Australien und der Südpazifik

Hilfssheriff in der Wasserwüste

von Volker Böge

Die Südsee - aus europäischer Sicht seit jeher Projektionsfläche für Träume von Frieden, Freiheit und Überfluss, wahrhaft „paradiesischen" Zuständen also. Die Realität sah schon immer anders aus. Und heutzutage kann von einem „Südseeparadies" wahrlich nicht mehr die Rede sein. Auch der Südpazifik ist in die wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung einbezogen. In der Folge entstehen eine Vielzahl innergesellschaftlicher Probleme und Konflikte.

 

Die rund acht Millionen Einwohnerinnen der 15 unabhängigen Staaten und 12 abhängigen Territorien, die sich in einer Wasserwüste von rund 30 Millionen Quadratkilometern verlieren, sind von Gewalt in vielfältiger Form betroffen. Das reicht von sexueller Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie HIV/Aids und steigender Alltagskriminalität bis zu den Folgen der Atomtestversuche regionsfremder Großmächte (USA, Frankreich, Großbritannien) sowie Putschen und Kriegen.

Gewaltkonflikte

Gewalt und gewaltsamer Konfliktaustrag im Pazifik machen in der internationalen Öffentlichkeit keine Schlagzeilen wie die Kriege im Nahen und Mittleren Osten oder in Afrika. In der Tat: im globalen Zusammenhang handelt es sich um „mindere Fälle"; bisher ist der Region Massenelend und kriegerische Verwüstung in „afrikanischen" Dimensionen erspart geblieben. Gleichwohl haben auch diese „minderen Fälle" für die kleinen Gesellschaften der südpazifischen Inselstaaten häufig verheerende Auswirkungen. In jüngster Vergangenheit war die Region Schauplatz einer Reihe so genannter „vergessener" Kriege und Gewaltkonflikte. Zu nennen sind:

Westpapua: In diesem von Indonesien besetzten Territorium wird seit den 60er Jahren Krieg geführt. Die indonesischen Besatzungstruppen unterdrücken mit brutaler Gewalt die indigene melanesische Bevölkerung, die für das Recht auf Selbstbestimmung kämpft (s. Artikel in diesem Heft).

Bougainville: Dort wurde im Jahrzehnt zwischen 1988 und 1998 ein verlustreicher innergesellschaftlicher Krieg zwischen einer Sezessionsbewegung und der Zentralregierung von Papua-Neuguinea ausgetragen (s. Extra-Artikel).

Salomonen: Hier bekämpften sich seit 1998 verschiedene Milizen, im Juni 2000 wurde die Regierung in einem gewaltsamen Putsch gestürzt, 2003 kam es zu einer australisch geführten Militärintervention, im April diesen Jahres zu schweren Unruhen, bei denen die „Chinatown" der Hauptstadt nahezu vollständig zerstört wurde (s. Extra-Artikel).

Fidschi: Zu verzeichnen sind zwei Militärputsche im Jahre 1987, ein weiterer Putschversuch in 2000, bei dem die gesamte Regierung wochenlang in Geiselhaft genommen wurde sowie eine Meuterei einer Eliteeinheit im November 2000; seither ist die vom Gegensatz zwischen indigenen und indisch-stämmigen Fidschianern geprägte Gesellschaft nicht zur Ruhe gekommen.

Das Hochland von Papua-Neuguinea: Hier fordern so genannte Stammeskriege, die zusehends mit modernen Waffen ausgetragen werden, regelmäßig Dutzende von Todesopfern und führen zur Verwüstung von Besitz und Infrastruktur. Insbesondere die Wahlkämpfe sind von einem hohen Ausmaß an Gewalt gekennzeichnet.

Vanuatu: In der Gründungsphase des jungen Staates 1980 gab es einen Bürgerkrieg zwischen den anglophonen und frankophonen Bevölkerungsgruppen. In den 80er und 90er_Jahren kam es zu mehreren schweren Unruhen in der Hauptstadt und zu Putschversuchen. Zuletzt meuterten Teile der paramilitärischen Polizei im Jahre 2002.

