Versöhnung, Hoffnung, Visionen

Gewaltfreiheit im Sudan nach 21 Kriegsjahren

von Martin Smedjeback

Bitterkeit, Hass und Elend waren das, was ich im Sudan vorzufinden erwartete, bevor ich im April 2005 zum ersten Mal in meinem Leben dort hinkam.

Was sonst kannst du nach 21 Jahren Bürgerkrieg in einem der ärmsten Länder Afrikas erwarten? Stattdessen traf ich auf unglaubliche Hoffnung und Glauben an Frieden, Gewaltfreiheit und Versöhnung.

Dieses Jahr haben wir in den Medien viel über den Genozid in Darfur gehört, im westlichen Teil des Sudan. Aus gutem Grund, denn es ist der schlimmste Konflikt seit vielen Jahren im Sudan. Aber Massaker und Krieg haben den Sudan seit vielen Jahrzehnten gebeutelt.

Der Krieg zwischen der Regierung und der SPLM/A (Sudan People`s Liberation Movement/Army), einer Guerilla-Bewegung aus dem Süden, geht jetzt seit 21 Jahren. Man vermutet, dass zwei Millionen Menschen in dem Krieg getötet wurden und dass vier Millionen SudanesInnen aus dem Süden zu Flüchtlingen wurden. Viele von ihnen flohen in Flüchtlingslager rund um die Hauptstadt Khartum. Ich kam, um diese Leute zu treffen.

Der Krieg wurde betrachtet als ein religiöser Krieg zwischen dem muslimisch dominierten Norden und dem christlich dominierten Süden. Die Regierung von Khartum hat dies in der Vergangenheit so dargestellt, insbesondere als sie 1998 offen im Fernsehen den Dschihad (Heiligen Krieg) gegen den Süden erklärte. Aber es gibt einige, die sich weigern, es als religiösen Konflikt zu sehen.

Moses John sagt: "Du kannst keinen Dschihad gegen dein eigenes Volk erklären. Wir aus dem Süden sind sowohl Christen als auch Moslems." Und er beginnt mir zu erklären, dass im Süden Moslems und Christen sogar in denselben Familien seit Jahrzehnten voll gegenseitigem Respekt zusammen lebten. So feiern Muslime bei christlichen Festen mit - und umgekehrt.

Moses John ist einer der Gründer der Organisation SONAD, Sudanesische Organisation für Gewaltfreiheit und Entwicklung, und ist heute ihr Schatzmeister.

Er ist einer der vielen Millionen Menschen aus dem Süden, die jetzt in den Außenbezirken von Khartum leben. Er ist einer der wenigen, die das Privileg hatten, an einer Universität zu studieren. Moses begann sich an der Universität mit seinen Freunden und Gründern der Organisation "Betroffene Jugend", heute SONAD, zu treffen, um Gedanken über einen anderen Sudan auszutauschen: "In Bezug auf die Situation unserer Leute, insbesondere der Binnenflüchtlinge, sagten wir uns, dass wir etwas tun mussten. Wenn wir nichts täten, würden wir uns schuldig fühlen", sagt Moses.

Sie taten etwas. Sie gründeten eine Untergrundorganisation, die Kurse zu Entwicklung, HIV/Aids, Menschenrechten und Demokratie organisierte und durchführte.

In den 1990ern, als sie mit ihren Aktivitäten begannen, war noch Krieg und die Regierung ging hart mit unabhängigen und entschlossenen Organisationen um.

"Wenn du den Menschen Bewusstsein über Menschenrechte und Demokratie vermittelst, sehen dich manche an, als wärest du ein Feind der Regierung. So war es nicht leicht für uns, offen zu arbeiten," erklärt Moses.

Aber es sieht so aus, als bliese der Wind des Wandels für den Sudan. Am 9. Januar 2005 wurde ein Friedensabkommen zwischen der Regierung in Khartum und der SPLM/A unterzeichnet, das den Bürgerkrieg beendet hat. Es hatte schon zuvor einige Versuche von Friedensvereinbarungen gegeben, aber dieses Mal scheinen alle optimistischer denn je:

"Ja, ich bin hoffnungsvoll", sagt Moses, "weil es scheint, dass die Regierung eingestanden hat, dass Demokratie der beste Weg ist, das Land zu regieren. Da sie den Dialog akzeptiert haben, wird der Sudan eines Tages in Frieden leben."

Seit 1999 gibt es eine Partnerschaft zwischen SweFOR (Schwedischer Versöhnungsbund) und SONAD. Dieses Jahr haben wir die Zusammenarbeit ausgeweitet auf die Durchführung eines Workshops zur Gewaltfreiheit. Im April kam ich in den Sudan, um daran mitzuarbeiten. Eine der Teilnehmerinnen war Jacquiline Natepi Ben, eine 27-jährige Lehrerin. Sie floh 1989 aus dem Südsudan nach Khartum, als ihre Stadt bombardiert worden war. Sie versuchte mir zu erklären, was es bedeutet, dreifaches Handicap zu haben: jung, Flüchtling und weiblich: "Frauen werden als Bürger zweiter Klasse betrachtet und dürfen in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Mädchen sind nur dazu da, im Heiratsgeschäft als Ware zu dienen. Jemand wird kommen und vielleicht 50 oder 150 Kühe bezahlen und dich nehmen. Dagegen versuche ich zu kämpfen. So kann sich der Sudan nicht entwickeln."

