Zusammen sind wir stärker

Internationale Vernetzung

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Nicht nur die internationale Wirtschaft und die Staatenwelt sind globalisiert; auch die meisten sozialen Bewegungen haben heute ihre internationalen Netzwerke und Verbindungen. Das gilt auch für die Friedensbewegung. Die Erfolge internationaler Vernetzung sind nicht erst seit dem Erfolg der Kampagnen gegen Landminen, Blutdiamanten und dem Atomwaffenverbotsvertrag unbezweifelbar. Internationale Unterstützung, die sich gerade auch kleine Gruppen und einzelne Aktivist*innen, z.B. Kriegsdienstverweigerer oder Menschen, die sich gegen den Mainstream ihrer Gesellschaft für Frieden und Versöhnung einsetzen, gibt den Beteiligten Kraft, weil sie wissen, dass sie nicht allein sind, und stärkt sie in der Vertretung ihrer Rechte und Anliegen gegenüber der eigenen Regierung.

Es lassen sich verschiedene Formen der internationalen Zusammenarbeit unterscheiden: Zum einen gibt es Organisationen, die mit einer recht umfassenden Zielsetzung, wenngleich oft einer bestimmten weltanschaulichen Grundorientierung, tätig sind. Die zweite Kategorie sind Organisationen, die ein einzelnes bestimmtes Anliegen oder Thema verfolgen. Die dritte sind internationale Kampagnen, getragen von verschiedenen nationalen wie internationalen Organisationen, zu bestimmten Anliegen.

Die „Alten“
Die älteste bis heute bestehende Friedensorganisation ist das International Peace Bureau (IPB) , das schon 1892/3 gegründet wurde und sich vorrangig mit Fragen der Abrüstung und Rüstungsausgaben befasst. Um den ersten Weltkrieg herum wurden drei weitere internationale Organisationen gegründet, die es bis heute gibt: Der Internationale Versöhnungsbund, eine ursprünglich christliche, pazifistisch-gewaltfreie Organisation 1914 , die Frauenorganisation Womens‘ International League for Peace and Freedom (WILPF)  im Jahr 1915 und die pazifisch-antimilitaristischen War Resisters‘ International (WRI)  1921. Es gibt auch jüngere übergreifende Organisationen, hier sei nur als Beispiel Pax Christi International  genannt, die 1945 gegründet wurde.

Ein-Themen-Organisationen
Es wäre schwierig und auch der Lesbarkeit dieses Beitrags nicht förderlich, hier eine Aufzählung zu versuchen. Stattdessen sollen lediglich zwei Organisationen als Beispiele für viele herausgehoben werden, die ganz unterschiedliche Arbeit machen: Peace Brigades International (pbi)  wurde 1981 gegründet, um durch internationale Präsenz und Schutzbegleitung von Menschenrechtsverteidiger*innen - Menschen, die von Todesschwadronen oder den Sicherheitsorganen von Diktaturen bedroht werden – sicheren Raum für ihre Arbeit zu bieten.  Die International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) , die 1983 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden, arbeiten gegen Atomwaffen und sind eine der Trägerinnen der ICAN-Kampagne.

Kampagnen
Als Beispiel soll hier die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN)  genannt werden, auf deren Engagement ganz wesentlich der Atomwaffenverbotsvertrag zurückgeht. Ähnliche Kampagnen gab und gibt es zu Landminen, Kleinwaffen, Blutdiamanten und jüngst zum Bann von bewaffneten Drohnen.  Das antimilitarische Netzwerk „war starts here“  wurde als Kampagne 2011 bei einem gleichnamigen Camp, das im Rahmen eines Treffens der War Resisters‘ International organisiert wurde , gegründet und hat seitdem mehrere neue Camps und Aktionen, z.B. gegen das Gefechtsübungszentrum in der Altmark, durchgeführt.

Außerdem gibt es natürlich zahlreiche bi-oder multilaterale Partnerschaften, in denen einige Gruppen aus einigen Ländern zusammenarbeiten. Ein Beispiel wäre die in diesem Friedensforum schon früher erwähnte Zusammenarbeit von österreichischen, deutschen und internationalen (WRI) Gruppen mit Partnern in der Türkei. Sie sind derzeit gerade dabei, Aktionen zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei vorzubereiten.

Internationale Arbeit – Last oder Privileg?
Diejenigen, die sich mal auf internationale Arbeit eingelassen haben, können meist nicht mehr von ihr lassen. Doch lässt sich nicht leugnen: Bei einigen der internationalen Organisationen und Netzwerke von nationalen oder lokalen Organisationen dürfte eine Umfrage unter deren Mitgliedern, wer sich wirklich dem internationalen Zusammenschluss verbunden fühlt, ihm folgt oder gelegentlich teilnimmt, eher ernüchternd sein. Die Autorin hegt sogar den Verdacht, dass es nicht wenige Mitglieder gibt, denen der internationale Aspekt ihrer Gruppe unwichtig oder sogar unbekannt ist. Woran liegt das? In Ermangelung empirischer Daten bleiben nur Vermutungen, die auf den eigenen Erfahrungen beruht:

Ein Aspekt mag schlicht sein, dass für viele Menschen die konkrete Arbeit vor Ort, bei sich zu Hause und in der eigenen Gemeinschaft, das einzig Wichtige und politisch Befriedigende ist. Alles andere wird als „weit weg“, vielleicht schwer verständlich, mühsam, weil in einer fremden Sprache passierend und auf jeden Fall weniger relevant angesehen.

Dazu kommen zwei handfeste Faktoren: Der erste ist die Sprache. Es gibt keine weltweite Sprache, in der sich alle Menschen verständigen können. Der Ende des 19. Jahrhunderts begonnene Versuch, mit Esperanto so eine Sprache zu schaffen, muss als weitgehend gescheitert angesehen werden, auch wenn es immer noch Esperanto-Vereine gibt. Nach dem 1. Weltkrieg war dies anders, da spielte Esperanto in der internationalen Friedensarbeit keine unwichtige Rolle. Die War Resisters‘ International z.B. nannte sich bei der Gründung 1921 „Paco“, unschwer als das Esperanto-Wort für „Frieden“ zu erkennen. Seitdem hat sich jedoch Englisch als Weltsprache zumindest in den Friedenszusammenhängen und mit Ausnahme Lateinamerikas durchgesetzt. Das kann man unschwer feststellen, wenn man auf die Websites der verschiedenen oben genannten Organisationen geht. Nur: Wenn man nicht gerade in den USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder natürlich Großbritannien oder Irland geboren ist, dann ist Englisch eine Zweit- oder Drittsprache.  Wie gut man sie beherrscht (wenn überhaupt) ist eine Frage der Schulbildung, die wiederum meist in direkter Abhängigkeit von Einkommen des Elternhauses steht.

Dies bringt uns direkt zum zweiten Faktor, dem Geld: Internationale Treffen, selbst wenn die Teilnehmenden von den Organisationen subventioniert werden, kosten Geld. Menschen mit sehr geringem Einkommen können sich solche Reisen meist nicht leisten, falls sie nicht das Glück haben, einen internationalen Sponsor zu finden, der alle Kosten übernimmt. Und wenn sie eine Familie haben, die die erforderliche Sorgearbeit während der Abwesenheit der oder des Reisenden übernimmt.

Durch den massiven Schub an elektronischen Optionen der Begegnung, eine der wenigen positiven Effekte der Coronakrise, könnte sich das etwas ändern. Der Aspekt der Reisekosten fällt weg, wenn man sich per Zoom oder Skype trifft. Und auch die Bedenken, durch Flugreisen zum Klimawandel beizutragen. Doch die Herausforderung einer gemeinsamen Sprache bleibt, zumindest, wenn es um die gesprochene Sprache geht , und zusätzlich kommt dazu das Thema der Zeitverschiebungen. Es gibt, falls sich Menschen von der Westküste der USA mit Menschen aus Europa und aus Ostasien oder Australien treffen wollen, ein einziges Zeitfenster, das ungefähr bei 15 Uhr MEZ liegt, an dem alle, wenn die einen sehr früh aufstehen und die anderen sehr spät ins Bett gehen, sich begegnen können. 

So bleibt es wohl dabei: Internationale Vernetzung bleibt auf absehbare Zeit ein Privileg. Es wäre zu wünschen, dass internationale Organisationen sich mit diesem Problem beschäftigen und, ähnlich wie heute viele daran arbeiten, Neokolonialismus und Rassismus in den eigenen Strukturen zu überwinden, sich auch die „Popularisierung“ internationaler Arbeit als Aufgabe vorzunehmen.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.