Drei Buchbesprechungen

Gewaltfreiheit aktuell

von Christine Schweitzer

In den vergangenen Monaten ist – nach langen Jahren, in denen es nur wenige neue Publikationen zum Thema Gewaltfreiheit und gewaltfreie Aktion in deutscher Sprache gegeben hat – gleich eine Reihe neuer Bücher auf den Markt gekommen, die sich auf unterschiedliche Art mit dem Thema der gewaltfreien Aktion auseinandersetzen.

Reiner Steinweg und Ulrike Laubenthal haben – angeregt von der kontroversen Diskussion um die Gaza-Flotille – eine ganze Reihe von AktivistInnen dazu gewinnen können, sich mit Konzepten und Beispielen gewaltfreier Aktion heute auseinanderzusetzen. Das Buch ist in vier Teile aufgegliedert. Im ersten, längsten Teil, beschreiben verschiedene AutorInnen, unter ihnen Hildegard Goss-Mayr, Christian Führer, Egbert Jahn und Wolfgang Sternstein Beispiele gewaltfreier Aktion in innergesellschaftlichen Konflikten (u.a. zum Ende der DDR, Freie Heide und Stuttgart 21) und internationalen Kontexten (z.B. Golfkrieg 1991 und Palästina). Der zweite Teil unter dem Titel „Auf den Punkt gebracht“ enthält mehrere eher grundsätzliche Aufsätze zu dem Thema Gewaltfreiheit und gewaltfreie Aktion. Theodor Ebert definiert gewaltfreie Aktion, ein historischer Text von Clara Wichmann illustriert, wie schon vor neunzig Jahren über Antimilitarismus und Gewaltfreiheit nachgedacht wurde, Andreas Buro beschreibt die „Satyagraha-Normen“ von Johan Galtung und Arne Naess, Martin Arnold stellt das Konzept der Gütekraft vor (s. unten) und Jochen Stay stellt fünf Thesen zu den Erfolgsbedingungen eines massenhaften Zivilen Ungehorsams auf. Im dritten, kürzesten Teil geht es dann um Vorbereitung gewaltfreier Aktionen, insbesondere durch Trainings in Gewaltfreiheit. Das Buch wird abgeschlossen mit fünf Beiträgen zu „Kritischem“, insbesondere der Frage, wie erreicht werden kann, dass gewaltfreie Aktionen gewaltfrei bleiben, und ob es möglich ist, mit gewaltlosen Techniken für ungerechte Ziele zu arbeiten (Egbert Jahn).

Die Herausgeber verzichten auf den Abdruck einer umfassenden Bibliographie, sondern verweisen auf einen Link im Internet, wo diese zu finden ist.

Die insgesamt 30 Artikel sind vielfältig und durchweg gut geschrieben. Das Buch wird denen etwas bringen, die gerne mehr über Gewaltfreiheit und Beispiele von gewaltfreier Aktion wissen wollen, aber dürfte auch für „alte Hasen“ in Sachen Gewaltfreiheit noch Neues enthalten: Zum Beispiel die Darstellung des Kampfes der Quäker im 17. Jahrhundert in Boston um Religionsfreiheit (Saskia Thorbecke), oder den „paschtunischen Gandhi“ Abdul Gaffar Khan in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet (Sruti Bala). Also rundherum eine herausragende neue Publikation zum Thema Gewaltfreiheit – zum Verschenken wie zum Selberlesen sehr empfehlenswert!

Martin Arnold hat eine umfangreiche Studie zu Mohandas K. Gandhi, Hildegard Goss-Mayr und dem niederländischen Pazifisten Bart de Ligt durchgeführt, in der er die Annahmen dieser drei ProtagonistInnen in Bezug darauf darstellt, wie ihrer Meinung nach Gewaltlosigkeit Wirksamkeit entfaltet – Martin Arnold bevorzugt den Begriff „Gütekraft“, den er eingeführt hat. Seine insgesamt über 1000-seitigen Dissertation sind jetzt als vier getrennte Bücher erschienen.

Der erste, im Nomos-Verlag erschienene Band enthält neben kürzeren Zusammenfassungen zu den drei Persönlichkeiten vor allem die zentralen Befunde der Studie und einen Anhang zu historischen Beispielen in den verschiedenen Stufen der Eskalation. Im Kern geht es darum, dass die Annahmen über die Wirksamkeit sich auf verblüffende Weise ähneln, obwohl die drei Personen unterschiedlichen Weltanschauungen angehör(t)en. Sie alle gehen davon aus, dass eine Konfliktlösung nur mit, nicht gegen den Gegner erreicht werden kann, wobei der Konflikt dann letztlich zu einem gemeinsam zu lösenden Problem oder Missstand wird, und das Wohl Aller im Mittelpunkt steht. Die Studie beschreibt in großen Teilen das, was denjenigen, die sich als Gewaltfreie verstehen, letztlich schon vertraut ist, stellt dies aber in einen neuen wissenschaftlichen Rahmen. Arnold definiert seine drei Forschungsergebnisse wie folgt:

1. „Der Weg ist das Ziel“; hierzu beschreibt Arnold ein sechsstufiges Eskalationsmodell gewaltfreien Handelns beschreibt.

