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Möglichkeiten für friedenspolitische Themen auf internationaler Ebene
Handschlag statt Handkuss
vonEs sei eine neue Art, sich zu begegnen („Nos encontramos de una manera distinta ..."), sagte Dr. Cristopher Ballinas Valdés, Leiter des Büros für Menschenrechte und Demokratie des mexikanischen Außenministeriums beim Gender Equality Forum Mitte Mai dieses Jahres im Auswärtigen Amt, als er über die Wirkung einer Feministischen Außenpolitik (Feminist Foreign Policy, FFP) sprach. Diplomat*innen, die sich unter dieser Prämisse begegnen, seien sich zugewandter, verständnisvoller, in Solidarität und gegenseitiger Verantwortung für ein friedliches und nachhaltiges Zusammenleben.
Insbesondere in Anbetracht des Zusammenspiels von sozialen Medien und künstlicher Intelligenz ist es diese Art der menschlichen Zugewandtheit, die wir für Konfliktprävention und -resolution benötigen. Unter anderem, um zu verhindern, dass polarisierende Diskurse, soziale Ungerechtigkeiten und Falschinformationen in Gewalt und Kriege eskalieren.
Seit mehr als einem Jahrhundert fordern Frauen- und Menschenrechtsaktivist*innen die Einbeziehung feministischer Grundsätze in die Friedensarbeit. Beispielsweise beim ersten Frauenfriedenskongress (1915) in Den Haag, wo die Teilnehmerinnen unter anderem ein Ende des Ersten Weltkrieges forderten. Dadurch ist über die Jahrzehnte hinweg ein komplexes Regelwerk erwachsen, welches ganz konkrete Umsetzungsschritte und Richtlinien zu einer geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik und deren Umsetzung vorschlägt. Dabei war der internationale Austausch auf den Weltfrauenkonferenzen der Vereinten Nationen (VN) in Mexiko-Stadt (1975), Kopenhagen (1980), Nairobi (1985) und Peking (1995)) mit ihren Aktionsplattformen für internationalen Verträge wesentlich für die Weiterentwicklung des internationalen Rechtsrahmens bezüglich Geschlechtergerechtigkeit. Ein besonderer Meilenstein war das von 189 Staaten ratifizierte „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ (CEDAW). Darüber hinaus hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine mittlerweile zehn Resolutionen starke Agenda zu Frauen, Frieden und Sicherheit (Women, Peace and Security Agenda, WPS Agenda) erlassen. (1) Diese fordert die umfassende Beteiligung von Frauen in offiziellen Friedensprozessen, den Schutz vor geschlechterspezifischer Gewalt und den Einbezug einer Geschlechterperspektive in der humanitären Hilfe und Konfliktprävention.
Dabei geht es jedoch nicht allein um die Erhöhung des Frauenanteils im Sicherheitssektor oder an den Friedensverhandlungstischen, sondern auch um eine grundlegend andere Art der Verhandlungen und Sicherheitspolitik. Dies beinhaltet die Verankerung von Friedensarbeit auf lokaler Ebene und das Angehen der unterschiedlichen Machtgefälle – nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen Weltregionen (Nord-Süd-Gefälle), sozialen Schichten, Altersgruppen und religiösen oder ethnischen Gruppen. Es geht um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen und Macht und ganz stark darum, wie man sich in den Verhandlungen um diese begegnet.
Perspektivwechsel
Konkret heißt das, dass wir die Perspektive wechseln müssen: Dass Empathiefähigkeit in diplomatische Laufbahnen Einzug erhalten muss, dass das Wissen lokaler Akteur*innen ernsthaft in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden muss, dass menschlicher Erfahrung in politischen Analysen größere Bedeutung geschenkt werden muss, dass Außenpolitik greifbarer, konkreter, verständlicher und offener werden muss. Dabei ist es auch zentral, dass entscheidende Positionen mit ausreichender Expertise besetzt werden müssen. Viel zu oft werden Stellen, die sich mit Geschlechtergerechtigkeit befassen, nur mit unzureichenden finanziellen Mitteln und Expertise ausgestattet. Gender Focal Points werden oft auf ad hoc Basis benannt und verfügen weder über ausreichende Arbeitserfahrung noch über das angemessene politische Gewicht. Die Ernennung einer Botschafterin zu Frauen, Frieden und Sicherheit, wie beispielsweise im Falle der kanadischen Regierung, ist hier sicherlich beispielhaft.
Bei der Umsetzung einer feministischen Friedens- und Sicherheitspolitik muss demnach das Konzept der menschlichen Sicherheit (2), welches auf der Förderung von sozialer Gerechtigkeit basiert, eine zentrale Rolle einnehmen. Das Konzept geht über die Abwesenheit von Waffengewalt hinaus und setzt sich die Freiheit von Angst und Nöten, Rechtssicherheit, Chancengleichheit, Nachhaltigkeit und Menschenrechtsschutz zum Ziel.
In der Umsetzung sollte eine feministische Friedens- und Sicherheitspolitik folgende Schlüsselelemente umfassen:
- Klare Definitionen und ein gemeinsames Verständnis aller Beteiligten darüber, was FFP in Theorie und Praxis und insbesondere in Kriegs-und Krisensituationen bedeutet;
- Gender-responsive Konfliktanalyse, die das Wissen lokaler Akteure und eine intersektionale Geschlechterperspektive miteinbezieht;
- Transparente und partizipative politische Entscheidungsprozesse, die die Integration der Perspektiven von Frauen- und Menschenrechtsaktivist*innen und -organisationen ermöglichen;
- Professionelle und glaubwürdige Expertise, die ein Mindestmaß an konkreter Arbeitserfahrung in Krisengebieten, wie beispielsweise zu geschlechtersensiblen Analysen, politischen Prozessen und deren Umsetzung, voraussetzt und lokale Expert*innen aktiv miteinbezieht;
- Geschlechtersensible Qualitätssicherung in Projekt und Politikumsetzung.