Neukaledonien/Kanaky: Zwischen 1984 und 1988 forderte der Gewaltkonflikt zwischen nach Unabhängigkeit strebender indigener kanakischer Bevölkerung einerseits und der französischen Kolonialmacht sowie französischen Siedlern andererseits Hunderte von Menschenleben. Trotz politischer Abkommen von 1988 und 1998 bestehen die Probleme fort. Sporadisch kommt es zu Gewaltausbrüchen, insbesondere im Zusammenhang mit Nickel-Bergbau sowie bei Konflikten zwischen Kanaken und Zuwanderern aus Wallis und Futuna (s. Extra-Artikel).

Überdies gibt es - mehr oder minder militante - Unabhängigkeitsbewegungen unter anderem in Französisch-Polynesien. Hawaii und Rapa Nui/Osterinsel, die mit mehr oder minder massiver - Repression der jeweiligen Kolonialmächte konfrontiert sind (s. Extra-Artikel). Nicht zuletzt wurde Tonga, ein anachronistisches Königreich, in den letzten Monaten von einer großen Demokratiebewegung erfasst und befindet sich gegenwärtig in einer konfliktiven Umbruchphase.

Konfliktursachen

Aus der Sicht herrschender Politik in der entwickelten" OECD-Welt sind die Menschen im Pazifik „selber Schuld" an diesen Konflikten; ,,ethnische Gegensätze" oder versagende und gescheiterte Staaten" werden als Erklärung für die Gewaltursachen bemüht. Dabei liegt auch hier die Mitverantwortung des „entwickelten" Nordens für die Probleme des Südens auf der Hand. Nicht „Unterentwicklung" und ,,Staatsversagen" sind das Hauptproblem, sondern eine an den Interessen des Nordens orientierte fehlgeleitete Entwicklung sowie das Erbe kolonialer Herrschaft und neoimperialer Einmischung, die die südpazifischen Gesellschaften nach dem Bilde des Nordens im Interesse des Nordens formen will.

Schlagend deutlich wird das etwa auf dem Feld der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Viele südpazifische Staaten sind ,,an sich" reich, nicht nur reich an Subsistenzmitteln (in dieser Hinsicht hat das Bild vom „Südseeparadies" eine gewisse Berechtigung), sondern reich auch an Ressourcen, die auf dem Weltmarkt nachgefragt werden: Tropenholz, Fisch, Erdöl und Erdgas sowie wertvolle Mineralien wie Gold, Kupfer, Nickel. Einige der weltgrößten Bergbauprojekte finden sich in der Region. Doch den Nutzen davon haben die multinationalen Bergbaukonzerne des Nordens, während die vom Bergbau betroffenen lokalen Gemeinschaften nur allzu oft unter der Zerstörung ihrer Umwelt und der Zersetzung ihrer traditionellen sozialen Strukturen zu leiden haben. Gewaltkonflikte sind häufig die Folge. Der Krieg auf Bougainville, die Gewaltkonflikte in Westpapua und auf den Salomonen, die Putsche auf Fidschi und die Gewaltausbrüche in Kanaky /Neukaledonien sind nicht von der Ressourcenproblematik zu trennen. Ressourcenreichtum ist hier mehr Fluch denn Segen.

Ausbeutung der Erze, Tropenwälder und Fischbestände zerstört Umwelt und Sozialstrukturen, trägt aber kaum zu wirtschaftlicher „Entwicklung" bei. Die meisten Inselstaaten sind geplagt von enormer Arbeitslosigkeit im formellen Sektor der Wirtschaft. Und da es sich um sehr junge Gesellschaften handelt, ist die Jugendarbeitslosigkeit das Hauptproblem. Männliche arbeitslose Jugendliche stellen ein enormes gewaltbereites Potenzial dar. Nicht allein der Anstieg alltagskrimineller Gewalt von Jugendbanden ist das Resultat. Auch die Milizen auf den Salomonen, die Bürgerkriegstruppen auf Bougainville und das Fußvolk der Putschisten auf Fidschi rekrutierten sich vornehmlich aus männlichen Jugendlichen ohne berufliche und gesellschaftliche Perspektive. Oft sind sie den traditionellen dörflichen Sozialstrukturen entwachsen, ohne einen Platz in der modernen urbanisierten Gesellschaft zu finden. Solche Probleme von Gesellschaften im Übergang müssten angegangen werden, um eine nachhaltig friedliche Entwicklung zu fördern. Stattdessen wird die Formel von versagenden und gescheiterten Staaten herangezogen, um die Gewalt zu erklären und um Interventionen im eigenen Interesse zu rechtfertigen. Dies ist das Muster, nach dem die regionale Vormacht Australien gegenwärtig verfährt.

