Gesetze wie Schweizer Käse

von Gregor Witt

Wer erinnert sich nicht mit Grausen an die irakischen Raketenangriffe z.B. auf Tel Aviv. Vor wenigen Monaten befürchteten viele, daß ein wei­teres Mal Giftgas deutschen Ursprungs gegen Juden eingesetzt werden würde. In der Tel Aviv-Str. in Köln sitzt das Zollkriminalinstitut (ZKI), das unter dem Namen „Zollkriminalamt“ zur Superbehörde gegen illegale Rüstungsexporte werden soll. Das ist ein wichtiger Punkt von geplanten Änderungen des Außenwirtschaftsge­setzes. Kritiker bezweifeln, daß künftig weniger Rüstungsexporte in Krisengebiete gehen.

Als während des Irak-Krieges immer häufiger die deutsche Beteiligung an der irakischen Aufrüstung benannt wurde, fanden sogar C-Politiker starke Worte gegen die „kriminelle Energie“ einiger deutscher Firmen. So klagte der CDU-Abgeordnete Peter Kittel­mann am 21.2.91 im Bundestag, es sei „der ille­gale Waffenexport, der die Bundesrepu­blik und ihre Wirtschaft in Verruf ge­bracht“ hätte. Mit drasti­schen Strafver­schärfungen und stren­gen Kontrollen soll den illegalen Ex­porten zu Leibe ge­rückt werden.

Bundeswirtschaftsminister Müllemann machte sich zum Vorreiter von Ände­rungen des Außenwirtschaftsgesetzes, wonach die Höchststrafe für illegale Ex­porte auf fünfzehn Jahre hochgesetzt und die Einnahmen eingezogen werden sollen. Das Zollkriminalinsti­tut soll er­mächtigt werden, Telefonge­spräche und Briefverkehr von Perso­nen und Unter­nehmen auszuforschen, die der Planung illegaler Rüstungsge­schäfte verdächtig sind.

An letzterem scheiterte der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Bun­desrat an den SPD-Ländern. Sie sehen das ZKI zu einem vierten Geheimdienst werden, der wie Verfas­sungsschutz, Militäri­scher Abschirm­dienst (MAD) und auch Bundesnach­richtendienst (BND) schon im Vorfeld von Straftaten in die vom Grundgesetz geschützte Pri­vatsphäre eingreifen darf.

Karl-Heinz Matthias, Leiter des ZKI, hält gerade diese neuen Befugnisse für notwendig. Während des Golfkrieges habe das ZKI eine Vielzahl von Hinwei­sen auf Embargoverstöße von Geheim­dienststellen bekommen. Sol­che Tipps seien aber oft so knapp ge­faßt, daß sie für eine Durchsuchung nicht reich­ten. Matthias dann wörtlich: „Um das zu ve­rifizieren, müßten wir im Vorfeld der Ermittlungen die Möglichkeit haben, mit richterlicher Genehmigung das Te­lefon abzuhören und den Telefax-Ver­kehr zu überwa­chen - so wie es das Ge­setz vor­sah.“ (zit. n. „Kölnische Rund­schau“ vom 10. Juni 1991)

Burkhard Hirsch (FDP) hatte dagegen in einem Leserbrief an den „Spiegel“ vom 25.2.91 klargestellt, daß für staatsan­waltliche und kriminalpolizei­liche Vor­feldermittlungen keine Gesetzesände­rungen erforderlich sind. Denn für sol­che Ermittlungen „.. be­darf es nach ganz unbestrittener Rechtslage weder eines Verdachtes gegen eine be­stimmte Person noch ei­nes sogenannten drin­genden Tatverdachts. Auch bloße Ge­rüchte, von denen ein Staatsanwalt au­ßerdienstlich Kenntnis erhält, können möglicher­weise schon eine Pflicht zum Ein­schreiten begründen. Das gilt auch dann, wenn die Zweifel an der Rich­tigkeit des Verdachtes überwiegen.“

Der Clou der neuen Gesetze ist ge­rade, daß das ZKI selbst zum Ermitt­ler wird, während es bisher nur Hilfs­organ der Staatsanwaltschaft ist. Vor­teil für die Politik ist, daß das ZKI über die Einlei­tung eines Strafverfah­rens je nach Op­portunität entscheiden kann - im Unter­schied zur Staatsan­waltschaft. Politi­schen Einflüssen blei­ben Tür und Tor geöffnet. Erst auf Druck der Opposition fügte Mülle­mann nachträglich eine Be­stimmung ein, wonach das ZKI die Staatsanwalt­schaft über die Ergebnisse der Ermittlungen „unterrichten“ soll. Unklar ist noch, welche praktischen Konse­quenzen das haben wird.

