Sind 1.000 Polizisten genug Öffentlichkeit?

Gelöbnix6 in Berlin 2002

von Ulrike Gramann
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Am 20. Juli 2002 versuchte die Bundeswehr zum sechsten Mal, in Berlin ein Gelöbnis öffentlich und außerhalb von Kasernen durchzuführen. Sie scheiterte auch in diesem Jahr: Dichte Polizeiabsperrungen verbargen einen eigens ausgewiesenen Sondernutzungsbereich der Bundeswehr und auf dem Antreteplatz des Kriegsministeriums blieb man völlig unter sich. Denn bei der geringen Anzahl handverlesener Gäste, die zudem von 240 Feldjägern und 1.000 PolizistInnen bewacht wurden, konnte von Öffentlichkeit keine Rede sein. Dass der Sicherheitsbereich, der die Bundeswehr vom wirklichen Leben trennt, mittlerweile 80 Fußballfelder groß ist, ist in erster Linie den hartnäckigen Protesten der Berliner AntimilitaristInnen zu verdanken.

"Öffentliche Gelöbnisse sind archaische Rituale. Feierlich wird die Individualität des Wehrpflichtigen zu Gunsten des Funktionierens aufgegeben. Wir protestieren aber nicht nur gegen das Ritual, sondern gegen die Bundeswehr als Ganzes. (...) In Deutschland gegen Krieg zu sein, heißt, gegen Bundeswehr und Großmachtstreben auf die Straße zu gehen." So heißt es im Aufruf des Berliner Gelöbnix6-Bündnisses, das rund 40 Gruppen umfasste, neben antimilitaristischen Gruppen wie der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär und Friedensorganisationen wie der DFG-VK auch Antifa-Gruppen sowie Jugendorganisationen von Parteien, darunter Grüne Jugend und Jusos. Wenngleich nicht jede einzelne Gruppe, die den Aufruf unterzeichnete, Hunderte TeilnehmerInnen an den Protesten mobilisieren konnte, ist es erfreulich, dass die Berliner GelöbnisgegnerInnen nach Jahren wieder auf einen gemeinsamen Nenner kamen - und das, obwohl der Aufruf nicht nur allgemeine friedenspolitische Willensbekundungen, sondern grundsätzliche antimilitaristische Positionen enthielt.

Im Vorfeld des Gelöbnisses mobilisierten die am Bündnis beteiligten Gruppen mit Diskussionsrunden und anderen Veranstaltungen zu den Protesten. Mitglieder der Berliner JungdemokratInnen/Jungen Linken bauten auf dem Alexanderplatz einen Parcours auf, auf dem sie und die PassantInnen vom Exerzieren übers Geloben und Schießen bis hin zum Sterben des Heldentods alles üben konnten, was ein guter Soldat können muss. Die satirische Aktion wurde von den PassantInnen unterschiedlich aufgenommen - Bundeswehrsoldaten sollen laut Presseberichten den Realismus der Übung begrüßt haben. Die Berliner Kampagne veranstaltete eine literarische Performance "Georg Elser trifft Adolf Hitler" mit dem Autor Hellmut G. Haasis. Anders als die soldatischen Attentäter des 20. Juli wird der Schreiner Elser, der schon 1939 durch ein Attentat die NS-Führung töten und damit den Krieg bereits zu Beginn verhindern wollte, bis heute vom offiziellen bundesrepublikanischen Gedenken ignoriert. Im Gegensatz zu Wehrmachtsoffizieren, die erst im letzten Moment das Ruder herumreißen und die bedingungslose Kapitulation Deutschlands verhindern wollten, eignet sich der Kriegsgegner Elser wohl nicht als Vorbild für Militär und Politik.

Bereits vor dem 20. Juli kündigte die Berliner Polizei an, Transparente mit der Aufschrift "Soldaten sind Mörder" aus der Demonstration zu entfernen. Damit hätte sich die Polizei rechtswidrig verhalten, da nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Gleichsetzung von "Soldatenhandwerk" mit Mord durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist. Zu solchen Übergriffen der Polizei kam es dann jedoch nicht. Allerdings machten es die strengen Sicherheitsvorkehrungen von Bundeswehr und Polizei in diesem Jahr noch schwerer, mit einer Aktion zivilen Ungehorsams auch am Gelöbnissort bemerkbar zu werden. Einige JungdemokratInnen/Jungen Linken hatten sich in der ehemaligen griechischen Botschaft - einem seit Jahrzehnten leer stehenden Gebäude in direkter Nähe des Kriegsministeriums - versteckt, um zur rechten Zeit Öffentlichkeit herzustellen und mit Lärm ihrer Meinung zu militärischen Ritualen Ausdruck zu geben. Sie wurden bei einer der zahlreichen Polizeikontrollen entdeckt und für einen Tag festgehalten. Dennoch blieb das Gelöbnis nicht völlig ungestört. Die Demonstration mit rund 1.200 TeilnehmerInnen musste zwar relativ weit entfernt vom Gelöbnisort stattfinden, der lautstarke Protest jedoch drang trotzdem bis zu den Rekruten vor. Trotz ungünstiger Bedingungen - Ferien, gleichzeitig stattfindende Grenzcamps - war die Demo größer als in den letzten Jahren.

Darüber hinaus ehrten die Kampagne und der Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann am 20. Juli Deserteure der Wehrmacht und "Wehrkraftzersetzer". Anders als in den Vorjahren durfte die Ehrung nicht im unmittelbaren Anschluss an den offiziellen Staatsakt zu Ehren der Attentäter des 20. Juli stattfinden, weil sonst womöglich die Augen der Ehrengäste durch den Anblick eines Kranzes für Opfer der NS-Militärjustiz beleidigt worden wären. Während die Bundeswehr das Andenken der Attentäter des 20. Juli für sich reklamiert und sich damit in die Tradition von Wehrmachtsoffizieren stellt, von denen viele bis zum Tag des Attentats an den NS-Verbrechen mitschuldig wurden, verweigert die Bundesregierung Deserteuren nach ihrer juristischen Rehabilitierung weiterhin das anerkennende Gedenken. Der konsequente Widerstand gegen den nationalsozialistischen Krieg passt nicht ins Geschichtsbild einer "selbstbewussten Nation", die Kriege führt.

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Ulrike Gramann ist Journalistin und Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung in Berlin.