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Von Unternehmen regierte Städte
Honduras: Die Herrschaft der Unternehmen
vonStädte oder Territorien, die ausschließlich von Unternehmen regiert werden, mit eigener Rechtsprechung, eigenen Sicherheitskräften, eigener e-Citizenship, separater Währung und eigenen extrem niedrigen Steuersätzen. Soziales und Bildung sind Dienstleistungen, die bei Bedarf eingekauft werden. Demokratische Partizipation ist an Besitz gekoppelt oder existiert gar nicht. Abstimmungen finden „mit den Füßen“ statt: Wem es nicht mehr gefällt, der kann seinen Vertrag auflösen und gehen. Es gibt keine staatlichen Umweltauflagen oder Bauvorschriften einzuhalten, auch medizinische und gentechnische Experimente können ohne Rücksicht auf Restriktionen durchgeführt werden. Menschenrechte werden zur individuell verfügbaren Ware, mit der „frei“ zu handeln ist. Der Staat, der Gebiete für diese „Privatstädte“ konzessioniert, hat dort nichts mehr zu sagen. Er bleibt allenfalls zuständig für Militär und Außenpolitik. Und er kann bei Bedarf weitere Territorien zugunsten dieser Enklaven enteignen.
Das klingt nach einer schrägen Dystopie „anarcho-kapitalistischer“, rechtslibertärer Kreise. Allerdings - es gibt diese von Unternehmen geführten „Privatstädte“ wirklich. In Honduras. Sie heißen dort „Zonen für Beschäftigung und Entwicklung“ (spanisch ZEDE) und sind entstanden, als sich das zentralamerikanische Land nach dem Staatsstreich 2009 zunehmend zu einer Narcodiktatur entwickelte, derentwegen Ex-Präsident Juan Orlando Hernández kürzlich in den USA zu 45 Jahren Haft und einer Geldstrafe von acht Millionen US-Dollar verurteilt wurde. Staatliche Institutionen wurden extrem geschwächt und ausgehöhlt, Politiker*innen und Funktionär*innen zunehmend vom organisierten Verbrechen korrumpiert, widerständige zivilgesellschaftliche Gruppen verfolgt und mit Strafverfahren überzogen. Das Wort vom „failed state“ ging um – ein idealer Nährboden für diejenigen, die behaupten, es besser zu können als jeglicher Staat, erst recht als jegliche demokratisch verfasste Gesellschaft. Nach dem Austausch widerspenstiger Verfassungsrichter*innen 2012 stand der Änderung der Verfassung zugunsten der ZEDE nichts mehr im Wege. 2013 trat dann das Gesetz über die ZEDE in Kraft. (1)
Indigene Basisgruppen wie die Garífuna-Organisation OFRANEH hatten frühzeitig vor den Risiken der ZEDE gewarnt. Wirklich bewusst, was auf dem Spiel stand, wurde vielen innerhalb und außerhalb des Landes jedoch erst, als die erste ZEDE 2020 auf der honduranischen Karibikinsel Roatán tatsächlich Gestalt annahm. Die Bewohner*innen von Crawfish Rock, einem kleinen Fischerdorf englischsprachiger Schwarzer Kariben, fielen aus allen Wolken, als sie entdeckten, dass nebenan kein „normaler“ Tourismuskomplex entstand, sondern ZEDE Próspera, ein weltweit einmaliges Experiment von Libertären wie dem in Monaco lebenden Deutschen Titus Gebel oder dem US-Amerikaner Eric Brimen. Die erste Investor*innenkonferenz hatte 2019 in München stattgefunden. Eine Tochterfirma der Technischen Universität München, die TUM international GmbH, begann damals mit Próspera ein Industriegebiet an der Küste direkt neben der Hafenstadt La Ceiba zu entwickeln. (2)
Es folgten Morazán City unweit der Wirtschaftsmetropole San Pedro Sula und Orquídea, eine agroindustrielle Zone im Süden von Honduras. Morazán City ist ein Projekt des italienischen Pharmaunternehmers Massimo Mazzone, es soll eine Wohn- und Industriestadt mit 10.000 Einwohner*innen werden, die in den dortigen Fabriken arbeiten. Orquídea hat keinerlei Bewohner*innen, sondern besteht aus einer langen Reihe von Gewächshäusern, in denen Arbeiter*innen Paprika und Tomaten für den Export in die USA anbauen. Die Zone gehört dem einflussreichen honduranisch-chilenischen Unternehmer Victor Wilson, der auch das größte Krabbenzucht-Unternehmen in Honduras betreibt. Technischer Sekretär ist Guillermo Peña Panting, einer der führenden Köpfe der inzwischen auch parteipolitisch aktiven, „libertären“ Bewegung in Honduras.
