Reporter ohne Grenzen

Kein Frieden ohne Pressefreiheit

von Ulrike Gruska
Schwerpunkt
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Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen kämpft weltweit gegen Zensur und unterstützt verfolgte JournalistInnen.

Pressefreiheit, so formulierte es der Investigativjournalist Georg Mascolo einmal, ist das „Recht zu erfahren, was geschieht, warum es geschieht – und was schiefgeht“. Unabhängige JournalistInnen und Medien ermöglichen es Menschen auf aller Welt, sich ein Urteil zu bilden darüber, was um sie herum geschieht. In Demokratien können BürgerInnen mit diesem Wissen Regierungen abwählen. In Diktaturen gehen Menschen trotz aller Gefahren mitunter auf die Straße, um zu protestieren. Pressefreiheit ist eben nicht nur ein Recht für JournalistInnen, Unbequemes und Brisantes zu veröffentlichen, sondern auch ein Recht für alle Menschen, sich aus unabhängigen Quellen zu informieren.

JournalistInnen, die solche Informationen liefern, riskieren in vielen Teilen der Welt ihr Leben. 2017 wurden weltweit mindestens 65 JournalistInnen, BloggerInnen und MedienmitarbeiterInnen getötet. Sie kamen nur zum Teil in Kriegen ums Leben, fast die Hälfte von ihnen starb außerhalb von Regionen mit bewaffneten Konflikten. In Mexiko oder auf den Philippinen etwa werden JournalistInnen ermordet, weil sie über Tabu-Themen wie politische Korruption oder das organisierte Verbrechen berichteten.

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) setzt sich weltweit für Pressefreiheit und verfolgte JournalistInnen ein. Ihr Nothilfereferat kann nach Angriffen zerstörte Computer und Kameras ersetzen oder die Kosten für AnwältInnen und ÄrztInnen übernehmen. Bei Arbeitsverboten unterstützt es die Familienangehörigen der Betroffenen. Wenn es für Einzelne lebensgefährlich ist, in ihrem Heimatland zu bleiben, bemüht sich ROG, ein sicheres Aufnahmeland zu finden und die Geflohenen auch im Exil zu begleiten.

Mit Popsongs und Fußball gegen Zensur
Doch Einsatz für die Pressefreiheit heißt mehr, als JournalistInnen in akuter Gefahr zu helfen. Bei den Vereinten Nationen wirbt Reporter ohne Grenzen intensiv darum, einen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von JournalistInnen einzusetzen. Er soll völkerrechtliche Vorschriften durchsetzen und helfen, die hohe Zahl von Gewaltakten gegen JournalistInnen zu verringern. ROG kämpft weltweit gegen Internetzensur und den unkontrollierten Handel mit digitaler Überwachungstechnik. Die Organisation wehrt sich – zum Teil vor Gericht – gegen die zunehmende Überwachung von JournalistInnen durch Geheimdienste. Sie setzt sich für eine Regulierung sozialer Netzwerke ein, die illegale Inhalte bekämpft, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Reporter ohne Grenzen rückt das Thema Pressefreiheit immer wieder in den Blick der Öffentlichkeit. Zum Welttag gegen Internetzensur am 12. März erschien in diesem Jahr eine „Uncensored Playlist“. Sie nutzt Musik als Schlupfloch, um zensierte Artikel über Streaming-Dienste in Ländern zu verbreiten, in denen autokratische Herrscher das freie Wort unterdrücken. Vor der Fußball-Weltmeisterschaft brachte ROG einen alternativen Ball ins Spiel, der auf die fehlende Pressefreiheit im Gastgeberland aufmerksam macht, und informierte über inhaftierte JournalistInnen, Internetzensur und Überwachung in Russland.

Mitten in Europa: Morde, Verleumdungsklagen, Selbstzensur
Auch in Mittel- und Westeuropa ist die Pressefreiheit zunehmend in Gefahr. Daphne Caruana Galizia in Malta und Ján Kuciak in der Slowakei – erst vor kurzem wurden hier zwei mutige InvestigativreporterInnen ermordet. In Ungarn wurde im Herbst 2016 über Nacht die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung geschlossen. Heute kontrollieren regierungstreue Unternehmer die gesamte Regionalpresse und sichern Viktor Orbán so eine breite Mehrheit. In Polen brachte die nationalkonservative PiS-Regierung das Fernsehen unter ihre Kontrolle, mehr als 200 kritische JournalistInnen wurden seit ihrem Amtsantritt im Herbst 2015 entlassen oder versetzt.

In zahlreichen europäischen Ländern tragen SpitzenpolitikerInnen ihre Verachtung gegenüber unabhängigen Medien offen zur Schau. Sie überziehen ReporterInnen wegen Verleumdung oder Beleidigung mit Klagen. Regierungstreue Oligarchen kaufen Medien auf und mischen sich unverhohlen in die Berichterstattung ein, während die Einnahmen vieler Medienhäuser sinken. Zurückhaltung und Selbstzensur sind deshalb weit verbreitet.

JedeR Einzelne kann was tun
In Deutschland registriert Reporter ohne Grenzen seit 2015 jährlich eine zweistellige Zahl gewalttätiger Angriffe auf JournalistInnen. Dass zahlreiche Menschen JournalistInnen pauschal mit dem historisch belasteten Kampfbegriff „Lügenpresse“ diffamieren, offenbart eine erschreckende Geringschätzung der Medien und ihrer Rolle in einer offenen Gesellschaft. Immer wieder geraten JournalistInnen zudem ins Visier von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden. Ein kleiner Erfolg: Im Mai versprach der BND nach jahrelangem Rechtsstreit mit Reporter ohne Grenzen, die illegale Analyse von Telefon-Verbindungsdaten zu beenden. Das zeigt, dass wir uns auch hierzulande aktiv für das Menschenrecht auf Pressefreiheit einsetzen müssen. JedeR Einzelne kann dafür etwas tun, indem er/sie zum Beispiel Qualitätsmedien durch Abonnements unterstützt. Denn eine Freiheit, die nicht verteidigt wird, stirbt.

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Ulrike Gruska ist seit 2012 Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen. Davor berichtete sie für deutsche Medien aus Russland und dem Südkaukasus. Sie war Redakteurin beim Netzwerk für Osteuropaberichterstattung n-ost in Berlin und studierte in Hamburg Politische Wissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa.