Knastrundbrief

von Wolfgang Sternstein

Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist wieder mal soweit. Am 7. Mai trete ich eine sechswöchige Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg an. "Sollten Sie sich nicht rechtzeitig zum Strafantritt einfinden, muss gegen Sie Haftbefehl erlassen werden", heißt es in der "Ladung zum Antritt der Freiheitsstrafe".

Na also. Es ist meine "Achte". Mit den sieben anderen summiert sie sich auf ein Jahr und sechs Wochen. Meine Mitstreiterin Erika Drees, die dasselbe Schicksal ereilt und ich haben zwar angeregt, den Strafvollzug auszusetzen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über unsere Verfassungsbeschwerde, doch damit ist nicht zu rechnen.

Zur Erinnerung: Am 7. August 1999 haben Irene Breiter, Erika Drees, Martin Otto, Ilse Staude, Markus Walz und ich eine Entzäunungsaktion am Fliegerhorst Büchel (Südeifel) durchgeführt. In Büchel proben deutsche Tornado-Piloten mit amerikanischen Atombomben den Atomkrieg, was unserer Ansicht nach verfassungs- und völkerrechtswidrig ist. Amtsrichter Johann verurteilte Erika und mich dafür zu je einem Monat Gefängnis, zur Bewährung ausgesetzt auf zwei Jahre, und 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die übrigen erhielten Geldstrafen. Dieses Urteil wurde von den Obergerichten bestätigt. Dagegen legten wir Verfassungsbeschwerde ein, die seit 2001 in Karlsruhe auf einer ziemlich langen Bank liegt. Das Gericht hat auf Anfrage mitgeteilt, es wolle noch in diesem Jahr über die Annahme entscheiden (bisher bin ich fälschlicherweise davon ausgegangen, es habe sie bereits angenommen. Das ist aber, wie ich jetzt erfahren habe, nicht der Fall).

Um unserer Forderung nach Abzug der Atomwaffen in Büchel (10) und Ramstein (55) Nachdruck zu verleihen, haben wir mit Irene Breiter, Hanna Jaskolski, Ines Kleim, Uwe Korth, und Sabine Teubert sowie den Unterstützern Daniel Korth, Thomas Reuter und Lutz Sternstein am 7. Juni 2002 eine weitere Entzäunungsaktion durchgeführt. Bei dem anschließenden Prozess wurden Ines, Irene und Sabine zu 20 Tagessätzen Geldstrafe (Uwe hat den Strafbefehl von 30 Tagessätzen bezahlt), Hanna zu 4 Wochen und Erika und ich zu 6 Wochen Haft verurteilt. Diese 6 Wochen gilt es nun abzuleisten.

Wir werden oft gefragt: "Warum macht Ihr das, Ihr wisst doch genau, dass Ihr keine Erfolgschance habt?" Ja, das wissen wir. Wir wissen aber auch, die Atombombe wirft einen düsteren Schatten über die Menschheit, die zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte die Macht hat, sich selbst und alles höhere Leben auf der Erde auszulöschen. Sie wird es auch tun, wenn es nicht gelingt, diese furchtbaren Waffen abzuschaffen und völkerrechtlich zu ächten. Ich habe die Hoffnung, dass es gelingt, dieses Ziel zu erreichen, schon fast aufgegeben. Doch versuchen muss man es wenigstens. Und manchmal geschieht ja auch ein Wunder, auch wenn - das räume ich ein - angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs derzeit nichts dafür spricht. Vielleicht müssen wir uns damit zufriedengeben, was Dorothee Sölle im Hinblick auf den Kriegssteuerboykott sagte: "Die Wahrheitsfrage wird kaputtgemacht und die Erfolgsfrage ersetzt die Wahrheitsfrage. Es gibt Dinge, die musst du tun um deiner eigenen Würde willen ... damit du überhaupt ein Mensch bleibst."

Und doch, die Hoffnung auf einen (bescheidenen) Erfolg will nicht sterben. Deshalb hoffe ich noch immer darauf, dass die Verfassungsbeschwerde von Erika und mir vom Bundesverfassungsgericht angenommen wird und zu einer Revision der unseligen Rechtsprechung des Gerichts zu Atomwaffen in den achtziger Jahren führt.

Natürlich freut sich so ein Knacki immer über Post.

Postadressen:
Dr. Wolfgang Sternstein, p.a Justizvollzugsanstalt Rottenburg, Schloss 1, 72101 Rottenburg
Dr. Erika Dress, JVA Halle, Am Kirchtor. 20, 06108 Halle

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Initiativen
Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.