Widerstand formiert sich
Mit dem Widerstand gegen die autokratische Herrschaft von JOH wuchs auch der Widerstand gegen die ZEDE. 2021 formierte sich eine landesweite Bewegung gegen die Privatstädte, über 180 Munizipien erklärten in Gemeindeversammlungen, dass sie keine ZEDE auf ihrem Gebiet haben wollten. Der Protest reichte von städtischen linken Gruppen über indigene, kleinbäuerliche und Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften bis hin zum neoliberalen Unternehmerverband. Die breite Mobilisierung gegen die ZEDE trug schließlich im November 2021 erheblich zum Wahlsieg der Mitte-links-Kandidatin Xiomara Castro bei. Bereits im April 2022 löste Castro eines ihrer Wahlversprechen ein und kündigte die Abschaffung der ZEDE an. Der Kongress annullierte einstimmig sowohl die Verfassungsänderungen als auch das ZEDE-Gesetz.
Vermeintlich hatte der Widerstand gesiegt. Doch es sollte anders kommen: Die bis Ende Oktober 2023 erforderliche Ratifizierung der Verfassungsänderungen fand nicht statt. Drei US-Unternehmen aus der ZEDE Próspera strengten außerdem ein Verfahren vor einem internationalen Schiedsgericht der Weltbank in Washington DC an. Über 10,7 Milliarden US-Dollar Entschädigung, etwa zwei Drittel des Staatshaushaltes, verlangen sie vom honduranischen Staat. Er habe mit der Abschaffung der ZEDE gegen das Freihandelsabkommen DR-CAFTA verstoßen. (3) Der Regierung bleibt nichts als die vage Hoffnung, dass das honduranische Verfassungsgericht die ZEDE für von Beginn an verfassungswidrig erklärt. Vielleicht würde das Schiedsgericht ein derartiges Signal dann doch beachten müssen.
Die bestehenden drei Privatstädte arbeiten indes unbeirrt weiter. Próspera beruft sich auf eine 50-jährige Bestandsgarantie und begann, so Nachbar*innen aus Crawfish Rock, kurz nach der Annullierung des ZEDE-Gesetzes mit dem Bau von vier Hochhauskomplexen namens Duna-Ressorts. Im Januar 2024 startete im inzwischen angegliederten Villen- und Tourismuskomplex Pristine Bay eine so genannte Pop up-City namens Vitalia. Dort finden klinische Studien zur Lebensverlängerung statt. Ihr Motto: „Make death optional“. Gentechnik-Expert*innen halten die Experimente für bestenfalls nutzlos, wahrscheinlich gesundheitsschädlich, möglicherweise sogar lebensgefährlich. (4)
Risikoreich für Leib und Leben bleibt auch der Widerstand gegen die ZEDE. Es gibt immer wieder Verfolgung und Angriffe, etwa auf die Gegner*innen von Próspera in Crawfish Rock oder die Umwelt- und Gemeindeorganisation ARCAH. Schutz haben die Menschenrechtsverteidiger*innen auch von der Regierung Castro nicht zu erwarten. (5) Im November 2025 sind Wahlen in Honduras. Beobachter*innen gehen davon aus, dass die rechte Opposition gute Chancen hat, zu gewinnen. Dann könnte ein Szenario entstehen, in dem die Privatstädte in Honduras sich sogar noch weiter ausbreiten können - auf bis zu einem Drittel des Staatsgebietes.
Anmerkungen
1 Zum ideologischen Hintergrund der ZEDE, den internationalen Netzwerken dahinter und der Chronologie ihrer Entstehung, siehe: Andreas Kemper, Privatstädte. Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus. Münster 2022
2 TUM Int zog sich Anfang 2021 wegen menschenrechtlicher Bedenken aus dem Projekt zurück. https://www.oeku-buero.de/nachricht-506/unternehmen-der-tu-m%C3%BCnchen-...
3 https://amerika21.de/2022/12/261791/prospera-klage-honduras
4 https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/februar-2024/das-ewige-leben-als-g...
5 https://amerika21.de/2023/12/267313/honduras-schutz-aktivistinnen-gefordert