Der Konflikt USA-China

Gewinnen alle oder keiner?

von Andreas Buro

George Friedman, Gründer des Forschungsinstituts Stratfor in den USA, hat den Konflikt USA China für sich bereits entschieden. In seinem Buch „Die nächsten 100 Jahre“ sagt er den Zusammenbruch Chinas im Jahre 2020 voraus und erklärte das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der USA. Sie stünden nicht vor dem Abstieg, sondern würden ihre Macht bis zum Ende des Jahrhunderts erst richtig entfalten. Seine geostrategischen Hauptargumente lauten: „Wer heute den Nordatlantik und den Pazifik kontrolliert, kann das gesamte Welthandelssystem und damit die Weltwirtschaft beherrschen.“ (Friedman, George: Die nächsten 100 Jahre. Die Weltordnung der Zukunft, 2009, S.14).

Friedman argumentiert weiter, dass die Vereinigten Staaten keine Kriege gewinnen müssen. Es reiche aus, wenn sie die andere Seite aus dem Gleichgewicht bringen und daran hindern, so stark zu werden, dass sie eine Gefahr darstellen. Friedmans Prognose steht quer zu anderen Einschätzungen. Zum Beispiel hält Johann Galtung in seinem im gleichen Jahr erschienenen Buch "The Fall of the US Empire – And Then What?" dagegen, dass zwar nicht der Staat, aber doch die Imperialmacht der USA bis 2020 zerfallen würde.

Aus der Sicht der Irakis war die US-amerikanische Invasion eine Katastrophe. Der Krieg hat die Lebenssituation der Menschen verschlechtert. Etwa 1,5 Millionen Menschen sind seit 2003 umgekommen. Es ist unklar, ob der Irak als Staat überhaupt bestehen bleibt. Doch für die USA sieht die Bilanz des Krieges anders aus. Der Irak bleibt deutlich im westlichen Einflussbereich. An vielen Orten der Region konnten US-Stützpunkte eingerichtet werden – in Verbindung mit dem Afghanistan-Krieg auch in den zentralasiatischen Staaten.

Die dem Westen feindlich gesonnenen Staaten wie Iran und Syrien sind stark unter Druck geraten. Möglicherweise wird es einen Regime-Change in Syrien geben und damit der Einfluss des Iran weiter geschwächt.

Die post-koloniale Herrschaft in weiten Teilen Afrikas
Auch in Nordafrika läuft die Entwicklung für die USA und die EU-NATO-Länder erstaunlich gut, hatten sie doch vor dem ‚arabischen Frühling‘ die dortigen Diktatoren fest ans Herz gedrückt. Man konnte erwarten, dass der Hass gegen die Diktatoren sich auch gegen ihre westlichen Freunde richten würde. All dieses ist nicht geschehen. Die ausgebildeten jungen Menschen dieser Länder schauen noch immer nach Europa und den USA, während in den Ländern anscheinend die alten Machtstrukturen, die in der Regel nicht gestürzt wurden, sich mit konservativen islamischen Kräften verbinden. Mit solchen Konstellationen wird der Westen keine Schwierigkeiten haben. Dort wo der arabische Frühling niedergeknüppelt und -geschossen werden konnte, bleiben die autoritären bis diktatorischen Regime erhalten und werden aus dem Westen unter dem Gesichtspunkt der Stabilität noch mit Panzern und sonstigen Kriegsgeräten versorgt.

Auch in anderen Ländern Afrikas, in denen es zum Beispiel nach Wahlen oder durch große Verwüstungen bei der Rohstoffausbeutung durch westliche Konzerne zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, verschlechtern sich die Beziehungen und Einflussmöglichkeiten des Westens nicht grundlegend. Im Gegenteil kleinere Reformen nach westlichem Vorbild können sogar die westliche Reputation verbessern.

Ungebrochene Auf- und Umrüstung
SIPRI ermittelte für 2010 1.630 Mrd. US-Dollar Militärausgaben. Davon entfallen auf Nordamerika 721 Mrd. $ und auf West- und Zentraleuropa 316 Mrd. Dollar, zusammen 1.037 Mrd. $ gleich 63,6 % der Weltgesamtausgaben. China gibt dagegen 119 Mrd. $ = 7,3% aus. Von einer militärischen Bedrohung des Westens durch China kann also nicht die Rede sein, sondern nur von einer regional bedeutsamen Aufrüstung und einer chinesischen Reaktion auf die zunehmende Verlagerung von US-Streitkräften in den pazifischen Raum. Die westliche Überlegenheit nach Qualität und Quantität ist überwältigend, selbst wenn, wie gegenwärtig in den USA, Sparprogramme verkündet werden. Die USA unterhalten zudem militärische Oberkommandos für alle Teile der Welt – eine Demonstration ihres globalen Anspruchs, überall militärisch einzugreifen.