2. Unter dem Begriff des „Reframing“ versteht der Autor, dass ein Konflikt in einen größeren Rahmen gestellt wird, in dem der Gegner zum Partner bei der Bearbeitung eines Missstandes und Interessengegensätze zu schlichten Unterschieden werden.

3. Das dritte Forschungsergebnis, unter dem Stichwort „beziehungszentrisches Selbstbild“ gefasst, bezieht sich darauf, dass beim ‚gütekräftig Handelnden’ eine Umorientierung und Relativierung der eigenen Position stattfindet und die Beziehung zum Gegenüber zum zentralen Angelpunkt wird.

Das Buch ist für jene empfehlenswert, die eine gewisse Vertrautheit mit der Materie und mit wissenschaftlicher Sprache und Denkweise mitbringen – es ist keine Einführung in Gewaltfreiheit oder Gütekraft, sondern eine wissenschaftliche, teilweise nicht leicht zu lesende Arbeit. Wer eine Einführung zum Thema Gütekraft sucht, sei eher auf Martin Arnolds Artikel zum Thema Gütekraft in dem oben zitierten Buch von Steinweg und Laubenthal verwiesen.

Die anderen drei Bände, in einem anderen Verlag (Bücken & Sulzer) veröffentlicht, enthalten jeweils die Beschreibung der Aktivitäten und der Wirkungsweise einer der drei ProtagonistInnen der Gewaltfreiheit. Arnold hat sich intensiv mit den drei Persönlichkeiten befasst. Zu Bart de Ligt und Hildegard Goss-Mayr sind seine Bücher die wohl umfassendsten (zumindest im deutschen Sprachraum), die es überhaupt gibt, aber auch zu Gandhi enthält seine Studie Neues und Interessantes. Dazu kommt, dass sie leichter zu lesen sind als die Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse und allen Interessierten empfohlen werden können.

Albert Fuchs, langfristiger Mitstreiter bei Pax Christi, Mitglied der Redaktion von „Wissenschaft und Frieden“ und Mitarbeiter des Instituts für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung, treibt in erster Linie die Frage nach dem Verhältnis von Mittel und Ziel als ethisches Problem um. Er versteht sich als Pazifist, der „militärische Gewalt für welche Zwecke auch immer“ (S. 188) ablehnt. Sein Buch „‘Für Recht und Frieden’? Beiträge zum pazifistischen Widerspruch” besteht aus 22 Artikeln, die größtenteils bereits in der Zeitschrift “Wissenschaft und Frieden” veröffentlicht wurden, und die Fuchs für das Buch erweitert hat. In ihnen geht es um den Einsatz der Bundeswehr in aller Welt und um die Frage, wie verschiedene Kreise – von Bundestagsabgeordneten bis zu den großen Kirchen – sich zu dieser Frage positionieren. Die Artikel sind recht unterschiedlicher Natur – manche haben einen eher essayistischen Stil, andere konfrontieren die Leserin mit statistischen Analysen. Aber wem das zu viel Wissenschaft ist, der oder die blättere vielleicht einfach weiter zum nächsten Aufsatz.

Die hier vorgestellten Bücher:
Steinweg, Reiner und Laubenthal, Ulrike (Hrsg.) (2011) Gewaltfreie Aktion. Erfahrungen und Analysen, Frankfurt a.M.:Brandes & Apsel, ISBN 978-3-86099-689-8, 288 S., 21,90€

Arnold, Martin (2011) Gütekraft. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt. Baden-Baden: Nomos, ISBN: 978-3-8329-6975-2, 283 S., 19,80 €

Arnold, Martin (2011) Gütekraft – Hildegard Goss-Mayrs christliche Gewaltfreiheit. Overath:  Bücken & Sulzer, ISBN 978-3-936405-65-1 , 149 S., 12,50 €

Arnold, Martin (2011) Gütekraft –Gandhis Satyagraha. Overath:  Bücken & Sulzer, ISBN 978-3-936405-66-8, 411 S., 24,80  €

Arnold, Martin (2011) Gütekraft – Bart de Ligts humanistische Geestelijke Weerbaarheid. Overath:  Bücken & Sulzer, ISBN 978-3-936405-67-5, 321 S., 17,90 €

Fuchs, Albert (2011) ‘Für Recht und Frieden’? Beiträge zum pazifistischen Widerspruch, Belm-Vehrte: Sozio-Publishing, ISBN 978-3-935431-21-7, 348 S., 24,80 €

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.