Demokratiebewegung im Sudan

Girifna – Wir haben genug!

von Amani Teri
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Während die ersten sudanesischen Wahlen seit 24 Jahren zu einer Farce werden, organisiert sich eine junge Demokratiebewegung im Sudan. Das Friedensforum hat drei Mitglieder im Januar 2010 interviewt.

Im April 2010 fanden die ersten Wahlen des Sudan seit 24 Jahren statt. Trotz eines aktiven Wahlkampfes zog sich der aussichtsreichste oppositionelle Präsidentschaftskandidat, Yasir Arman (SPLM - Sudanese People’s Liberation Movement/Army, Sudanesische Volksbefreiungsbewegung/-armee), überraschend Anfang April von seiner Kandidatur zurück, mit der Begründung, er wolle die bereits nicht mehr als frei und fair zu bezeichnenden Wahlen nicht legitimieren. Auch weitere Parteien boykottierten die Wahl. Damit war schon im Vorhinein klar, dass Präsident AlBashir (NCP - National Congress Party, Nationale Kongresspartei) an der Macht bleiben würde. AlBashir ist der erste amtierende Präsident, gegen den u.a. wegen Kriegsverbrechen in Darfur ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vorliegt.

Die Monitoring-Berichte der sudanesischen Zivilgesellschaft, sowie des Carter Centers und der EU sprechen von weitreichenden Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen. Dennoch begrüßten und legitimierten Teile der internationalen Gemeinschaft ihren Verlauf als „relativ demokratisch“. Die Wahl ist Teil der Erfüllung des Allgemeinen Friedensabkommens von 2005 zwischen der vorwiegend südsudanesischen SPLM/A und der nordsudanesischen NCP. Sie gilt als Meilenstein auf dem Weg zum für 2011 angesetzten Referendum, in dem die SüdsudanesInnen über eine mögliche Sezession entscheiden werden.

Seit der Unabhängigkeit in 1956 erlebte der Sudan 44 Jahre Diktatur und mindestens 38 Jahre Krieg. Auch seit dem Friedensabkommen 2005 hat sich jedoch weder der gewaltsame Konflikt in Darfur gelöst, noch hat sich am Grundproblem des Sudan viel geändert: der Marginalisierung von den meisten Teilen des Landes und der Bevölkerung. Auch Menschenrechtsverletzungen bleiben an der Tagesordnung.

Bewegung in der Zivilgesellschaft
Sudan-Analytiker vergessen häufig, dass es neben den großen Parteien SPLM und NCP, den bewaffneten Gruppen in Darfur und den internationalen Playern auch noch eine andere Macht gibt: Die Zivilgesellschaft. Zwar ist ein Großteil der kritischen Zivilgesellschaft stark ernüchtert durch den Rücktritt Armans und den Ablauf der Wahlen. Positiv bleibt jedoch, dass sich im Kontext der Wahlen erstmals seit Ende des Krieges eine deutliche gewaltfreie soziale Bewegung herausgebildet hat.

Während gewaltfreier Demonstrationen und Straßenblockaden im November und Dezember 2009 in Khartoum, Juba und an anderen Orten wurden neben vielen anderen auch SPLM-Präsidentschaftskandidat Yasir Arman und SPLM-Parteichef Pagan Amum verhaftet. Neben Nichtregierungsorganisationen, die Maßnahmen zur Wählerbildung durchführten oder sich für gewaltfreie Wahlen einsetzten, bildeten sich Gruppen, die sich darüber hinaus für echte demokratische Reformen und eine Abwahl der jetzigen Regierung stark machten. Eine davon ist Girifna, was so viel bedeutet wie „Wir haben genug“.

Im Oktober 2009, kurz bevor die Registrierung der Wähler begann, tauchten zum ersten Mal Girifnas orangene Flugblätter mit der Hand im V-Zeichen auf, und fanden ihren Weg in Tausende Haushalte zunächst in Khartoum. Die von drei Freunden begonnene Initiative hat inzwischen Hunderte HelferInnen und Tausende SympathisantInnen weit über Khartoum hinaus. Später entwickelte die Gruppe Aktionsformen wie Mobilisierungsreden an öffentlichen Plätzen wie z.B. Bushaltestellen und Sit Ins vor der Nationalen Wahlkommission. In der Haft wurden inzwischen mehrere Mitglieder misshandelt oder gefoltert.

Im Vergleich mit ihrer Schwester-Bewegung  „Otpor“ (was ebenfalls soviel heißt wie „Wir haben genug“) damals in Serbien, stellten Girifnas Mitglieder anhand des Filmes „Bringing Down a Dictator“ von Peter Ackerman, der den Sturz von Milosevic beschreibt, fest, dass ihr Organisationsgrad zwar noch schwach ist, sie aber die Fähigkeit besitzen, flexibel und spontan auf Geschehnisse zu reagieren. Hierfür nutzen sie auch moderne Medien, wie die Internetseite www.girifna.com zeigt.

Interview mit Serag, 21, Aqip, 28, und Nagi, 22, drei Girifna-Aktivisten:
FF: Girifna bedeutet so viel wie “Wir haben genug“. Wovon habt ihr genug, was ihr Euer Ziel?

G: Unser wichtigstes Ziel ist ein Regierungswechsel. Es muss so vieles verändert werden: Wir haben keine grundlegenden Menschenrechte, wie Redefreiheit und die freie Wahl der Regierung. Auch die Arbeitslosigkeit ist ein Problem: Wenn du keine Beziehungen in die Regierungspartei oder Elite hast, bist du ein Außenseiter ohne Chance auf einen Job. All dies könnte durch Demokratie verändert werden. Es ist ein langer Prozess, aber wir müssen an irgendeinem Punkt anfangen.