Neben den herkömmlichen Kriegsführungsebenen werden zwei neue entwickelt: der Cyber War und der Weltraumkrieg. Die hartnäckigen Bemühungen des Westens um den Aufbau von Raketenabwehrsystemen, die oftmals mit der Bedrohung durch iranische Raketen begründet werden, während Russland zu Recht sie als einen Versuch, das nukleare Abschreckungssystem auszuhebeln, versteht.

Bemühungen um den Aufbau von Friedensinstitutionen und -kräften sind im Vergleich dazu kaum erkennbar.

Wie wird sich die EU zur Militärpolitik der USA verhalten?
Im Irak- und Afghanistankrieg haben sich die USA auf  Streitkräfte aus anderen willigen Ländern gestützt und die NATO-Mitglieder aufgefordert aufzurüsten. Die EU-Staaten haben sich im Lissabon-Vertrag gegenseitig zu Aufrüstung verpflichtet. Eine Europäische Verteidigungsagentur soll die gemeinsame Rüstungspolitik koordinieren. Im Krieg gegen Libyen haben Frankreich und England ihre Bereitschaft zum kriegerischen Konfliktaustrag demonstriert. Der Ausbau von Seestreitkräften, Drohnen und die generelle Rüstungsorientierung auf Interventionsstreitkräfte lassen vermuten, dass die NATO-Staaten in der EU sich grundsätzlich auf einen militärischen Konfliktaustrag als Richtlinie ihrer Politik vorbereiten. Angesichts ihrer finanziellen Probleme werden sie dabei allerdings kaum eine eigenständige Politik neben den weit überlegenen USA-Streitkräften entfalten können. Selbst im Libyen-Krieg sollen bis zu 90% der Militärangriffe von einer Unterstützung der USA abhängig gewesen sein.

Trotz alledem bleibt die wichtige Frage, ob sich in der EU Kräfte durchsetzen, die auf zivile, friedliche Mittel der Konfliktlösung setzen. Dies nicht aus pazifistischer Gesinnung, sondern aus kluger Erwägung eigener Interessen. Gelänge dies, würden die militärischen Großmachtphantasien der USA deutlich beschnitten und neue Wege der zivilen Konfliktbearbeitung eingeübt.

Die innenpolitischen Probleme Chinas sind enorm
Chinas gewaltige Wachstumsraten und seine Exporterfolge über viele Jahre haben China zu einem Machtzentrum der Weltpolitik werden lassen. Das darf aber nicht dazu führen, die riesigen Probleme des Landes zu übersehen: Aufbau der Infrastruktur, große Land-Stadt-Wanderungen, sozialer Ausgleich zwischen der Küstenregion und dem Landesinneren, Überwindung der bürokratischen Korruption und Erschließung und Sicherung der Ressourcen zum weiteren Aufbau und zur Modernisierung des Landes.

Die außenpolitische Strategie Chinas
China hat seine außenpolitischen Bestrebungen zur Rohstoffsicherung bisher nicht auf den Einsatz militärischer Gewalt ausgerichtet, sondern eine Politik der Rohstoffsicherung im Tausch gegen Infrastrukturaufbau im jeweiligen Land durch chinesische Firmen betrieben. Dabei hat es sich mit den jeweils herrschenden Kräften der Länder arrangiert und sich nicht in deren Ausbeutungs- und Korruptionspraktiken eingemischt. Dies führte zum Teil zur Enteignung von Bevölkerung, weil die im Lande herrschenden Kräfte, Ländereien an chinesische Unternehmen verkauften. Diese Politik ist allerdings kein Antrieb für Demokratisierung. Sie kann zu einem Herrschaftsmodell analog zu dem westlichen postkolonialen Modell führen.

Der Kampf um die Leitwährung
Der Konflikt zwischen den USA und China wird nicht zuletzt auf der Ebene der Finanzpolitik ausgetragen. China verfügt aufgrund seiner Exportüberschüsse in die USA über große Dollardevisenreserven. Washington drängt deshalb China zur Aufwertung seiner Währung, dem Peking seit 2010 vorsichtig nachgibt. Dagegen fordert Peking den Dollar als Leitwährung durch ein aus mehreren Währungen gebildetes Reservezahlungsmittel zu ersetzen, was die USA freilich als große Bedrohung empfinden. In jüngster Zeit ist Peking dazu übergegangen mit einzelnen Ländern, z.B. mit Japan, Verträge über eine gegenseitige direkte Verrechnung der Handelsströme, also nicht über den Dollar, zu vereinbaren. Beim jüngsten Treffen der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika )  wurde nun sogar beschlossen, eine gemeinsame Entwicklungsbank zu errichten, die Weltbankfunktionen ausüben soll. Die her angedeuteten Kontroversen sind bei den globalen Machtverschiebungen von großer Bedeutung.

