Fall 02 des GN-STAT

Heckler & Koch vor Gericht

von Jürgen Grässlin
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Der Strafprozess um den illegalen G36-Gewehrhandel von H&K mit Mexiko tritt in seine entscheidende Phase.

Acht Jahre nach Erstattung meiner ersten Strafanzeige gegen führende Mitarbeiter des Oberndorfer Kleinwaffenproduzenten und -exporteurs Heckler & Koch (H&K) und sechs Jahre nach der zweiten Strafanzeige meines Rechtsanwalts Holger Rothbauer gegen involvierte Vertreter der Rüstungsexportkontrollbehörden ist es endlich soweit: Ausführlich als FALL 02 dargestellt im GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (siehe Artikel Mitmachen beim GN-STAT) wird seit Mai dieses Jahres vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Bis Ende Oktober sollen 23 Prozesstage hinter den fünf Angeschuldigten liegen, sechs weitere öffentliche Verhandlungstermine stehen noch aus.

Markus Bantle, die Nummer 6 der Angeschuldigten, wird als vormaliger H&K-Vertreter für Mexiko mit internationalem Haftbefehl gesucht, das Verfahren wurde vom jetzigen abgekoppelt. Als mexikanischer Staatsbürger kann Bantle erst dann von der Stuttgarter Justiz in Gewahrsam genommen werden, wenn er sein neues Heimatland verlassen sollte. Bantle gilt – neben den weiteren Angeschuldigten Peter Beyerle und Joachim Meurer (vormalige H&K-Geschäftsführer), Ingo Sahlmann und Wolfram Mackrodt (frühere H&K-Vertriebsleiter) und einer ehemaligen Vertriebsmitarbeiterin – als eine der Schlüsselfiguren im G36-Gewehrdeal mit Mexiko.

Laut Eröffnungsbeschluss des Landgerichts Stuttgart wiegt die Anklage schwer: Peter Beyerle beispielweise muss sich wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) in Tateinheit mit bandenmäßigem Verstoß und gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) in zwölf Fällen verantworten.

Alle sechs Beschuldigten sollen in den Jahren 2006 bis 2009 daran beteiligt gewesen sein, dass rund 10.000 G36-Gewehre an das Verteidigungsministerium Mexikos verkauft wurden, was legal war. Allerdings wurden davon 4702 Sturmgewehre in verbotenen Unruheprovinzen weitergeliefert, ein illegaler Akt. So tauchten diese Waffen – widerrechtlich der Maßgabe der deutschen Kontrollbehörden Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und Bundesausfuhramt (BAFA) – in den Händen vielfach korrupter Polizisten in Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero auf.

Diese vier – belieferungsverbotenen – mexikanischen Unruheprovinzen zählten schon damals zu den Hauptschauplätzen des Drogenkrieges. Tagtäglich wird mit den H&K-Gewehren in Mexiko gemordet. 2014 konnte der Einsatz illegal nach Guerrero exportierter G36-Gewehre bei der Entführung und offensichtlichen Ermordung von 43 Lehramtsstudenten einer Hochschule in Ayotzinapa belegt werden.

Die Beweislast war und ist seit der Übergabe des vorliegenden Informationsmaterials aus den Händen eines H&K-Whistleblowers erdrückend. Dessen ungeachtet stellte der Stuttgarter Staatsanwalt Peter Vobiller die Ermittlungen gegen die in den Fall involvierten Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und des Bundesausfuhramtes (BAFA) ein. Damit trat die Verjährungsfrist in Kraft, Vertreter der Rüstungsexport-Kontrollbehörden wurden im Verfahren seither als Zeugen vernommen – nicht aber als Beschuldigte.

Staatsanwalt Vobiller ist längst versetzt, seine Nachfolger bemühen sich bislang nach Kräften – und womöglich vergeblich – um den Beweis der Anklage. Nicht weil Beweise fehlen würden, vielmehr weil der Vorsitzende Richter Maurer eine äußerst eigenwillige Interpretation der Rechtslage an den Tag legt. Mehrfach wiederholte Maurer in der Verhandlung, dass die Endverbleibserklärungen – wonach die vier belieferungsverbotenen Unruhestaaten keinesfalls G36-Sturmgewehre hätten erhalten dürfen – nicht Teil der von H&K und dem mexikanischen Verteidigungsministerium ausgehandelten Verträge gewesen seien.