FF: Ende 2009 gab es Demonstrationen, die eine lebendige Demokratiebewegung im Sudan zeigten. Wie verortet ihr Euch selbst in dieser entstehenden Bewegung? Was ist die Rolle von Girifna?

G: Wir haben so Vieles zu tun! Wir sind die Jugend, wir haben so viele Ideen, wir sind die Basis. Wir haben zu dritt angefangen und nun sind wir ein paar tausend, mit einigen hundert, die im Moment Vollzeit für uns arbeiten.

Am Abend des 30. Oktober 2009, dem Vorabend der Registrierungsperiode für die Wahlen, stellten drei von uns fest, dass viele sudanesische BürgerInnen nicht informiert waren, wohin sie für die Registrierung gehen sollten. Weder die Regierung noch zivilgesellschaftliche Gruppen machten hierzu eine Informationskampagne. Dies war ein Problem, denn keine Registrierung bedeutet, nicht wählen zu können. Also gründeten wir Girifna.

Wahlen sind ein wichtiges Mittel für uns, um diese Regierung loszuwerden. Wir druckten eine Menge Flugblätter und verteilten sie an Leute auf der Straße. Wir begannen in unserer Nachbarschaft, später dann auch am Fußballstadion. Viele Leute unterstützten uns, aber es gab auch andere, die die Flugblätter zerrissen. Einige von uns wurden verhaftet, zumeist nur für einige Stunden. Darunter waren ein Flötist und ein Kontrabassist, auch ein 65 Jahre alter Mann.

Wir wollen eine Langzeit-Bewegung sein, und, egal wie die Wahl ausgeht, Acht geben, dass politische Reformen tatsächlich stattfinden. Wir wollen dafür sorgen, dass Sudan eine richtige Demokratie wird und es wirklich Hoffnung gibt für die Menschen.

FF: Welche Methoden verwendet Ihr?

G: Grundsätzlich müssen unsere Methoden friedlich und legal sein. Demonstrationen sind laut Verfassung legal, auch wenn die Regierung uns dieses Recht verwehrt. Wenn man die letzten Demonstrationen anschaut, sieht man, dass alle Teilnehmer friedlich waren und kein einziger Stein geflogen ist.

Im Moment wollen wir Wissen über Demokratie und Menschenrechte verbreiten, was wir hauptsächlich durch Flugblätter tun. Die Regierung verkauft die Menschen für dumm. Wenn sie es besser wissen, können sie besser handeln. Aber wir wissen noch nicht, was in der Zukunft passieren wird. Unsere Leute sind klug und werden innovativ der Situation entsprechende Aktionen erfinden.

FF: Wie könnte eine Art der Demokratie aussehen, die im Sudan funktioniert?

G: Wir haben ein “Vielfaltsproblem” – daher müssen wir dafür sorgen, dass dies berücksichtigt wird, z.B. indem es je einen Vizepräsidenten aus jeder Region gibt. Wir müssen unsere Völker einbeziehen anstatt sie zu marginalisieren. Und vor allem den Reichtum unter allen Menschen in allen Regionen aufteilen.

FF: Hattet Ihr persönlich einen speziellen Moment, an dem Ihr festgestellt habt, dass Ihr nicht einfach nur zuhause sitzen könnt, sondern aktiv werden müsst? Was motiviert Euch?

“Viele SudanesInnen haben keinen Zugang zum Internet und ausländischen Medien. Das Fernsehen ist seit 20 Jahren in der Hand der Regierung. Auch in den Zeitungen kann man nichts über Darfur, den Kajbar-Staudamm usw. lesen, und wenn man darüber reden will, bekommt man Ärger. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich den Leuten Fakten sagen muss, denn sie sind meine Brüder. Ob im Süden, Osten oder Westen des Landes, ich will ihnen sagen, dass sie das Regime loswerden können. An der Universität führten sie uns ihre Macht vor und dass wir nichts zu sagen haben. Also sagten wir: Wir müssen das ändern.” (Nagi, 22)

“Meine persönliche Geschichte begann schon während der High School: Als ich 16 war, wurde ich verhaftet, weil ich immer unbequeme Fragen stellte. Sie kamen um Mitternacht ins Haus meiner Familie und brachten mich an einen Ort, wo ich verprügelt wurde, aber nach ein paar Tagen wurde ich wieder freigelassen. Seit damals hasse ich jegliche Art der Unterdrückung, und will Freiheit.” (Aqip, 28)

FF: Ein Zitat der afroamerikanischen Aktivistin Audrey Lourde sagt: “Mein Schweigen hat mich nie geschützt.“

G: “Das habe ich auf die harte Weise gelernt.”

FF: Habt Ihr eine Botschaft an den Westen?

G: Haltet Eure Augen auf uns gerichtet. Wir sind eine Welt, ein globales Dorf. Was uns schadet, schadet auch Euch. Ihr habt eine Macht, die wir nicht haben – wir können es nicht allein schaffen. Sie können uns erschießen, sie können uns jeden Tag umbringen. Aber sie haben Angst vor dem Westen.

Westliche Jugendliche haben kein Interesse an Politik, weil sie Menschenrechte haben. Wir sagen zu unseren Gleichaltrigen hier: Schaut her, ihr könnt es besser haben, es ist möglich, anders zu leben. Aber es wird nicht von alleine kommen. Im Westen könnt Ihr immer sagen was Ihr wollt, und das Leben genießen. Hier ist das ein völlig anderes Szenario.

FF: Wie können Menschen ihre Angst davor verlieren, z.B. zusammengeschlagen zu werden?

G: Weil es Hoffnung gibt. Und weil sie genug haben und wütend sind.

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Krisen und Kriege
Amani Teri arbeitet im Sudan.