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Deutsche Rüstungsausgaben drohen zu explodieren
Kosten der Aufrüstung

Mit ihrem Gipfelbeschluss von Wales 2014 beabsichtigte die NATO, ihre europäischen Mitgliedstaaten und Kanada bis 2024 zu verpflichten, ihre Militärausgaben möglichst auf 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) anzuheben. 2014 waren es nach NATO-Kriterien – und nur die zählen – bei diesen Staaten durchschnittlich 1,43 %. 2021, also noch vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, waren es bereits 1,67 %. Zusammen mit denen der USA wuchsen die NATO-Militärausgaben von 943 Mrd. (2014) bis 2021 auf 1.154 Mrd. US-Dollar. Die Ausgaben Russlands fielen zur selben Zeit laut SIPRI von 85 auf 66 Mrd. US-Dollar, sodass sich das Überlegenheitsverhältnis von damals 11:1 zugunsten der NATO auf 18:1 im Jahr 2021 erhöht hatte. Die Frage: Wer wen bedroht, lässt sich anhand dessen leicht beantworten.
Deutschlands Aufrüstung begann 2014 bei 1,19 % des BIP (= 34,75 Mrd. Euro) und erreichte 2021 52,43 Mrd. Euro (1,46 % des BIP). Ein 2017 vom damaligen Chef des Planungsstabs der Bundeswehr Bühler erstelltes Papier gab ihr neuen Schub. Es verfolgt das Ziel, bis 2031 drei aus dem Stand heraus voll einsatzfähige Heeresdivisionen aufgestellt zu haben, so dass die militärische Schlagkraft des Heeres in etwa verdreifacht wird. Auch Luftwaffe und Marine sollen erheblich wachsen. 2017 starteten Merkel und Macron zwei deutsch-französische Megaprojekte der Luftwaffe (FCAS) und des Heeres (MGCS). 2019 verkündete die damalige Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel bis 2031 erreichen wolle. Die Erhöhung der Militärausgaben hat einen Sinn: Als größte Ökonomie Europas strebt Deutschland eine militärisch unterfütterte europäische Führungsfunktion an.
Kanzler Scholz gab in seiner wegweisenden „Zeitenwenden-Rede“ am 27.2.2022 vor: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Damit zog er das Zieljahr 2031 auf 2022 abrupt vor. Die zusätzlichen Milliarden sollten aus Krediten in Höhe von 100 Mrd. Euro („Sondervermögen Bundeswehr“) kommen. 13 Mrd. davon sind für Zinsen vorgesehen, mit den verbleibenden 87 Mrd. können bis 2030 neue Waffensysteme gekauft werden. Von 2028 bis 2058 wird aus dem regulären Haushalt getilgt – jedes Jahr ca. 3,3 Mrd.
Die NATO stellte kürzlich fest, dass Deutschland 2022 das Zwei-Prozent-Ziel unterschritten hat (1,49 %) und auch 2023 nicht erreichen wird (1,57 %). Was wie ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit aussieht, ist jedoch keiner. Denn der Bundestag hat parallel zum „Sondervermögen Bundeswehr“ am 2. Juni 2022 ein bisher zu wenig beachtetes Gesetz erlassen, das es der Regierung ermöglicht, die 2 % jeweils als Mittelwert aus fünf Jahren zu erreichen. Hierzu ein Interview mit der damaligen Verteidigungsministerin Lambrecht in der FAZ: „Lambrecht: Deswegen haben wir das Begleitgesetz geschrieben, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel erreichen werden, aber eben im Mittel innerhalb von fünf Jahren. FAZ: Also nach Ihrer Theorie: zweimal 1,5 und dreimal 2,3 macht dann über fünf Jahre durchschnittlich zwei Prozent pro Jahr. Lambrecht: Das ist nicht die Theorie, sondern so haben wir es miteinander im Begleitgesetz beschlossen.“ (FAZ 30.11.22) Dieses Begleitgesetz wird in Zukunft seine gewaltige Wirkung entfalten.
Bundeskanzler Scholz hat am 22.6.2023 offiziell verkündet, erstmals 2024 das Zwei-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Welche Militärausgaben wird das für Deutschland zur Folge haben?
Deutsche Militärausgaben
Die NATO schätzt sie für dieses Jahr auf den Rekordwert von 64,055 Mrd. Euro. Darin sind die Ausgaben des Einzelplans 14, also des Verteidigungshaushalts mit 50,1 Mrd. der größte Posten, 5,4 Mrd. sogenannter verteidigungsrelevanter Ausgaben stammen aus anderen Ressorts, dessen Zusammensetzung öffentlich unbekannt ist, der Rest, es sind 8,5 Mrd., aus dem „Sondervermögen Bundeswehr“. Das macht insgesamt 1,57 % des BIP. Aus diesen NATO-Zahlen errechnet sich ein erwartetes BIP für dieses Jahr i.H.v. 4.080 Mrd. Euro.