Offene Grenzen für „legale“ Exporte
Ohne die ZKI-Bestimmungen könnten zumindest die Strafverschärfungen für illegale Rüstungsexporte längst in Kraft sein. Unabhängig davon halten Opposi­tionspolitiker und Friedens­gruppen die angestrebten Gesetzesänderungen für unzurei­chend, weil legale Exporte un­einge­schränkt bleiben. Sie beanspru­chen aber mit über 90 Prozent den Löwenan­teil an militärisch nutzbaren Liefe­run­gen:

  • Für sie hat das Bundesamt für Wirt­schaft in Eschborn (BAW) Unbe­denklichkeitsbescheinigungen aus­ge­stellt oder Genehmigungen erteilt.
  • Es sind sogenannte „dual use“-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.
  • Sie stammen aus Rüstungskoopera­tionen mit anderen Ländern.

Einige Beispiele:
Für Lieferungen in den Irak erhielt die Bielefelder Gildemeister Projekta von 1983 an immer wieder Unbedenklich­keitsbescheinigungen und insgesamt 52 Ausfuhrgenehmigungen. Gildemei­ster war Generalunternehmer für das iraki­sche Waffen-Entwicklungszen­trum „Saad 16“. Gegenüber dem BAW stellte die Firma dar, es handele sich um ein Forschungsprojekt der Univer­sität Mo­sul. Als die militärische Be­deutung des Objekts nicht mehr be­streitbar war, er­mittelte die Staatsan­waltschaft. Ergeb­nis: 1.600 Einzelliefe­rungen wurden un­tersucht, nur in ei­nem Fall kommt es zu einer Anklage. Die Lieferung eines Spektrometers im Wert von 1,3 Mio. Mark und eines da­zugehörenden Com­puters sei ohne Ausfuhrgenehmigung erfolgt. Zwar stellte die Staatsanwalt­schaft bei ei­nem Teil der Exporte fest, daß Aus­fuhrgenehmigungen des BAW durch manipulierte Unterlagen erschli­chen worden seien. Nach altem Recht ist das aber nur eine Ordnungswidrigkeit, die zudem bereits verjährt ist.

Das Strafmaß würde zwar nach ge­plantem neuen Recht höher ausfallen. Je nach wirtschaftlichen und politi­schen Interessen können militärisch verwend­bare Exporte auch künftig in Krisenre­gi­onen und Spannungsgebiete geliefert werden, z.B. jetzt wieder an den Iran. Kritikern der deutschen Wirtschaft wegen Irak-Geschäften hielt BDI-Präsident Heinrich Weiss entgegen: „Die Politik hat in den acht­ziger Jahren die Indu­strie geradezu ermuntert, den Irak bei der industri­ellen Entwicklung zu unter­stüt­zen.“ („Spiegel“ Nr. 14/1991 )

133 Flugabwehrraketen-Systeme Ro­land mit 4.250 Raketen, 252 Startanla­gen der Panzerabwehrwaffe HOT mit 10.935 Raketen und 372 Startanlagen der Panzerabwehrwaffe Milan mit 12.386 Raketen konnte der Irak mit Hil­fe der deutschen Waffenschmiede MBB erhalten. Absender der Waffen war die in Frankreich ansässige Firma Euro­missile, an der MBB zu 50 Pro­zent be­teiligt ist. Ein MBB-Mann der ersten Stunde gab unumwunden zu: „Die deutsch-französische Gemein­schaftsfir­ma Euromissile, die die Hot- und Milan-Raketen verkauft, ist im Grunde nur für den Export gegründet worden.“ (Die Zeit vom 12.4.91). Den politischen Se­gen dafür gaben bundesdeutsche und französische Regierung schon im De­zember 1971 mit der Ver­einbarung: „Keine der beiden Regie­rungen wird die andere Regierung daran hindern, Kriegswaffen oder son­stiges Rüstungs­material, das aus einer gemein­sam durchgeführten Entwick­lung oder Ferti­gung hervorgegangen ist, in Dritt­länder auszuführen oder ausführen zu lassen.“

