Krieg mit Kinderaugen sehen

von Maya Götz

Krieg und Terroranschläge rücken – nicht zuletzt durch ihre hohe Medienpräsenz – ins Wahrnehmungsfeld von Kindern. Die Eltern sehen und hören es in den Nachrichten, die Titelseiten der Zeitungen und Magazine sind mit spektakulären Bildern und reißerischen Überschriften versehen und es ist Thema auf dem Schulhof – ob es uns gefällt oder nicht. Der Versuch, Kinder von diesen Themen fernzuhalten, wie z. B. in den USA beim Irakkrieg propagiert, geht an der Realität vorbei. In einer zunehmend globalisierten Welt werden auch Krisen und Katastrophen, die weit vom eigenen Lebensumfeld entfernt sind, zum Thema im Kinderalltag. Das heißt aber nicht, dass sie die Ereignisse selbstverständlich verstehen und einordnen können. Wie Kinder sich den Krieg anhand der Kriegsberichterstattung vorstellen, untersuchten wir anhand des Irakkrieges in Zusammenarbeit mit internationalen KollegInnen. Unter anderem führten wir Interviews mit 6- bis 12-Jährigen in Deutschland, Österreich, den USA und Israel in der ersten Woche nach Beginn des offiziellen Irakkriegs durch (siehe hierzu TelevIZIon 2003/2). Später wurden die Ergebnisse durch weitere Forschungen in Krisen- und Kriegsgebieten und deren Berichterstattung erweitert (Lemish/Götz 2007).

Krieg ist für Kinder mit vielen Emotionen besetzt
In Deutschland und Österreich wussten fast alle Kinder vom Krieg. Die Kinder in Deutschland waren dabei deutlich informierter über die Ereignisse und engagierter gegen den Krieg. Ein Hintergrund: Während in Deutschland die Kinder mit ihren Eltern und im Schulunterricht über die Ereignisse sprachen, fand dies in Österreich nicht statt.

Der Krieg ist für Kinder dabei mit vielen Emotionen verbunden. Sie erzählten von der Befürchtung, selbst betroffen zu sein, und entwarfen Szenarien eines Dritten Weltkrieges. Erste Gedanken waren bei vielen auch grundsätzliches Unverständnis (Warum führen Erwachsene Krieg?) und eine ablehnende Haltung (Wir wollen keinen Krieg!).

»Ja, ich hab auch ein bisschen Angst, dass es dann einen Weltkrieg geben kann, weil die so doof sind. Und dass ich mit meinen Haustieren flüchte.« (Monique, 8 Jahre)

Wie Monique überlegen die Kinder, was ein Krieg für sie bedeuten würde. Monique beispielsweise hat 3 Mäuse und 2 Katzen, für die sie verantwortlich ist. Das Problem, das sich für Monique ergibt, ist gut nachvollziehbar, denn die Katzen, so erzählt sie, fressen ja die Mäuse. Mit der realen Lebenssituation als Flüchtling im Kriegsfall haben Moniques  Befürchtungen sicherlich nur bedingt etwas zu tun. Sie zeigen aber eindrücklich, wie Kinder sich den Krieg vorstellen: aus ihrer jetzigen Lebenssituation heraus.

Dementsprechend stellen sie das Schicksal der Kinder im Kriegsgebiet in den Mittelpunkt. Ein sterbender Erwachsener bedeutet für sie vor allem eines: Ein Kind verliert Vater oder Mutter. Ein Haus in Flammen bedeutet: Ein Kind verliert sein Zuhause (s. Bild 1).

Die Vorstellungen der Kinder vom Krieg
Kinder haben meist eine ungefähre Vorstellung davon, wer den Krieg führt und wo er stattfindet. Sie können auch bestimmte Argumentationsstränge wiedergeben, teilweise sogar so, wie sie auch im Diskurs der Erwachsenen dargelegt werden. Ihre Hauptinformationsquelle sind dabei die Medien, allen voran das Fernsehen – und hier vor allem Nachrichten für Erwachsene.

Malen deutsche und österreichische Kinder, wie sie sich vorstellen, was gerade im Kriegsgebiet passiert, dann überwiegen Kampfszenen bei den Jungen etwas häufiger als bei den Mädchen. Leidensszenen sind bei den Mädchen deutlich häufiger als bei den Jungen. Stehen Kampfszenen im Mittelpunkt der Vorstellung, so stehen sich meist zwei Parteien gegenüber. Häufig Mann gegen Mann oder auch Gruppe gegen Gruppe. Meist handelt es sich um einen Nahkampf, bei denen Menschen mit gezückter Pistole aufeinander schießen. Oder es sind menschenleere Szenarien, in denen Flugzeuge Bomben über Häusern abwerfen oder in Hochhäuser fliegen. Es ist deutlich erkennbar, dass sich hier Medienbilder vermischen: Aufnahmen aus Nachtangriffen, Bilder von den Ereignissen des 11. Septembers und Szenen aus diversen Spielfilmen prägen die Vorstellungen vom Krieg.

