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Krieg gegen die Armen
vonDr. Julio Quan befaßt sich als Wissenschaftler seit über dreißig Jahren mit der Entwicklung des Konfliktes in Mittelamerika. Er ist Mitarbeiter der Friedensuniversität der Vereinten Nationen in Costa Rica. Im Frühjahr 1991 besuchte er die Bundesrepublik. In dem folgenden Interview legt er seine Sichtweise der Konfliktursachen in Zentralamerika dar, der zufolge das System der Herrschaft auf drei Säulen ruht: Sexismus, Rassismus und Klassengesellschaft.
Frage: Welches sind die Ursachen der Konflikte in Zentralamerika?
JQ: Einer der wichtigsten Faktoren ist das Bewußtsein der Menschen. Es gibt so viele Institutionen, die die Art und Weise, wie Menschen denken, beeinflussen. Die Struktur der Gesellschaften - von den Familien bis zu den internationalen Beziehungen - ist voll von dem, was wir die Herrschaftstruktur nennen. Die autoritären Systeme ruhen immer auf der Unterlegenheit einer Gruppe oder Person gegenüber anderen. Und es ist nicht leicht, sich diese Struktur bewußt zu machen.
Frage: Gilt dies allein für Zentralamerika oder allgemeiner?
JQ: Es ist ein Problem der Menschheit überall. Aber es gibt Unterschiede des Grades und der Art und Weise, wie diese Strukturen wirken. Das Element bei der Entwicklung des Wertsystems, das alle Menschen teilen, ist die Familie, denn die ersten Jahre des Lebens sind die Jahre, in denen Menschen am meisten aufnehmen. Sexismus nun ist ein Phänomen, das die Familie, die Beziehung zwischen Mann und Frau betrifft. Er bedeutet einige Formen von Privilegien für Männer. Ein Kind kann in seiner Familie sehen, wie der Sexismus - in unserer speziellen Form des Sexismus, dem Machismo - wirkt. Doch es versteht nicht notwendigerweise, daß dies ein System ist, das uns die Tradition aufzwingt. Sexismus ist nichts, was durch das Geschlecht bestimmt ist, sondern er ist historisch gewachsen. Dies ist notwendig, sich bewußt zu machen. Wenn man realisiert, daß etwas historisch gewachsen ist, nicht vorherbestimmt, dann ist es möglich, es zu verändern.
Frage: Du hast gesagt, das zweite Herrschaftssystem ist der Rassismus.
JQ: Ja, denn wir waren eine Kolonie Spaniens. Die der Eroberung unterliegende Idee war die der Unterlegenheit einer Rasse. Es gab zu Beginn der kolonialen Zeit eine Debatte, ob Indianer Seelen besäßen. Viele meinten, daß sie keine hätten, denn Christen durften keine Menschen als Sklaven halten. Einige Teile der Kirche waren anderer Ansicht. Die Folgerung hieß, daß sie dann nicht versklavt werden, aber als Untertanen Tribut an die Krone zahlen konnten. Also war diese Diskussion letztlich ein Streit um die Frage, wer Herrschaft über die Indianer ausüben konnte: der König oder die Kolonisatoren als Sklavenhalter. Beide Seiten gingen natürlich von der Unterlegenheit der Indianer aus. Die eine Seite sagte, sie haben keine Seelen, die andere sagte, sie haben welche und wir können sie erobern, denn wir müssen sie durch die katholische Kirche erretten. So war Rassismus eines der Schlüsselelemente für soziale Kontrolle. Und heute ist es nicht anders, obwohl wir heute keine Kolonie Spaniens mehr sind.
Frage: Du sagtest uns vorhin, daß es eine dritte Art von Herrschaft gibt?
JQ: Ja, das ist die Klassengesellschaft. In der Kolonialzeit sind die hauptsächlichen sozialen Klassen entstanden. Die Spanier hatten alle Rechte und die Hauptproduktion in der Hand, während die Indianer ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit verloren. So entstanden die Armen und die Reichen.
Und natürlich gab es wieder die Erklärung, daß dies System vorherbestimmt, daß es Gottes Wille sei. So haben wir hier wieder die Ideologie einer Vorherbestimmung, nach dem Geschlecht und der Rasse jetzt durch Gottes Willen. Und wie willst du Gottes Willen verändern? Vorherbestimmungen können Menschen nicht ändern, das ist nicht möglich. Erst mit dem Zweiten Vatikanisches Konzil in den sechziger Jahren wurde die Lehre in Zweifel gezogen, daß es Gottes Absicht sei, daß es Arme und Reiche gäbe. Für über 500 Jahre hatten wir das Argument, daß es Gottes Wille sei, daß man arm ist und daß die Rasse beziehungsweise im Falle einer Frau zusätzlich das Geschlecht dafür verantwortlich sind, daá man minderwertig ist. Diese Mechanismen multiplizieren sich miteinander.
Es ist dasselbe mit dem System der Erziehung. Das Bildungssystem ist völlig autoritär. Der Schüler/Student richtet sich nach den Ideen seiner Lehrer und Professoren. Es gibt keine Entdeckung, keine Bildung von Wissen, sondern wir leiten einfach Wissen vom Lehrer herunter zum Schüler, der es schlucken muß. In einem sehr autoritären System ist es nicht nur die Frage, was man lernt, sondern wie man lernt.
Dasselbe gilt für das Rechtssystem, das politische System und - als augenfälligstes Beispiel - das Militär. Der General gibt die Befehle und die anderen müssen sie befolgen. Dies ist das sog. „Caudillo-System“, was in Deutsch mit „Führer“ übersetzt werden kann. Caudillos gibt es bei der Linken und bei der Rechten. Fidel Castro ist genauso ein Caudillo wie Pinochet.
Frage: Es scheint, daß für Dich der Sexismus das wichtigste Element ist?
JQ: Laßt mich allgemein antworten. Rationale Menschen fragen immer, was das wichtigste sei, was alles andere dominiert. Ich sage immer: Rassismus, Sexismus und Klassengesellschaft sind wie die vier Beine eines Tieres. Wenn eines fehlt, stürzt es. Es gibt keines, das wichtiger ist als die anderen.
Wir können nicht die revolutionären Bewegungen in Zentralamerika einfach aus dem Klassengesichtspunkt heraus verstehen. Wir müssen die Totalität des Herrschaftssystems verstehen. Menschen stehen auf, weil dies ihnen zu Bewußtsein kommt. Warum man mit Sexismus beginnen muß: Weil die ersten Werte in den ersten Jahren des Lebens gebildet werden. Und es ist sehr wichtig, daß Männer und Frauen begreifen, daß sie gemeinsam gegen den Sexismus kämpfen müssen.
Das Interview führte Andreas Hauschild. Er ist Mitarbeiter in der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen und im Bund für Soziale Verteidigung.