Der Kampf für Gleichheit zwischen Männern und Frauen ist etwas, das immer und immer wieder in dem Workshop hochkommt. Ich verstehe, warum, denn wann immer praktische Dinge zu tun sind, wie das Essen auf dem Tisch anzurichten oder Getränke zu verteilen, sitzen die Männer passiv herum, während die weiblichen Teilnehmerinnen still laufen und all diese Dinge erledigen. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass das eine Ungerechtigkeit ist und die Teilnehmenden reden darüber, sogar die Männer: "Jetzt, wo wir Frieden haben, müssen Geschlechterfragen auf den Tisch," sagt einer der männlichen Teilnehmer.

Priscilla Napuli Paul, eine junge, schlanke Frau, ist Referentin für Geschlechterfragen im Vorstand von SONAD. Sie berichtet über die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Sudan: "Wenn ich eine Ausbildung habe und mich für einen Job bewerbe, heißt es, du solltest nicht hier sein, du bist eine Frau."

Manchmal begehen Frauen im Sudan Suizid wegen der Art, wie sie behandelt werden. Aber Priscilla selbst ist ein Beweis dafür, dass sich die Dinge verändern. Sie erzählt mir, wie ihr Vater wollte, dass sie mehr in der Küche hälfe und schnell heiratete. Priscilla antwortete: "Papa, ich werde die Welt verändern." Er lachte nur und sagte: "Wenn du ein Mann wärest, könntest du große Dinge tun, aber du bist nur eine Frau."

Heute hat sie sechs der SONAD-Kurse besucht und selbst einen organisiert. Das scheint auch die Einstellung ihres Vaters zu ihren Fähigkeiten zu beeinflussen. Manchmal hat sie spät noch Treffen und kommt nicht vor 12 Uhr nachts nach hause. "Aber jetzt sagt mein Vater: Es ist in Ordnung, ich bin sicher, dass du etwas Gutes tust. Jetzt respektiert er mich. Ich bin frei", sagt Priscilla stolz.

Eines Tages beim Workshop sprachen wir über Badshah Khan, einen Moslem, der im heutigen Pakistan lebte und ein Führer des Volkes der Pathan war, die für ihre Kriegskünste und ihre Brutalität bekannt waren. Trotz ihrer gewalttätigen Geschichte wandten sie sich von der Gewalt ab und mit Hilfe von Badshah Khan und inspiriert von Mohandas Gandhi schufen sie eine gewaltfreie Armee von hunderttausend Mann, die der britischen Besatzungsmacht mit gewaltfreien Mitteln Widerstand leisteten. Nach dieser Sitzung kam Simon Chol Martin auf mich zu, eine großer Mann mit freundlichem Gesicht, und sagte: "Wir, das Nuer Volk im Sudan, sind wie das Pathan Volk. Wir sind bekannt und gefürchtet für unsere Aggressivität. Aber mit der Geschichte des Pathan Volkes und mit diesem Workshop fühle ich, dass es eine gute Chance für uns gibt. Ich werde zurückgehen und die Nuer bestärken, Gewaltfreiheit anzuwenden um unsere Rechte durchzusetzen."

Einer der Schwerpunkte in unserem Kurs war Religion. Selbst, wenn es das nicht gewesen wäre, kommt man im Sudan nicht darum herum. Religion hat zu tun mit Kultur, Identität, und der Frage, wie sich die Gesellschaft organisiert. Eine der Ursachen für den Bürgerkrieg war, dass die Regierung darauf bestand, die Scharia im gesamten Land einzuführen, einschließlich der christlichen Regionen im Süden. Kann Religion dazu dienen, das sudanesische Volk auch zu vereinen statt zu teilen? "Wir glauben, dass die Botschaft der Bibel gebraucht werden kann, um unser Volk von den Fesseln der Unterdrückung zu befreien", sagt Moses. Wir wünschen uns auch moslemische Brüder, die den Koran benutzen um die moslemische Gemeinschaft von der Gewalt befreien. Ich habe den Koran nicht gelesen, aber ich glaube, dass der Koran Respekt vor der Menschlichkeit predigt."

Heute gibt es nicht viele Moslems in den SONAD-Kursen aber schon im nächsten Jahr wird es mindestens einen Kurs geben mit 50 % ChristInnen und 50 % Moslems. SONAD nimmt die schwere Herausforderung der Versöhnung an. Und im Sudan gibt es so viele Herausforderungen, das habe ich während meines kurzen Aufenthaltes gelernt. Einen der stärksten Eindrücke hinterließ eine Frau namens Ester, die mit Straßenkindern arbeitet und vermutlich mehr Elend gesehen hat, als ich mir vorstellen kann. Am Ende des Kurses sagte sie mit Tränen in den Augen: "Wir müssen das Vertrauen in unsere Leute wieder herstellen. Sie fühlen sich minderwertig. Wir SudanesInnen müssen uns vereinen. Alle Stämme des Sudan müssen sich vereinen. Sie haben so viel gelitten. Wir brauchen eine Vision, die uns für eine gewaltfreie Zukunft vereint." Als ich den Sudan verlasse, spüre ich Hoffnung, denn die Vision ist da und der Wille zur Veränderung.

Aus: BSV-Rundbrief 3/2006
Übersetzung aus dem Englischen von Kathrin Vogler

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Martin Smedjeback ist Referent für Gewaltfreiheit der Schwedischen Sektion des Internationalen Versöhungsbundes (SweFOR, Swedish Fellowship of Reconciliation).