Über die notwendige Verknüpfung von Umwelt- und Friedenspolitik

Greenpeace gegen das neue Paradigma der Gewalt

von Wolfgang Lohbeck
Hintergrund
Hintergrund

Nach dem 11. September wurde offensichtlich ein Grundkonsens erschüttert. Krieg ist für viele wieder ein legitimes, ja normales Mittel der Politik geworden. Die mühsam erreichte Kultur der politischen Konfliktlösung wurde zerstört, der "Kampf gegen den Terror" zum Vorwand für strategische Machtpolitik. Vor dem Hintergrund der erneuten Einteilung der Welt in Gut und Böse vollzieht sich ein Wertewandel: Ein neues Paradigma von Gewalt und Rücksichtslosigkeit beginnt sich durchzusetzen, und mit ihm, sei es in Politik, Wirtschaft oder Kultur, das Recht des Stärkeren - ein Rückfall in Ideologien und Verhaltensweisen vor-mittelalterlicher Prägung. Das hat u.a. zur Folge, dass nicht mehr die Gewaltanwendung, sondern die Absage an Gewalt unter dem Zwang der Rechtfertigung steht. Gründe genug also auch für UmweltschützerInnnen, sich verstärkt der fundamentalen Verflechtung von Gewalt und Umweltzerstörung anzunehmen und das gemeinsame Anliegen von Umwelt- und Friedensbewegung sichtbar zu machen.

Es ist kein Zufall, dass sowohl Umwelt- wie die Friedensbewegung in der Vergangenheit nicht allein für den Frieden respektive die Umwelt aktiv waren. Greenpeace als die wohl einflussreichste Umwelt-Organisation hat nicht umsonst "peace" im Namen, und die Friedensbewegung fühlte sich immer auch der Ökologie verpflichtet: Umweltschutz und Frieden bedingen einander.

Zwar liegt die sichtbare Opposition gegen Rüstung und Krieg von Greenpeace schon eine Weile zurück. Sie verband sich z.B. mit dem Flug des Heißluftballons über die Mauer als Protest gegen die Rüstungsspirale; mit dem Marsch durch das amerikanische Atomtestgelände in Nevada oder den jahrelangen Auseinandersetzungen um die französischen Atomtests im Pazifik. Dennoch macht diese Haltung einen unverzichtbaren Anteil der Greenpeace-Identität aus. Greenpeace stand und steht nicht nur für einen anderen Umgang mit der Natur, sondern für eine andere, nicht auf Gewalt gründende Form des Umgangs mit uns selbst. So irrt, wer glaubt, Greenpeace habe sich in seinen Anfängen doch auch "nur" um den Schutz der Wale gekümmert: Mit dem Schutz der Wale gingt es immer auch um den Kampf gegen die Rücksichtslosigkeit gegen die Natur, um den fehlenden Respekt vor dem Leben, letztlich um den Kampf gegen Gewalt. Das war Greenpeace, und das ist es im Kern heute noch. Und deshalb wird der Frieden, der Dialog als Möglichkeit zur Konfliktlösung und zur Prävention von Gewalt und Krieg, Greenpeace nie gleichgültig sein.

Zu den direkten Kriegsfolgen gehören immer auch schwere Umweltschäden. Doch die Natur ist auch ohne Krieg den Übergriffen menschlicher Zivilisation ausgeliefert. Wo das Recht des Stärkeren stillschweigend geduldet oder offen zum Prinzip erhoben wird, kann es keinen Respekt vor dem Leben geben. Wenn Umweltschutzarbeit in einer Gesellschaft, die von struktureller Gewalt geprägt ist - ob in Form grenzenloser Wirtschaftsmacht oder in Form der Akzeptanz des Krieges -, nicht schnöde Reparaturarbeit sein soll, muss die Gewalt als allgegenwärtiges Phänomen thematisiert werden. In einer Gewalt-Gesellschaft ist Umweltschutz zwangsläufig politisch.

Auch von der Gewalt des Terrors lässt sich der Bogen zum Umweltschutz spannen. Terror, die physische Gewalt der "anderen", ist heute in der Diktion der Herrschenden das Synonym für Gewalt schlechthin. Verschwiegen wird, dass diese Form der Gewalt nur eine ist, die sichtbarste zwar, aber nicht einmal die bedrohlichste - natürlich muss auch sie geahndet werden, Terroristen gehören, wie Umweltverbrecher auch, in die Obhut der Strafverfolgung. Andere Formen der Gewaltausübung bleiben dagegen verdeckt. Es sind die gleichen Politiker, die im Militär das Allheilmittel im Kampf gegen den Terrorismus sehen, und tatenlos bleiben bei der Vergiftung der Welt mit Milliarden Tonnen Kohlendioxyd und die Verseuchung von Nahrungsmitteln mit Chemiegiften. Sie werten die Interessen der Industrie höher als die Gesundheit der Menschen. Wer Umweltschutz nicht als Reparaturbetrieb, sondern als eine grundsätzlich andere Einstellung zur Natur und zum Leben versteht, kann nicht die Wurzel der Umweltzerstörung, die Bereitschaft zur Gewalt, ignorieren.

Greenpeace kann es also nicht gleichgültig sein, wenn sich schleichend, aber unaufhörlich, die Akzeptanz aller erdenklichen Formen von Gewalt erhöht. Zu einem sinnvollen Umweltschutz gehört, dass sich die Umweltbewegung, inklusive Greenpeace, des Friedensthemas wieder stärker annimmt. Das kann auf verschiedene Weise geschehen: Zunächst gehört dazu der Versuch einer aufrichtigen Diskussion. Und was den "Kampf gegen den Terror" angeht, so bedarf es, wie Jochen Hippler in der FR schrieb, schon fast "übermenschlicher Anstrengungen zur Blauäugigkeit", um diesen unter Verweis auf zweifellos vorhandenen "Kollateralnutzen" schönzureden. Ein konkreter Schritt wäre die Einführung eines obligatorischen Friedens- und Mediationsdienstes, der sich aus der Überzeugung speist, dass Friedenssicherung nicht nur auf Rüstung und Waffen beruht. Die kritische Auseinandersetzung mit der Berichterstattung in den Medien und ihre Überprüfung auf Plausibilität und Wahrheit, getreu dem Motto "Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst" ist dringend angesagt, genauso wie das Ringen um mehr Transparenz bei Waffenproduktion und -export.

An vorderer Stelle steht auch das Bemühen um die Bewahrung demokratischer Errungenschaften und Konventionen. In diesem Zusammenhang wäre sicherlich ein kleiner, aber bedeutsamer Schritt die Aufhebung des Fraktionszwanges bei Abstimmungen über Krieg und Frieden und den Einsatz der Bundeswehr.

Frieden und Umwelt sind nicht voneinander zu trennen, keines von beiden kann für sich allein errungen werden. Wer Frieden will, dem kann der Zustand der Umwelt nicht egal sein und umgekehrt: Wer die Umwelt retten will, kann dies nur, wenn er gleichzeitig versucht, die Spirale der Gewalt zu stoppen.

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Wolfgang Lohbeck ist Abteilungsleiter bei Greenpeace Deutschland in Hamburg.