Solche Lieferungen aus Rüstungsko­ope­rationen wird es geben, solange in­ner­halb von NATO oder EG keine ein­heit­liche Exportpolitik betrieben wird. Die Bundesregierung gibt zwar vor, in­terna­tionale Rüstungsexportbe­schränkungen zu wollen. Aber zu­sammen mit der In­dustrie wehrt sie sich gegen bundesdeut­sche Allein­gänge. Firmen aus der Bun­desrepublik sollen nicht „benachteiligt“ werden.

Daimler-Benz konnte LKW's und im Juli 1990 sogar 26 Tieflader an den Irak liefern. Eine Ausfuhrgenehmi­gung war nicht erforderlich, obwohl die Fahr­zeuge als mobile Abschuß­rampen für Scud-Raketen nutzbar sind. Nach An­sicht des BAW sind sie für militärische Zwecke nicht beson­ders konstruiert. Nur dann wä­re die Ausfuhr genehmi­gungspflichtig. Wenn „dual use“ - Güter nicht speziell für mi­litärische Zwecke herge­richtet wor­den sind, ver­hindert nie­mand die Ausliefe­rung. Vor wenigen Wochen erst ent­schied das BAW in ei­nem vergleichba­ren Fall, daß die Lieferung von 17 Daimler-Sattelzugmaschinen für Saudi-Arabien nicht genehmigungs­pflichtig sei. Obwohl die Bestellung vom Ober­kommando der saudischen Armee auf­gegeben worden war.

Am Parlament vorbei
Die Bundesregierung setzt sich zwar er­gänzend zu den neuen Außenwirt­schaftsgesetzen für ein Waffenexport­re­gister z.B. bei den Vereinten Natio­nen ein. Doch gegenüber der eigenen Öffentlichkeit und sogar gegenüber dem Parlament soll auch künftig keine Trans­parenz herrschen. Hier folgt die Bundesregierung seit eh und je dem Grundsatz, Angaben zu Rüstungsex­porten Verträgen aus politischen Grün­den nur ein be­grenztes Maß an Publizität.

Makabres Beispiel für die damit ver­bun­dene Irreführung des Parlaments ist die irakische Chemiewaffenfabrik Sa­marra. Im Januar 1984 kamen erste Ge­heim­diensthinweise, daß der Irak mit deut­scher Beteiligung eine Chemiewaffenfa­brik baut. Auf eine An­frage im Bundes­tag behauptete ein Regierungsvertreter im April 1984: „Die von der Firma Kolb /Pilot Plant gelieferte Anlage zur Her­stellung von Vorpro­dukten für Pestizide kann zur Herstel­lung von Nervengas nicht ver­wendet werden.“ Heute ist be­kannt, daß die Sa­marra-Anlagen aus­schließ­lich für die Produktion von chemischen Waffen ge­eignet sind. Anfang diesen Jahres erhob die Darmstädter Staatsanwaltschaft we­gen der Liefe­rung von Waffen- und Chemieanlagen An­klage gegen zwölf Mitarbeiter ver­schie­dener bundesdeut­scher Firmen. Ende of­fen.

Von parlamentarischer und außer­parla­mentarischer Kritik unbeein­druckt will die Bundesregierung nach der Sommer­pause ihre Änderungen des Au­ßenwirt­schaftsgesetzes vom Par­lament be­schlie­ßen lassen. Durch ge­setzestechnische Tricks hat Mülle­mann erreicht, daß die Zustimmung des Bun­desrates nicht mehr erforder­lich ist. Was jetzt kommt, ist Schweizer Köse. Vor lauter Löchern ist jedoch kaum echte Rüstungsexport­kontrolle möglich!

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