Kinder versuchen dabei, die Informationsbrocken, die sie aus ihrer sozialen Umgebung und den Medien erhalten, in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. So stellt sich Monique aufgrund des Wortes „Schutzschild“, das sie in den Nachrichten gehört hat, und aufgrund des Focus-Titelblatts „Krieg der tödlichen Tricks“ eine Szene vor, in der die Amerikaner in einer Art Burg sitzen (in dessen Turm gerade ein Flugzeug hineinfliegt). Sie schwenken die weiße Fahne, doch „die von der USA wollen die Irakleute da reinlocken, weil die dann die besser totkriegen, damit das Schutzschild nicht mehr so groß ist für Saddam.“ Den vom Focus verkündete „Krieg der tödlichen Tricks“ stellt sich Monique als eine hinterhältige Falle der US-Amerikaner vor mit der Absicht, möglichst viele Iraker zu töten, denn diese sind quasi allesamt ein lebendiges Schutzschild für Saddam Hussein.

Julia (9 Jahre) hat im Fernsehen Bilder von jubelnden oder siegesgewiss lachenden amerikanischen Soldaten gesehen und weiß, dass im Krieg auch Kinder sterben. Wie dies im Einzelnen geschieht, wurde in der Berichterstattung (zu Recht) nicht gezeigt. Julia verband die zwei Angelpunkte und stellte sich vor, wie die Kinder zu Tode kommen: Drei amerikanische Soldaten richten mit einem Lächeln im Gesicht irakische Kinder hin.

Kinder bauen sich also aus verschiedensten Informationsquellen ihre Vorstellung vom Krieg zusammen. In dem, was sie dabei konstruieren, gehen sie konsequenter vor, als wir Erwachsene dies formulieren könnten, und halten uns so einen Spiegel vor. Dies wird insbesondere im internationalen Vergleich deutlich.

Kinder als Teil ihres nationalen Diskurses
In den USA (Kalifornien/San Diego) waren die Kinder begeistert vom Irakkrieg, nur einige Mädchen wünschten sich eher Frieden. Eine Diskussion in der Schule hatte nicht stattgefunden (es war den Lehrern verboten, über dieses Thema zu sprechen). Die Gespräche mit den Eltern waren für die Kinder zum Teil unbefriedigend, denn die Kinder suchten nach Informationen und wollten mit den Eltern grundsätzlich über den Krieg diskutieren, was diese jedoch ablehnten. Entsprechend gering ist das Wissen und die Auseinandersetzung der Kinder mit dem Thema war eher oberflächlich. Mitleid mit den irakischen Menschen kam bei den amerikanischen Jungen gar nicht vor, die Mädchen sahen zwar die Notwendigkeit dieses Krieges, aber auch die Leiden der Menschen im Irak.

Die Bilder vom Krieg waren eher comicähnlich und erinnerten an Schulhofstreitereien, die mit einem gegenseitigen Angriff endeten. Insbesondere die Jungen entwickelten Fantasien, zum Beispiel von George W. Bush, der eigenhändig Saddam Hussein die Kehle durchschnitt. Aussagen die verdeutlichen wie wichtig eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema und Bildung in Sache Konflikt- und Friedensmanagement sind (vgl. Seiter/Pincus 2003, 2007).

In Israel bereitete sich die Bevölkerung wochenlang darauf vor, von biologischen oder chemischen Langstreckenwaffen getroffen zu werden. Entsprechend häufiger wurde in den Interviews von konkreten Ängsten berichtet, z. B. Familienmitglieder zu verlieren oder bei Gefahr sich nicht rechtzeitig die Gasmasken aufsetzen zu können. Die befragten Kinder waren über den Krieg, seine Hintergründe und seine Entwicklung sehr gut informiert. Ihre Hauptdeutung des Kriegsgrundes: Saddam Hussein will Israel bombardieren; deshalb greifen die USA den Irak an, um Israel zu verteidigen. Was sie sich erhofften, war der Sieg der Amerikaner, in dem sie neben der Sicherheit für Israel auch die Chancen für den Irak sahen. Nicht alle Kinder waren deswegen für den Krieg. Einige argumentierten, dass Krieg keine Lösung, sondern nur Zerstörung bringe. Insgesamt sahen die Kinder die Ereignisse als „unseren Krieg“, und rückten damit ihr Land und ihre Problematik in den Mittelpunkt und stellten sich in Anlehnung an ihren Präsidenten als Friedensstifter vor (vgl. Lemish 2003, 2007).

Reflexion gefragt
Im internationalen Vergleich wird schnell deutlich: Die Vorstellungen der Kinder von ein und demselben Krieg unterscheiden sich deutlich. Die Kinder folgen dem politischen Klima ihres Umfelds, übernehmen die dominanten Argumentationslinien und Deutungsmuster und denken sie konsequent weiter. Was dies längerfristig für das Weltbild der Kinder bedeutet, ob deutsche Kinder z. B. die antiamerikanischen Bilder nachhaltig integrieren oder ob amerikanische Kinder ihre stark vereinfachte Sicht auf Krieg ausdifferenzieren, können wir derzeit noch nicht abschätzen. Was jedoch deutlich wird, ist die Notwendigkeit von Reflexion und mehr Zusammenarbeit von Forschung, Pädagogik und Fernsehproduktion. Gemeinsam müssen wir der Frage nachgehen, wie wir Kinder darin unterstützen können, sich in einer zunehmend globalisierten Welt und ihren Konflikten zurechtzufinden – und das im Sinne nachhaltiger Friedenspädagogik.

Alle zitierten Artikel von 2003 unter: http://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/16_200...

Alle zitierten Artikel von 2007 in: Lemish, Dafna; Götz, Maya (Hg.): Children and Media in Times of War and Conflict. Cresskill: Hampton Press 2007, 364 S.

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Dr. Maya Götz ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen und des Prix Jeunesse International, München.