannt werden) und bei den Treffen der Außenminister ausgearbeitet worden. Seit einer scharfen Verurteilung des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan durch die G7 im Jahr 1980 haben sicherheitspolitische Fragen ihren festen Platz auf der Tagesordnung und in den Kommuniqués der Gruppe.

Bis 1993 waren die Ost-West-Beziehungen das beherrschende Thema dieser Erklärungen. Seitdem haben sie häufig den Charakter eines kommentierenden Streifzugs durch die Konfliktregionen der Welt, bei dem »Besorgnis« geäußert und an »Einsicht und Dialogbereitschaft appelliert« wird. Ein seit 1990 von der G7/G8 viel beachtetes Thema ist die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Hier geht es in erster Linie darum zu verhindern, dass Material und Know-how aus der ehemaligen Sowjetunion in die Hände von Terroristen und potenziell bedrohlichen Staaten gelangen (wie Nordkorea, Libyen, Iran). Dieses Anliegen wird seit den Terroranschlägen in New York von den USA massiv vorangetrieben. Auf dem Gipfel von 2002 wurde ein mit 20 Milliarden US-Dollar ausgestattetes Programm zur Vernichtung sowjetischer Waffenbestände und zur Weiterbeschäftigung russischer WissenschaftlerInnen beschlossen.

Experten in der Gruppe
Mit der Ausweitung der Themenpalette der G7 und später der G8 ist auch die Schaffung neuer Strukturen verbunden. Neben den separaten Treffen der Außenminister sind eine Reihe von Spezialeinrichtungen geschaffen worden, so die Arbeitsgruppe für nukleare Sicherheit (gegründet 1992), die Expertengruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (gegründet 1995), die »Lyon-Gruppe« zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens (ebenfalls 1995), die Expertengruppe zu Finanzverbrechen (1997) und die Expertengruppe für Exportkontrollen zur Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen.

Wie bei der globalen Wirtschaftspolitik ist auch die Sicherheitspolitik der G7/G8 in einem Umfeld von internationalen Organisationen zu verorten, die ausschließlich für diesen Bereich zuständig sind, hier vor allem der UN-Sicherheitsrat und die NATO. Außer Japan und Russland sind alle G8-Staaten Mitglieder des Militärpakts. Eine wichtige Funktion der G7/G8 bestand daher stets darin, die Nicht-NATO-Mitglieder mit der Politik des Bündnisses zu versöhnen.

In den 1980ern gelang dies über die Einbeziehung Japans in die Strategie der transatlantischen Mächte. Die japanische Regierung war darum bemüht gewesen, nicht unmittelbar in die Blockkonfrontation eingebunden zu werden. Zuerst in den Diskussionen über angemessene Reaktionen auf die Afghanistan-Politik der UdSSR, später in der Ausgestaltung des NATO-Doppelbeschlusses (Stationierung von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern in Westeuropa) fand eine deutliche Annäherung Japans insbesondere an die USA statt. Von hoher symbolischer Bedeutung für diese Entwicklung war der G7-Gipfel in Williamsburg 1983, bei dem trotz Differenzen im Detail eine Erklärung verabschiedet wurde, die die prinzipielle Geschlossenheit gegenüber der Sowjetunion betonte. Dies war das erste Mal, dass sich ein »Weltwirtschaftsgipfel« mit der strategischen Dimension des Ost-West-Konfliktes beschäftigte. Hintergrund war ein Strategiewechsel der japanischen Regierung nach dem Amtsantritt des Premiers Nakasone 1982, dessen erklärtes Ziel die Annäherung an die USA und den kapitalistischen Teil Europas war.

Die erste Initiative für eine russische Teilnahme an den Weltwirtschaftsgipfeln war noch zu Sowjetzeiten von Gorbatschow ausgegangen. Sie sollte die stärkere Weltmarktöffnung der sozialistischen Ökonomie begleiten - es ging also ursprünglich um eine Einbeziehung in die Gestaltung der globalen Wirtschaft. Durch das ökonomische Desaster, das mit dem Ende der Sowjetunion und der Transformation zu einer kapitalistischen Ökonomie einherging, konnte der Anspruch, zu den »wichtigsten Industrienationen« zu gehören, kaum noch glaubhaft vertreten werden. Dass der russische Präsident Jelzin 1997 trotzdem erstmals an einem Gipfeltreffen teilnahm, war also ein Zug der G7, der sich nicht aus der wirtschaftlichen Bedeutung Russlands ergab, sondern zur Beilegung des Konflikts um die Osterweiterung der NATO beitragen sollte. Im März 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn dem Bündnis bei, 2004 folgte eine zweite Erweiterungsrunde um Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Damit dehnte sich das NATO-Territorium auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion aus.