Die Bedeutung von regionalen Zusammenschlüssen
Eine wichtige Entwicklung ist die Bildung von regionalen Zusammenschlüssen. Dadurch erhoffen sich die Beteiligten wirtschaftliche Vorteile durch Freihandel untereinander und eine Stärkung ihres Einflusses bei internationalen Verhandlungen. Das Vorbild dürfte oftmals die EU gewesen sein, obwohl die zu bewältigenden Probleme jeweils sehr spezifisch sind. Zu nennen sind neben der EU beispielsweise die Association of East Asian Nations (ASEAN), der Gemeinsame Markt Südamerikas (Mercosur), die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), sowie die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), mit derzeit 57 Staaten. Solche regionalen Zusammenschlüsse von Staaten haben den großen Vorteil, dass sie im Binnenverhältnis einen militärischen Konfliktaustrag tendenziell ausschließen und die bestehenden Probleme über Dialoge regeln. Diese Zusammenschlüsse könnten beim Konflikt zwischen den USA und China eine beruhigende Funktion haben und Vermittlerdienste leisten, da ein großer Konflikt ihren wirtschaftlichen Interessen erheblich schaden würde.

Die Gefährdung der Rolle der UN durch die starken Mächte
Die UN wurde gegründet, um „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“. Sie sollte als Vermittler in Konflikten wirksam werden, sodass nach Möglichkeit ein militärischer Konfliktaustrag  vermieden würde. Das ist in vielen Fällen seit ihrer Gründung nicht gelungen. Die starken Mächte haben immer wieder Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen eingesetzt. Spätestens seit dem Krieg der NATO gegen Serbien wegen des Kosovos hat die Missachtung der Charta der UN einen weiteren großen Schritt getan. Wenn es um wichtige Interessen der NATO-Länder ginge, wolle man auch ohne einen Beschluss des Sicherheitsrates Krieg führen. Die neue Ausformung dieser Tendenz zeigte sich im Libyen-Krieg, wo die NATO ihr Sicherheitsrat-Mandat hemmungslos in einen Krieg zum Sturz eines unbeliebten Regimes umwandelte. Gegenwärtig wird ein unmandatierter Krieg gegen angebliche Terroristen in vielen Teilen der Welt geführt – Galtung spricht von 70 Ländern.

Diese Situation höhlt den Einfluss der UN als wichtigster internationaler Institution zur Verhinderung von Krieg aus.

Wiederholt sich die Situation von 1914: Kampf der Aufsteiger gegen die Platzhalter?
Die ersten beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren vorrangig Herausforderungen aufsteigender Industriemächte gegen die imperialen und kolonialen Vormächte. Die damaligen Aufsteiger haben zwar beide Versuche verloren, sind aber jetzt trotzdem auf die Seite der Platzhalter gewechselt.

Gegenwärtig drängen neue aufsteigende Mächte, die BRICS-Staaten, auf die globalisierten Märkte. Es geht nicht mehr um den Besitz von Kolonien, sondern um Marktbeherrschung, Rohstoffzugänge und Ausbeutungsbedingungen und in diesen Zusammenhängen auch um militärstrategische Positionen. Ob die entwickelten Industriestaaten die aufkommende Konkurrenz aushalten können, oder ob sie nach und nach ganze Branchen aufgeben müssen, wird für ihr künftiges Verhalten vermutlich entscheidend sein. Dann werden sich Einstellungen ausbreiten, dass die Konkurrenten nur über militärische Mittel abzuwehren seien. Werden dann wieder Weltkriege geführt werden? Immerhin verfügen die NATO-Platzhalter und insbesondere die USA über eine haushohe militärische Überlegenheit und unterhalten bereits jetzt Militärkommandos für alle Teile der Welt.

Wer wird der Sieger sein? Behält George Friedman mit seiner Prognose vom 21.Jahrhundert der USA-Dominanz Recht oder Johann Galtung mit der Erwartung eines baldigen Zusammenbruchs der US-Imperialmacht? Eine sichere Antwort scheint mir kaum möglich. Sicher aber ist, bei einem militärischen Konfliktaustrag werden alle katstrophisch verlieren, während die großen Weltprobleme ungelöst bleiben. Alle würden jedoch gewinnen, wenn sie zu deren Lösung eine tragfähige Zusammenarbeit entwickelten.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt