Religion bei der Low-Intensity-Warfare (LIC)

Geistlicher Zermürbungskampf

von Heinrich Schäfer

Psychologische Aufstandsbekämpfung in den Ländern Zentralame­rikas geschieht teilweise im engen Konnex mit protestantischen Grup­pen aus dem fundamentalistischen und pfingstlerischen Spektrum. Diese Zu­sammenhänge hat der Theologe Heinrich Schöfer vor Ort er­forscht. In seinem Beitrag für die „Evangelischen Kommentare“ 12/90 zeichnet er das Bild einer Strategie politischer Manipulation mit religiösen Mitteln. Wir bedanken uns für die Abdruckgenehmigung in gekürz­ter Fassung.

Von „Verschwörung“ kirchlicher und militärischer Kräfte der USA im Inter­esse der Bekämpfung von Freiheitsbe­wegungen in Mittelamerika ist in den letzten zehn Jahren verstärkt die Rede; besonders im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Protestantismus. Gelegentlich wird gar sein starkes Wachstum in der Region aus seiner Un­terstützung durch die CIA abgeleitet. Diese etwas hilflose, häufig von katholi­schen Amtsträgern vorgeschlagene Er­klärung verkennt die soziale Dynamik Mittelamerikas und die Fähigkeit ver­schiedener Strömungen des Protestan­tis­mus, die sozialen Veränderungen re­ligi­ös aufzugreifen. Wenngleich die Zu­nah­me des Protestantismus in Mittelameri­ka nicht auf geheimdienstliche Opera­tionen zurückgeführt werden kann, so kommt es dennoch immer häu­figer zur Aufdeckung direkter Zusam­menarbeit evangelikanischer Institutio­nen mit Ge­heimdiensten und Militär.

Strategie psychologischer Kriegsführung
In einen der letzten, besonders eklatan­ten Fälle ist Oberstleutnant Oliver North höchstpersönlich verwickelt. Er war es, der - nach Informationen der US-Jour­nalistin Sara Diamond und des Research Center Albuquerque - den „Gospel Cru­sade“ (Evangeliumsfeldzug) des Neo­pfingstlers Gerald Derstine und die Nie­derlassung der „International Chri­stian Embassy Jerusalem“ in Honduras zur direkten Zusammenarbeit mit der nica­raguanischen Contra verholfen hat. Mit anderen Organisationen habe North, so Derstine zu Sara Diamond, die glei­chen Übereinkünfte. In „Youth With a Mis­sion“ (Jugend mit einer Mission) in „Campus Crusade for Christ“ (Campus für Christus) und einer großen Zahl an­derer, weniger bekannter Organisatio­nen der religiösen Rechten haben Ge­heimdienste und Militär der USA und Lateinamerikas enge Verbündete.

Das zivil-militärische Konzept der „Aufstandsbekämpfung“ (Counterinsur­gency) stellt dabei ein wissenschaftlich geplantes System aus mehreren militäri­schen und nichtmilitä­rischen Elementen dar. Militärische Übergriffe von zuwei­len großer Grau­samkeit gegen die Zivil­bevölkerung werden - verteilt auf ver­schiedene Trup­penteile und Situationen - mit sozialen „Entwicklungsprogram­men“ und Propagandakampagnen unter Einsatz aller verfügbaren ideologischen Mittel kom­biniert. Nach Probeläufen auf den Phi­lippinen, in Malaya und in Grie­chenland wurde das Konzept der Aufstandsbekämpfung unter dem Ein­druck der kubanischen Revolution in den sech­ziger Jahren stark verbessert und in der zwei­ten Hälfte der sechziger Jahre auch auf Guatemala angewandt. In Vietnam erlitt diese Militärdoktrin eine schwere Nie­derlage. Wenig beachtet in den sieb­zi­gern wurde sie erst unter Rea­gan wie­der aufgenommen und wei­terentwickelt, vor allem um die Kompo­nente der Kriegsführung niedriger In­tensität (LIC).

US-Außenpolitik gegen Befreiungstheologie
Die problemgebeutelte US-Außenpolitik hält sich allerdings in den siebziger Jah­ren zurück mit der Erstellung neuer Analysen und Handlungsmodelle hin­sichtlich religiöser Fragen in Lateiname­rika. Erst 1980 schlägt ein außenpoliti­sches Strategiepapier, welches auf die Regierung Reagan einen starken Einfluß erhalten sollte, einen bisher ungewohnt scharfen Ton an. Das „Santa-Fe-Papier“ (nach dem Tagungsort der Planungs­gruppe) stellt fest: „Die Außenpolitik der USA muß damit beginnen, der Theo­logie der Befreiung, wie sie in La­teina­merika durch den Klerus der Theologie der Befreiung angewendet wird, zu be­gegnen (und nicht nur im Nachhinein zu reagieren)ö. Mit diesem bekannten Text ist im Zuge der allge­meinen Wiederauf­rüstung der US-Ge­heimdienste auch ein verstärktes Wiederaufnehmen der Ope­rationen auf dem Feld der Religion an­gezeigt. Zum einen meint dies die Ana­lyse und Bekämpfung der christlichen Basisbewegung, wie es die Dokumente der „XVII. Konferenz der Amerikani­schen Armeen, 1987“ deutlich machen; zum anderen verweist es auf die Instru­mentalisierung der Reli­gion für die psy­chologische Kriegsfüh­rung.