Wie hoch wird das BIP nächstes Jahr sein und wie hoch sind dann die deutschen Militärausgaben? Zwei Faktoren sind dafür bestimmend: das BIP-Wachstum und die Inflation. Für 2024 rechnet die Bundesregierung mit einem Plus des BIP von 1,6 % bei einer Inflation von 2,7 %, so dass sich daraus ein BIP i.H.v. 4.250 Mrd. Euro für 2024 errechnet. 2 % davon sind 85 Mrd.! Das bedeutet gegenüber diesem Jahr ein Anstieg um 21 Mrd. Euro (+ 33 %) an deutschen Militärausgaben. Das ist skandalös und einzigartig. Aber es kommt noch schlimmer.
Ab 2025 greift das Begleitgesetz. Da die Prozentsätze in den beiden ersten Jahren des Jahrfünfts unter 2 % lagen (bei 1,49 bzw. 1,57 %), müssen sie für 2025 und 2026 jeweils über 2 % liegen, damit ein Fünf-Jahres-Durchschnittswert von 2 % erreicht wird. Über die Verteilung der Höhe in diesen beiden Jahren kann zurzeit nur spekuliert werden. Sicher ist ihr Durchschnitt: jeweils 2,47 %. Welche BIP-Werte und Militärausgaben wären demnach für 2025 und 2026 zu erwarten? Für 2025 rechnet die Bundesregierung mit einem nominalen Plus des BIP von 2,8 %, so dass es bei rd. 4.370 Mrd. liegen wird. 2,47 % davon ergeben 108 Mrd. Euro deutsche Militärausgaben im Jahre 2025. Das sind unvorstellbare 44 Mrd. mehr als in diesem Jahr. Auch für 2026 rechnet die Bundesregierung mit einem nominalen Plus des BIP von 2,8 %, was ein BIP i.H.v. 4.490 Mrd. Euro bedeutet. Davon 2,47 % würde deutsche Militärausgaben i.H.v. 111 Mrd. Euro ergeben.
Diese sich aus der Gesetzeslage zwingend ergebene dramatische Kostenexplosion, die drastische Einschnitte im Sozialbereich oder Steuererhöhungen oder neue Schulden nach sich zöge, dürfte in der Regierungskoalition zu neuen Überlegungen Anlass gegeben haben, um drohenden Auseinandersetzungen mit Gewerkschaften, Wohlfahrts – und Sozialverbänden und der Friedensbewegung möglichst aus dem Weg zu gehen. Obwohl der NATO-Gipfel sich am 11.7.23 auf ein neues „Zwei-Prozent-Minimum“ – ohne zeitliche Begrenzung – festgelegt hatte, strich die Regierung das strikte Zwei-Prozent-Ziel aus dem Haushaltsgesetz 2024 (man hält sich die Tür offen, um darunterbleiben zu können) und die Regierungsparteien planen anscheinend das Begleitgesetz zu revidieren, in dem sie den Durchschnittswert streichen. (FAZ 21.8.23) Die Folge wäre ein weniger steiler Anstieg der Ausgabenkurve, somit eine Streckung der Ausgaben – freilich, ohne dass die Gesamtsumme sinkt.
Um die 85 Mrd. Militärausgaben für das Zwei-Prozent-Ziel 2024 zu erbringen, kommen 51,8 Mrd. aus dem Einzelplan 14 und 19,2 Mrd. aus dem Topf mit den Sonderschulden sowie rd. 4 Mrd. für Waffen an die Ukraine. Um die verbleibende Lücke von ca. 10 Mrd. zu schließen, werden sicher die Ressorts für Bildung, Arbeit, Soziales, Renten, Gesundheit und Familie herangezogen werden. In welcher Höhe ist unklar. Die abschließenden Haushaltsberatungen sind vom 28.11. bis 1.12.23. Die geplanten bundesweiten Aktionen der Friedensbewegung am 3. Oktober kommen dafür goldrichtig.
Auf 2025, 2026 und 2027 können die noch im Topf verbleibenden 60 Mrd. Sonderschulden verteilt werden. Scholz will auch in diesen Jahren und in den 30er Jahren die Zwei-Prozent-NATO-Quote einhalten. Ab 2028 ist der Topf mit den Sonderschulden allerdings aufgebraucht. Die Folge: Jährlich müssen 25 bis 30 Milliarden Euro mehr aus der Kürzung von Sozialleistungen erbracht werden. Es sei denn, die Hochrüster*innen und Kriegstreiber*innen haben bis dahin abgewirtschaftet und ein Friedensvertrag mit Russland sorgt in Deutschland und Europa für Entspannung und Abrüstung.