Gemeinsame Zukunft - Welchen Inhalts?

von Martin Böttger

Knappe 60 Menschen aus verschiedenen Friedensinitiativen waren Mitte No­vember in Köln zusammengekommen, um auf Einladung des Komitees für Frie­den, Abrüstung zu Zusammenarbeit diese Frage zu diskutieren. Rezepte, wie "es" weitergehen soll, waren nicht versprochen, wurden auch nicht geliefert. Stattdes­sen versuchte mensch gemeinsam, den eigenen politischen Horizont zu erweitern.

Dem diente, daß bis auf ein 90-minüti­ges Schlußplenum ausschließlich in thematischen Arbeitsgruppen disku­tiert wurde. Major Jörg Schulze-Trieglaff (Mitglied des "Darmstädter Signals") machte in der Arbeitsgruppe zur Kritik der Abschreckung den An­fang. Er sprach nicht nur über militäri­sche Abrüstung, sondern wies auf die Notwendigkeit der "Abrüstung der In­dustriegesellschaften" hin. Bisher ist uns nämlich auch in der Friedensbe­wegung noch viel zu wenig gewärtig, daß die globale Ausweitung unseres mitteleuropäischen Lebensstils bereits das sichere Ende von allen bedeuten würde - ganz ohne Atomkrieg.

In der Arbeitsgruppe zur Europäi­schen Friedensordnung sorgte Peter Brollik (Initiative Dialog Europa) für Realitätsgewinn. Er erläuterte die ökonomischen Expansionstendenzen des "Europäischen Binnenmarktes" ab 1993), denen die osteuropäischen Ökonomien kaum relevantes entge­genzusetzen haben - eher werden sie im Gegenteil davon angezogen. Brollik vertrat die Einschätzung, daß diese Dynamik grundsätzlich nicht "verhindern" sei, die Linke vielmehr überlegen müssen, wie sie gestaltend darin eingreifen kann. Die Volksbewe­gungen in Osteuropa enthalten schließlich auch große Demokratisie­rungspotentiale. Der Kritik, warum in der AG so wenig über die "deutsche Frage" diskutiert werden, wurde von anderen entgegengehalten, daß mensch es im Kern der Sache schon die ganze Zeit tue, weil sie in diese Zu­sammenhänge eingebettet und ihr po­litisches Ergebnis wesentlich davon abhängig sei.

Die Arbeitsgruppen zur Ökologie und zur Ökonomie führten, unabgespro­chen, eine parallele Kontroverse: müs­sen wir verzichten, um die Probleme zu lösen. Michael Müller (SPD-MdB), Autor eines Buches über die drohende Klimakatastrophe, wies darauf hin, daß die ökologischen Hauptprobleme Energieverbrauch und Müllerzeugung bei 23% der Weltbevölkerung in den Industrieländern angesiedelt sind. Knut Krusewitz (Mitarbeiter der Grü­nen im Bundestag) erläuterte die vom Militär erzeugten Umweltschäden. Peter Wahl (Sekretär des Antiimpe­rialistischen Solidaritätskomitees [ASK] und Mitorganisator der Welt­bank/IWF-Kampagne) beschrieb die neokolonialistischen Abhängigkeiten der 2/3-Welt. Kontrovers blieb, ob wir nicht als Individuen und Konsumen­tInnen auch demonstrative Verzichtsaktionen zum Bestandteil unserer po­litischen Veränderungsstrategien ma­chen sollen. Oder reicht es aus, "die Herrschenden" in den kapitalistischen Ländern als Verursacher verantwort­lich zu machen (oder wird das gar zu wenig betrieben?)?

So viele Fragen. Die anschließende Diskussion über die nächsten Aufga­ben der Friedensbewegung ergab nach all diesen Eindrücken natürlich kein Ergebnis. Nur eine Minderheit von TeilnehmerInnen beklagte das Fehlen von Beschlüssen der Konferenz. Für die meisten war das politische Abreisegepäck erheblich schwerer gewor­den. In einer Zeit, in der die Quantität der Zusammenarbeit zwischen Ost und West zunimmt (zu Lasten des Süden!), stellen sich uns völlig neue Probleme, über die wir noch einiges lernen müssen. Die Konferenz "Gemeinsame Zukunft" war ein Bei­trag dazu, daß wir uns dieser Notwen­digkeit weniger verschließen.

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Martin Böttger ist Mitarbeiter des Ko­mitees für Frieden, Abrüstung und Zu­sammenarbeit und Mitglied im Bun­deshauptausschuß der Jungdemokraten.