Guter Rat ist teuer
Ein gänzlich anderes Verhältnis besteht zwischen G7/G8 und UN-Sicherheitsrat, der zu den bedeutendsten Organen der Vereinten Nationen zählt. Im Unterschied zur UN-Generalversammlung, der Zusammenkunft aller Mitgliedsstaaten der UNO, kann der Sicherheitsrat völkerrechtlich bindende Beschlüsse fällen. Zehn seiner 15 Mitglieder werden im Zwei-Jahres-Rhythmus von der Generalversammlung gewählt. Die anderen fünf - China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA - sind ständige Mitglieder. Bei Sicherheitsratsbeschlüssen ist die Zustimmung aller ständigen Mitglieder erforderlich; sie haben also faktisch ein Vetorecht. Besonders bedeutend ist die Kompetenz des Sicherheitsrates, zur völkerrechtlich legitimierten Kriegführung zu ermächtigen. Grundsätzlich verbietet die UN-Charta militärische Gewalt. Ob die Kriterien für eine Ausnahme von dieser Regel erfüllt sind, wird im Sicherheitsrat entschieden.

Zu Zeiten der Blockkonfrontation war der Sicherheitsrat durch die meist gegensätzlichen sicherheitspolitischen Interessen der beiden Großmächte weitgehend handlungsunfähig. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre zeichnete sich ein Bedeutungsgewinn der UNO ab, der seinen Grund in einem entsprechenden Strategiewechsel der USA hatte. Der Krieg gegen den Irak 1990 konnte durch eine Resolution des Sicherheitsrates abgesichert werden. Die G7 legte 1991 ein enthusiastisches Bekenntnis zur Rolle der UNO ab: »Nach unserer Auffassung sind jetzt die Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Vereinten Nationen die Hoffnungen und Ideale ihrer Gründerväter in vollem Umfang verwirklichen. Wir verpflichten uns, die Vereinten Nationen stärker, effizienter und wirksamer zu machen.«

Tatsächlich forcierte die US-Regierung Anfang der 1990er noch so genannte Peacekeeping-Einsätze in Somalia und in Bosnien. In der Folge setzte jedoch ein Prozess der erneuten Marginalisierung der UN ein, in dem gegebenenfalls auch ohne Mandatierung durch den Sicherheitsrat Krieg geführt wurde. Zwar finden sich in den Gipfelkommuniqués der G7 bzw. G8 regelmäßig Bezüge auf die UN-Charta, die Erklärung der Menschenrechte oder auf Resolutionen des Sicherheitsrates - von einer aktiven Stärkung der UNO durch die G7-Staaten kann aber keine Rede sein. Die Ressourcenausstattung bleibt knapp (was nicht zuletzt an ausstehenden Beitragszahlungen der USA liegt) und politisch werden die Gremien der Vereinten Nationen nur selektiv genutzt. Eine eindeutige Instrumentalisierung des Sicherheitsrates durch die G7/G8 (vergleichbar mit der Beziehung der G7 zum IWF im Bereich der Finanzpolitik) wird allerdings sowohl durch das Vetorecht Chinas wie durch mitunter große sicherheitspolitische Differenzen innerhalb der G8 und ihren Sicherheitsratsmitgliedern verhindert.

Der NATO-Doppelbeschluss
Am 12. Dezember 1979 beschloss der NATO-Rat, Ende 1983 einige hundert Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa zu stationieren. Gleichzeitig wurden der Sowjetunion Verhandlungen über die Begrenzung von Mittelstreckenraketen angeboten, bei denen im Falle eines Abbaus sowjetischer Raketen auf die Neustationierung verzichtet werden sollte. Diese Parallelität von Aufstellungsentscheidung und Verhandlungsangebot führte zum Begriff »NATO-Doppelbeschluss«. Die Entscheidung war bei einem »Vier-Mächte-Treffen« von Carter, Schmidt, Callaghan und Giscard im Januar 1979 vorbereitet worden. Sowohl die Exklusivität dieses Treffens wie auch der Gehalt des Beschlusses führten zu Konflikten im westlichen Lager. Die drei nicht an dem Januar-Treffen beteiligten G7-Regierungen sahen sich in einer wesentlichen strategischen Entscheidung marginalisiert. Die Weltwirtschaftsgipfel waren gerade dabei, zu einer dauerhaften Einrichtung zu werden und boten, so die Argumentation der Drei, ein geeignetes Forum zur Behandlung gemeinsamer sicherheitspolitischer Probleme. Entsprechend unternahmen sie als Gastgeber der folgenden Gipfel - Tokio 1979, Venedig 1980 und Ottawa 1981 - erste Versuche, die Tagesordnung von der Beschränkung auf Wirtschaftsfragen zu lösen.

Der Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: iz3w Nr. 3/4 07 und von der Redaktion gekürzt.

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Stefan Schoppengerd ist Politikwissenschaftler und im BUKO-Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft aktiv. Er ist Autor der Studie »Die G7/G8-Gipfel in der internationalen politischen Ökonomie«.