Instrumentalisierung von Religion ist nicht unbedingt auf die Mitarbeit von kirchlichen Akteuren angewiesen. Es kann sich auch um die Manipulation mit religiösen Vorstellungen in den Medien handeln. In diesem Sinne hat die CIA die nicaraguanische Oppositionszeitung „La Prensa“ nach dem Sieg der sandini­stischen Revolution benutzt, ähnlich wie den „Mercurio“ in Chile unter der Re­gierung Allende und den „Daily Glea­ner“ in Jamaica während Michael Man­leys Regierungszeit. Der Einsatz religiöser Manipulation war dabei in Nicara­gua besonders stark. Diese Form der ideologischen Manipulation ist freilich unabhängig von kirchlicher Vermitt­lung. Sie bedarf lediglich der Bereit­schaft zur Mitarbeit der Zeitungsmacher und/oder hinreichend Bestechungssum­men.

In Guatemala hat sich, mit dem neo­pfingstlichen Medienriesen „Trinity Broadcast“ aus Californien im Rücken, eine neopfingstlich dominierte Fernseh­station etabliert. Der Canal 21 bringt vor allem Teleevangelisation nach US-Strickmuster. Die Nachrichtensendun­gen bezieht er zum größten Teil aus dem Informationsservice der US-Botschaft in Guatemala.

Hier stellt sich die weitergehende Frage nach den kirchlichen, genauer: den pro­testantischen Akteuren im Einsatz von Religion für die Zwecke der Aufstands­bekämpfung in Mittelamerika. Es ist hinlänglich bekannt, daß bei der Agen­tenwerbung oft mit Geld gearbeitet wird. Dies ist freilich im Bereich reli­gi­öser Institutionen aufgrund der relativ starken moralischen Bindung der Akteu­re und einer Sehnsucht nach der Rein­heit der Motive eine zweischnei­dige An­gelegenheit. Eine Handvoll Dollars wür­den viele Kirchenleute si­cher empört zu­rückweisen, auch wenn sie durchaus zum Schutz der US-ameri­kanischen In­teressen in der Dritten Welt beizutragen bereit wären.

Umso wichtiger sind daher die Mecha­nismen, die die religiösen Überzeugun­gen und Energien für die Zwecke der Aufstandsbekämpfung mobilisieren und kanalisieren, und solche, die die Beste­chung mit religiösen Inhalten vermit­teln. Am deutlichsten liegt die Motiva­tion bei den neopfingstlichen Kirchen zutage. Diese setzen sich fast aus­schließlich aus (Industrie-) Bourgeoisie und der ihr verbundenen Mittelschicht zusammen, aus Teilen der Gesellschaft also, denen ohnehin daran liegt, die Ver­armten unter Kontrolle zu halten. Es liegt sozusagen in ihrem wohlverstan­de­nen Interesse, der Aufstandsbekämp­fung zur Hand zu gehen. Sie wird ver­standen als Teil eines kosmischen Kam­pfes zwischen Gott und dem Teu­fel.

Die Kirchen einbinden in eine Gesamtstrategie
Die allgemeine ideologische Beeinflus­sung kann an die vorhandenen religiösen Vorstellungen der protestantischen Bevölkerung weitgehend anknüpfen. Ei­ne deutliche Tendenz besteht freilich da­rin, möglichst flächendeckend die As­so­ziationsreihe von Gott - Teufel, USA - Kommunismus, Militär - Guerilla zu verfestigen und die Mitglieder der Kir­chen unter dieser Voraussetzung poli­tisch zu aktivieren. Die hemisphärische Ausrichtung wird von den neopfingstli­chen Kirchen stark unterstützt und in politische Aktivität im Sinne der Festi­gung der US-Dominanz über die Wirt­schaft Mittelamerikas umgesetzt. Vor allem in der Propaganda in den USA zur Unterstützung des Regimes des Neo­pfingstlers Rios Montt in Gua­temala (1982-1983) tritt diese Position deutlich zutage. Hier wird offen die Frage des Zugriffs auf die lateinameri­kanischen Rohstoffe angesprochen. Guatemala sei, so wird der Privatsekre­tär des Ex-Präsi­denten Rios Montt, Franzisco Bianchi, in der Zeitschrift der „Maranatha Cam­pus Ministres“ zitiert, nur eine „Zwi­schenstation auf dem Weg (der Marxi­sten) zu den mexikanischen Ölquellen“. In einem weit verbreiteten Rundbrief der Führung der Kirche Rios Montts, El Verbo, in dem diese um Un­terstützung für dessen Aufstandsbe­kämpfung bittet, heißt es: „Indem wir so handeln (die Wahrheit verkünden und Rios Montt helfen) werden wir die Stel­lung der Marxisten schwächen und ihre Fähig­keit mindern, sich Guatemalas reiche Vorräte an Öl, Titanium und an­derer wertvoller Ressourcen zunutze zu ma­chen“. ...

