Buchbesprechung

Gewaltfreie Aktion

von Helga Tempel

Der eigentliche Anlass für dieses Buch war das blutige Scheitern der Navi Marmara, des größten Schiffes der internationalen Aktion Free Gaza im Mai 2010. Dies erfährt der Leser/die Leserin jedoch überraschenderweise erst im editorischen Nachwort.

Auf insgesamt 287 Seiten werden in diesem Sammelband Beiträge von 25 Autorinnen und Autoren zusammengetragen. Sie sind in vier Kapitel eingeteilt: 1. Beispiele und was sie zeigen, 2. Auf den Punkt gebracht, 3. Zur Vorbereitung gewaltfreier Aktionen  und 4. Kritisches, wobei dem ersten Kapitel mit seiner Untergliederung in innergesellschaftliche und internationale Konflikte insgesamt die Hälfte des Bandes eingeräumt wird. Als Ziel formulieren die Herausgeber Reiner Steinweg und Ulrike Laubenthal dazu dann auch:  “Jenseits  eines Anspruchs auf Vollständigkeit  sollen die  Beispiele ... Prinzipien, Methoden und Wirkungsweise gewaltfreier  Aktionen erhellen.” (Vorwort S. 11)

Zu Wort kommen neben bekannten Politikwissenschaftlern und Friedensforschern wie Andreas Buro, Theodor Ebert und Egbert Jahn vor allem Menschen unterschiedlichen Alters mit meist langjährigen praktischen Erfahrungen in gewaltfreien Aktionen, darunter auch solche, denen die Reflektion ihres Handelns ein besonderes Anliegen ist. Den Aufsätzen sind kurze biografische Daten vorangestellt, die Aufschluss über den persönlichen Hintergrund des Autors geben. Sehr konkret formulierte Überschriften erschließen bereits den Schwerpunkt des im jeweiligen Beitrag Dargestellten.

Als eine Art Lesehilfe haben die Herausgeber außerdem auf sieben Seiten Kernsätze des in der Folge Nachzulesenden zusammengestellt und durch Seitenverweise auf die jeweiligen Beiträge ergänzt. Die hierbei angeführten gliedernden Überschriften lassen bereits erkennen, worum es im Einzelnen gehen wird:

So erwarten den Leser/die Leserin Auslöser, Anlässe, Ziele/ Menschenbild, politisches Verständnis, Weltsicht/ Grundhaltungen/ Mittel und Formen gewaltfreier Aktionen/ Ethik, Taktik, Strategie sowie die Notwendigkeit der Vorbereitung.

An erster Stelle steht ein eindrucksvoller Überblick über 15 Beispiele gewaltfreier Aktionen aus den letzten 350 Jahren mit einer Auflistung von 64 relevanten Quellen. Ihm folgen Einzelbeispiele vor allem aus jüngster Zeit, darunter auch einige weniger bekannte. Eine besondere Rolle spielen dabei die Ereignisse auf der Navi Marmara. Obgleich diese Aktion ursprünglich als gewaltfrei angelegt war, kam es zu 9 Toten und 47 Verletzten. Die Beunruhigung, die sich aufgrund dieser opferreichen Entwicklung weltweit offenbarte, drückt sich auch in diesem Band in mehreren Beiträgen aus. Dabei kommt es allerdings neben einigen Erklärungen (zu wenig gründliche Vorbereitung und klare Absprachen, zu wenig persönliches Bekenntnis zu “prinzipientreuer Gewaltfreiheit”  (M. Nagler) ) kaum zu wirklich erhellenden Einsichten in Bezug auf die Fehler bei der Planung und Durchführung des Vorhabens, auch weil die Faktenlage nicht deutlich genug erfasst und daher widersprüchlich ist.

Die praktischen Beispiele geben Einblick in die Vorbereitung und Durchführung widerständiger, auf Veränderung zielender Aktionen sowie die zu erwartenden Hindernisse. Daneben gehen Hildegard Goss-Mair und Martin Arnold in ihren Beiträgen zur Gütekraft der Frage nach den spirituellen Wurzeln gewaltfreien Handelns nach.

Die einzelnen Beiträge unterscheiden sich deutlich in Bezug auf Länge und Gewichtigkeit: Einige sind eher “Handreichungen”, wie sie im einem Handbuch zu finden sind, andere breiten ihre Gedanken und Erfahrungen auf bis zu 19 Seiten impulsgebend oder abwägend aus. Auch wenn unterschiedliche Schwerpunkte deutlich werden - die meisten Autoren verknüpfen Erlebtes, selbst Erprobtes mit weiterführenden Gedanken. Gleich ob Aktion oder Reflektion im Mittelpunkt steht: Hier wissen Menschen, wovon sie reden, und die Beiträge wirken daher authentisch.

Schade, dass der Band wegen seines dunklen, schwer “einleuchtenden” Covers etwas wenig einladend wirkt. Ein Foto einer Aktion im Tageslicht, mit erkennbaren Gesichtern und in deutlicher Positionierung gegenüber Menschen oder Geräten, die das zu bekämpfende Unrecht verkörpern, hätte Widerstand besser verdeutlichen können.

Dennoch – diese Sammlung von Beispielen gewaltfreier Praxis aus mehreren Jahrhunderten, der aktuelle Bezug zu den Ereignissen um die Navi Marmara, vor allem aber das (auch selbst-) kritische Ausleuchten von Grenzen, Fehlern und Schwächen bisheriger Aktionen trägt Wichtiges zur bewussten Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb der gewaltfreien Bewegung bei.

Zugleich macht der Band auf überzeugende Weise deutlich: Gewaltfreies Handeln ist möglich – und es zeigt Wirkung!

Reiner Steinweg und Ulrike Laubenthal (Hrsg.), Gewaltfreie Aktion. Erfahrungen und Analysen. Brandes & Apsel, Ffm.  2011      ISBN 978-3-86099-689-8, 287 Seiten; 21,90 €

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