Für eine feministische Außenpolitik bedeutet das auch, dass entsprechende Expert*innen über ausreichende technische, aber auch lokale Expertise und Sprachkenntnisse verfügen müssen, bevor sie als Expert*innen in bestimmte(n) Regionen entsandt oder ernannt werden. Darüber hinaus sind eine aktive Beteiligung lokaler Expert*innen in Entscheidungsprozessen sowie eine gerechte und objektive Bezahlung unabdingbar. Noch immer bestehen Unterschiede in der Bezahlung, nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen bestimmten Themenbereichen. So sind weiblich geprägte politische Bereiche (wie etwa Geschlechterthemen) oftmals schlechter bezahlt als vermeintlich männlich besetzte (wie etwa Sicherheitsthemen).
Ein feministischer Ansatz fokussiert sich in diesem Sinne nicht ausschließlich auf Frauenförderung, sondern muss weiterhin patriarchale Normen, Institutionen und Verhaltensmuster hinterfragen. Dies beinhaltet auch die kritische Reflexion und Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, als auch mit post-kolonialen Strukturen und Dynamiken in Entscheidungsprozessen, aber auch in der gleichberechtigten Vergütung.
Der aktive und partnerschaftliche Umgang und Austausch mit Projektpartner*innen und bilateralen Verhandlungspartner*innen auf Augenhöhe trägt dazu bei, ungleiche Machtbeziehungen zu überwinden und postkoloniale Strukturen und politisch sensible Dynamiken selbstkritisch zu hinterfragen. Erfolgskriterien für die Projektförderung sollten durchgängig die multidimensionale Wirkung der jeweiligen Interventionen berücksichtigen. In der Projektentwicklung sollte ein partizipativer Austausch über die Wirkungsdimension und ihre Wechselwirkung mit anderen politischen Maßnahmen der Bundesregierung stattfinden. Dadurch würde auch eine höhere politische Kohärenz gefördert.
Friedens- und Menschenrechtsaktivist*innen, insbesondere in Konfliktgebieten, sind aufgrund ihres Einsatzes hinsichtlich Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Menschenrechtsschutz erheblichen Gefahren ausgesetzt. Eine feministische Außenpolitik muss sich, soweit wie möglich, schützend vor sie stellen. Die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 verdeutlichte, wie gefährdet auch prominente Frauen-, Menschen- und LSBTIQ+-rechtsaktivist*innen sein können. Deutschlands Rolle in den Evakuierungen von afghanischen Menschenrechtsaktivist*innen hat wesentlich zu deren Sicherheit beigetragen. Wenngleich der Umfang und die Geschwindigkeit der Evakuierungen nicht ausreichend waren. Eine gute Vorbereitung auf derartige Krisensituationen ist wichtig. Unbürokratische Asylanträge, Ausreiseerleichterung und diplomatischer Schutz sind einige der Maßnahmen, die eine deutsche feministische Außenpolitik unterstützen könnte.
Gesellschaftliche Vielfalt berücksichtigen
Den Prinzipien einer feministischen Außenpolitik folgend, ist die Anerkennung von weiblichen Expert*innen alleine nicht ausreichend. Darüber hinaus sollten Foren und Konsultationen die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln, die sie zu repräsentieren versuchen. Dies bezieht sich nicht alleine auf das biologische und soziale Geschlecht, sondern betrifft auch andere Vielfaltskriterien, wie Religionszugehörigkeit, ethnische Herkunft, Alter, sozialer Status, Behinderungen und sexuelle Vielfalt. Gut organisierte Panels sollten demnach immer vielfältige Meinungen und Vertreter*innen verschiedener Interessensgruppen und Zugehörigkeiten zulassen. Während des nichtständigen Sitzes im VN-Sicherheitsrat von 2019 bis 2020 hat Deutschland an die schwedischen Initiativen angeknüpft und Menschenrechtsaktivist*innen vor allem aus dem globalen Süden aktiv in Verhandlungen miteinbezogen.
Im Kontext der Umsetzung der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit wurde unter anderem auch eine Studie zu den Wahrnehmungen von Menschen aus Regierung und Zivilgesellschaft in den Einsatz- und Projektländern zu Deutschlands Frauen-, Friedens- und Sicherheitspolitik von Gender Associations durchgeführt. Die Fallstudien zu Afghanistan, Kolumbien, Mali und Ukraine wurden ausschließlich von Expert*innen aus den jeweiligen Ländern entwickelt. Durch die Standardisierung dieser Art der Befragungen über die Wahrnehmung und Wirkung auch von anderen außenpolitischen Maßnahmen würde Deutschland international mit einem innovativen und notwendigen feministischen Ansatz vorangehen.
Anmerkungen
(1) Die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit umfasst folgende Resolutionen des VN-Sicherheitsrats: UNSCR 1325 (2000), UNSCR 1820 (2009), UNSCR 1888 (2009), UNSCR 1889 (2010), UNSCR 1960 (2011), UNSCR 2106 (2013), UNSCR 2122 (2013), UNSCR 2242 (2015) UNSCR 2467 (2019) und 2493 (2019)
(2) UNDP. Human Security Now. 203