Australische Hegemonialpolitik
Australien ist der mit Abstand wirtschaftlich, politisch und militärisch stärkste Staat in der Region. Im Unterschied zu den anderen südpazifischen Staaten, die als ,,Entwicklungsländer" gelten, gehört Australien (ebenso wie Neuseeland) zum Club der reichen industrialisierten Gesellschaften der OECD-Welt. Die nunmehr seit zehn Jahren regierende konservative Koalition unter Führung des Premierministers John Howard versteht Australien als regionale Ordnungsmacht. In der Diktion von John Howard handelt es sich beim Südpazifik um ,,our patch" (unser Fleckchen), einen australischen Hinterhof also. Und in dem will man für Ruhe und Ordnung sorgen. Seit dem 11. September 2001 nimmt man dabei den Südpazifik durch die Brille des weltweiten „Kriegs gegen den Terror" wahr. In diesem Krieg ist Australien einer der treuesten Verbündeten der USA. Australische Soldaten kämpfen im Irak und in Afghanistan. Und im Pazifik übernimmt Australien die Rolle des Hilfssheriffs für die USA. Die schwachen, schlecht regierten, von inneren Widersprüchen und Spannungen geplagten Staaten der Region gelten aus australischer und US-amerikanischer Sicht als Faktor Besorgnis erregender Unsicherheit. Die Rede ist von einem „Bogen der Instabilität", der sich durch den pazifischen Raum spanne. Die Staaten dort könnten leicht als sicheres Rückzugsgebiet für Terroristen und internationale Verbrechersyndikate dienen. Das hat zwar mit den Realitäten vor Ort nichts zu tun - in den kleinen überschaubaren Gemeinschaften der pazifischen Inselstaaten mit ihren dicht geknüpften Netzen sozialer Kontrolle kann sich kein Fremder auch nur kurze Zeit unentdeckt bewegen -, wurde aber nach dem 11. September 2001 zur Legitimation einer markanten Wende der australischen Politik gegenüber der Region genutzt.

Hatte Australien in den 70er/80er Jahren eher einen „hands off"-Ansatz verfolgt, so gilt nun die Devise: ,,hands on", also verstärktes Engagement, und zwar nicht nur mit den Mitteln herkömmlicher Entwicklungshilfe und -politik, sondern massiver - auch militärischer - Einmischung. Im Wahlkampf 2004 verkündete John Howard, seine Regierung sei bereit, wenn nötig - ganz analog der Strategie des großen Bruders - mit „präemptiven" Militärschlägen gegen terroristische Basen in Nachbarstaaten vorzugehen.

Militärintervention auf den Salomonen

Sichtbarster Ausdruck der neuen „hands on“·Politik war die Militärintervention auf den Salomonen (s. Extra-Artikel). Im Juli 2003 intervenierten australische Streitkräfte gemeinsam mit kleinen Kontingenten einiger anderer pazifischer Inselstaaten, um „Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen und den „zerfallenen" Staat wiederaufzubauen. Auch wenn die Intervention als eine multilaterale Angelegenheit unter australischer Führung präsentiert wurde (die offizielle Bezeichnung ist: RAMSI - Regional Assistance  Mission to Solomon Islands), so handelte es sich faktisch doch um ein australisches Unternehmen; ohne den Willen der australischen Regierung und die australischen Ressourcen wäre die Intervention nicht zustande gekommen.