Die neopfingstlichen Folterer wollen ihre Gewalt rechtfertigen
Eine besondere Funktion der religiösen Ideologie in der Aufstandsbekämpfung besteht darin, daß sie Gewissenskon­flik­te einzelner angesichts der Gewalt­an­wendung zerstreuen kann. Der pfingst­liche Bauer aus dem Widerstand in Gua­temala stellt im Interview diese Funk­tion auf der Ebene der unmittelbaren Er­fahrung in seinem Dorf dar: „Sie (die Pastoren) treiben (die Gewalt) voran, aber zugleich doch nicht - man spürt nichts. Denn genau das ist dort (im Dorf) passiert bei einigen Brüdern (der Asamblea de Dios) die in die Wei­ler ge­gangen sind; sie haben sich wie Solda­ten angezogen und sie gingen los. Sie haben dort Leute getötet. Als sie zu­rück waren, sagte ihnen ihr Gewissen, daß das nicht in Ordnung war, was sie getan hatten, daß das nicht gut war. Dann sagt aber der Pastor: 'Nein Brü­der, lobt ruhig Gott, denn ihr habt einen guten Dienst für den Herrn getan.'“ (Int. mit dem Verf.). Die Männer sind Diakone aus der Gemeinde; sie haben in den um­liegenden Weilern vermeintliche Sym­pathisanten der Guerilla und deren Fa­milien getötet. Der Pastor arbeitet nach Aussage des Interviewpartners eng mit dem Militär zusammen. Bei diesen Dia­konen müssen die Bedenken erst durch den Pastor zerstreut werden; bei den neopfingstlichen Folterern liegt da­gegen die Rechtfertigung der Gewalt von vorn­herein in einer bereits gefe­stigten religi­ösen Ideologie und wird von ihnen selbst geleistet. Dies kommt der Lösung des psychologischen Pro­blems, das die Gewaltanwendung für die militärischen Planer bedeutet, entge­gen.

JungdemokratInnen

In der Aufstandsbekämpfung oder der Kriegsführung mit niedriger Intensität ist rationelles, gezieltes Töten von un­be­waffneten Zivilisten – „chirurgische“ Schläge - von großer Bedeutung. Hier­bei spielen in der Rechtfertigung der Operationen und der psychologischen Bewältigung der Einsätze durch die Mannschaften Ausgrenzungsideologien eine große Rolle. Diese grenzen den Gegner - etwa als „Kommunisten“ - aus einer bestimmten, als richtig empfun­de­nen Gemeinschaft aus und lassen ihn als tötungswürdigen „Untermenschen“ er­scheinen. Der ehemalige Mitarbeiter im guatemaltekischen Innenministe­rium, Elias Barahona, sagt aus, er habe seit Ende der sechziger Jahre in seinem Kontakt mit Angehörigen der gua­te­mal­tekischen Armee beobachtet, daß sie von Ausbildungskursen in Aufstands­be­kämpfung selbst konvertiert zu­rückge­kommen seien. Damit sei ein Bewußt­seinswandel in Bezug auf ihre militäri­schen Aufgaben verbunden ge­wesen. Sie hätten gesagt: „Wenn wir töten, und töten einen Kommunisten, dann haben wir nicht gnädigt“. So le­gitimierten auch Mitglieder der El Verbo Kirche und der Regierung Rios Montt sowie das Militär die Greueltaten gegen die ei­gene Zivilbevölkerung. Francisco Bian­chi vor Journalisten in Guatemala zur Ermordung von unbe­kannten Zivilisten: „Die Indios sind Subversive. Es ist klar, daß sie getötet werden müssen, denn sie arbeiten mit der Subversion zusammen. Später heißt es dann, daß unschuldige Leute umge­bracht wurden. Aber die wa­ren nicht unschuldig; sie hatten sich an die Sub­version verdingt“.

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