Genau diese Vorgabe Maurers trifft definitiv nicht zu. Ein Faktum, das mit der TV-Reportage des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ am 14. August 2018 klar widerlegt werden konnte: „Ausdrücklich in den Verträgen als Empfänger benannt werden dagegen zwei mexikanische Bundesstaaten: Chiapas und Guerrero. Beide durften nicht beliefert werden. Damit widersprechen die Verträge den offiziellen Endverbleibserklärungen, in denen diese Staaten nicht mehr auftauchen“, so die Recherchen von Thomas Reutter und Daniel Harrich. Bleibt letztlich die Frage, welche Kenntnis jeder der sechs Angeschuldigten von der Vertragslage hatte – eine Frage, die entscheidend zur Urteilsfindung des Landgerichts Stuttgart beitragen wird.

Zum Schluss eine Tatsache, die im H&K-Strafverfahren – wie bei all den anderen Gerichtsverhandlungen bei widerrechtlichem Waffenhandel – erschreckt: Die Opfer werden schlichtweg ausgeblendet. Treten sie dennoch in Erscheinung, wird ihnen übel mitgespielt. So wurde im H&K-Verfahren die intendierte Nebenklage des Rechtsanwalts Christian Schliemann vom European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) in Berlin vom Stuttgarter Landgericht abgewiesen. Betroffene – beispielsweise Angehörige der auch mit G36-Gewehren verübten Menschenrechtsverletzungen in Ayotzinapa – bleiben damit außen vor.

Wie wenig die Opfer eine Rolle spielen – weder im H&K-Prozess am Landgericht Stuttgart noch im Unternehmen selbst – zeigte sich auch bei der vierten Hauptversammlung der H&K AG am 21. September in Rottweil. Dort meldeten sich 13 AktivistInnen der „Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch“ mit rund 200 Fragen zu Wort.

Gerade die Antworten auf die Fragen kritischer Aktionäre nach den G36-Exporten nach Mexiko und deren Opfer wecken massive Zweifel an der Seriosität und Ernsthaftigkeit der H&K-Unternehmensführung. „Wir bedauern diese Verbrechen“, verkündete der H&K-Vorsitzende Jens Bodo Koch pauschal – ohne jegliche Entschuldigung für die Beihilfe zum Morden in Mexiko durch den Export Abertausender G36-Sturmgewehre. H&K-Waffen seien dazu da, in den Händen von Polizisten „Opfer zu schützen“. Bei Exporten würde sich das Unternehmen immer „streng an Recht und Gesetz halten“ – was für Phrasen angesichts des tödlichen Einsatzes von H&K-Gewehren in den Händen mexikanischer Polizisten und Drogenbanden.

Bei einer Podiumsveranstaltung zur Aufklärung über die Folgen der H&K-Waffenexporte nach Mexiko am 26. September 2018 in Stuttgart schilderten die Rechtsanwältin Sofía De Robina vom Menschenrechtszentrum „Miguel Augustín Pro Juárez A.C.“ und Leonel Gutiérrez Solana eindrücklich die Folgen des Polizeieinsatzes in Ayotzinapa. Solanas Bruder liegt seit seinem Kopfschutz durch Polizisten – ausgerüstet mit G36 und anderen Kleinwaffen – im Koma.

Als Solana an eben diesem 26. September, dem 17. Verhandlungstag im H&K-Prozess, vor Verhandlungsbeginn im Gerichtssaal das Foto seines im Koma liegenden Bruders in die Höhe hielt, lernte er den deutschen Sicherheitsapparat näher kennen: Acht Sicherheitsbeamte stürzten sich auf ihn und entrissen ihm das Foto.

Was bleibt zu tun? Die Aktivisten der Friedens- und Menschenrechtsbewegung in Mexiko und Deutschland müssen sich verbünden, um gemeinsam Licht ins Dunkel der Machenschaften von Heckler & Koch und weiterer Rüstungskonzerne zu bringen. Hierbei hilft uns das neue GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE, siehe  https://www.gn-stat.org/espa%C3%B1ol/caso/

Auf der GN-STAT-Website finden sich Fakten und Hintergründe zum GN-STAT FALL 02, siehe https://www.gn-stat.org/deutsch/f%C3%A4lle/mexiko-deutsch/  

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).