Zunächst sah alles nach einem Erfolg aus: Unter dem Druck der massiven militärischen Übermacht brachen die Milizen rasch zusammen, sie konnten entwaffnet und aufgelöst werden, die schlimmsten Warlords - darunter auch einige Regierungsmitglieder - wurden vor Gericht gezerrt. Die geplagten Bewohner der Hauptstadt Honiara begrüßten in ihrer großen Mehrheit die Intervention. Mittlerweile allerdings sieht es anders aus. Die Australier haben sich quasi als Protektoratsmacht festgesetzt; sie haben schwer an der selbstauferlegten Aufgabe, einen „richtigen" Staat aufbauen zu wollen, zu tragen. Die Objekte dieser Übung stehen den fremden Beamten zusehends feindselig gegenüber. Die schweren Unruhen Mitte April 2006 in Honiara richteten sich nicht zuletzt gegen RAMSI. Die australische Regierung musste mehrere Hundert zusätzliche Soldaten und Polizisten schicken, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen. Gegenwärtig herrscht trügerische Ruhe. Doch ist offensichtlich, dass die australische Regierung, die sich lange Zeit wegen des scheinbaren „Erfolgs" des harten Durchgreifens a la RAMSI selbst in den höchsten Tönen gelobt hatte, in einer Sackgasse steckt. Zur Zeit scheint niemand in Canberra zu wissen, wie man da wieder herauskommen könnte. Die Australier richten sich mittlerweile darauf ein, zehn Jahre oder länger auf den Salomonen zu bleiben; eine exit-Strategie gibt es augenscheinlich nicht. Was die USA im Irak in großem Maßstab erfahren, lernt die australische Regierung gegenwärtig im Kleinen auf den Salomonen: Dass es überheblicher imperialer Wahn ist, zu glauben, man könne gestützt auf militärische Macht dauerhaft eigene Ordnungsvorstellungen gegen den Willen der betroffenen Völker durchsetzen.

Multilateralismus unter australischer Kontrolle
Australien ist bemüht, seiner Politik einen multilateralen Anstrich zu geben. Wesentliches Instrument hierfür ist die für den Südpazifik zuständige Regionalorganisation, das Pacific Islands Forum (PIF). Dieses hat im Zuge der neuen australischen Strategie eine Belebung erfahren, allerdings erst, nachdem Howard auf dem PIF-Gipfel 2003 durchgesetzt hatte, dass die Leitung der Organisation, die vordem stets in Händen eines Politikers aus einem der Inselstaaten gelegen hatte, an einen Australier übertragen wurde. Die Mitgliedsstaaten haben sich zu gemeinsamem Vorgehen gegen Terrorismus, Organisierte Kriminalität und andere „Bedrohungen" verpflichtet.

Im Oktober letzten Jahres wurde vom PIF-Gipfel der ambitionierte „Pacific Plan" verabschiedet, der ehrgeizige Ziele in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Integration sowie auf anderen Gebieten formuliert. Australische Überlegungen gehen bis hin zu einer Währungsunion - selbstverständlich mit dem australischen Dollar als Währung für den gesamten PIF-Raum. Ansinnen der pazifischen Inselstaaten allerdings, den australischen Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus dem Pazifik zu öffnen, werden von australischer Seite entschieden zurückgewiesen.

Man sieht: Die tatsächlichen Sicherheitsprobleme in den pazifischen Inselstaaten einerseits und die Bedrohungsperzeption und Sicherheitspolitik der australischen Regierung andererseits stimmen nicht unbedingt überein. Eine an (vermeintlichen) nationalen Sicherheitsinteressen orientierte und im Kontext des „Krieges gegen den Terror" verortete australische Politik kann zwar hin und wieder "Kollateralnutzen" für die betroffenen pazifischen Staaten haben (wie im Falle der ersten RAMSI-Phase), ist aber weit davon entfernt, deren genuine Probleme und Interessen gleichberechtigt aufzunehmen. Die dominante „Krieg gegen den Terror" - Perspektive verstellt den Blick für die Notwendigkeiten einer kooperativen Bearbeitung der tatsächlichen Ursachen von Konflikten und Unsicherheit in der Region.

Anmerkung

1 Die unabhängigen .Staaten sind: Neuseeland (Aotearoa), Papua-Neuguinea, Salomonen, Vanuatu, Fidschi, Tanga, Samoa, Tuvalu, Kiribati, Nauru sowie - in freier Assoziierung mit Neuseeland oder den USA - Palau, Föderierte Staaten von Mikronesien, Marshall-Inseln, Cook-Inseln, Niue. In verschiedenen Formen (neo-) kolonialer Abhängigkeit befinden sich: Westpapua (beherrscht von Indonesien), Neukaledonien/Kanaky (Frankreich), Wallis und Futuna (Frankreich), Amerikanisch-Samoa (USA), Tokelau (Neuseeland), Französisch-Polyriesien (Frankreich), Pitcairn (Großbritannien), Osterinsel/Rapa Nui (Chile), Hawaii (USA), Guam (USA), Nördliche Marianen (USA) sowie Norfolk-Insel (Australien).

 

 

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