Kriegsdienstverweigerung im Exil

von Rudi Friedrich
"Wo auch immer, ist es das Ziel von Armeen, Menschen dazu zu zwingen, das Töten und Sterben zu lernen. Daher teilen wir Ihnen mit, dass wir den `Militärdienst` ablehnen, zu dem uns der türkische Staat auffordert", erklärten 40 türkisch-kurdische Kriegsdienstverweigerer im Oktober 2003 gegenüber dem türkischen Generalkonsulat in Frankfurt/M.

"Wir sind davon überzeugt, dass alle Formen von Krieg und militärischer Unterdrückung einer friedlichen Entwicklung in der Region entgegenstehen." Das schreibt die neu gegründete Eritreische antimilitaristische Initiative in Deutschland in einem Flugblatt im Herbst 2004.

Beide Gruppen haben sich selbstorganisiert, um ihre Forderungen öffentlich zu machen. Es sind Kriegsgegner und -gegnerinnen, die sich zusammenschließen, weil sie bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland die Zwangsrekrutierung für einen Kriegseinsatz befürchten, weil sie wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung oder Desertion Verfolgung, Inhaftierung, Folter oder gar den Tod zu erwarten haben.

In den letzten zwei Jahrzehnten gab es in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, immer wieder solche Initiativen. Es waren Kriegsdienstverweigerer aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Russland, aus Griechenland, den USA, Angola, Eritrea oder der Türkei. Es sind sehr oft Gruppen, deren vorrangiges Ziel die gegenseitige Unterstützung ist, um nicht zum Militär gehen zu müssen und/oder um einen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu erringen.
 

 
    Migranten, die mit einem ausländischen Pass auf Dauer in Deutschland leben, sind in ihrem Herkunftsland wehrpflichtig. Können sie sich der Wehrpflicht entziehen? Gibt es dort das Recht zur Kriegsdienstverweigerung? Kriegsdienstverweigerer, die diese Fragen nicht klären können und keine befriedigende Antwort finden, sehen sich in einer ausweglosen Lage: Das Konsulat wird die Ausstellung eines neuen Passes verweigern - oder auch die Verlängerung. Ohne Ausweispapiere erlischt die Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Es droht die Abschiebung.
 
 
    Menschen, die sowohl einen deutschen, wie auch einen ausländischen Pass haben - sogenannte Doppelstaater - sind gleich in zwei Ländern wehrpflichtig. Oft wird die Ableistung des Militär- oder Zivildienstes durch bilaterale Verträge vom anderen Staat anerkannt, aber nicht immer. Griechenland erkennt in der Regel nur die Ableistung des Militärdienstes in Deutschland, nicht aber des Zivildienstes an. Mit anderen Ländern gibt es überhaupt keine bilateralen Verträge, wie mit Serbien & Montenegro oder Marokko.
 
 
    Aufgrund von Zwangsrekrutierung und der Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren sehen viele ihre einzige Chance in der Flucht. In der Regel gilt aber die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern nicht als Asylgrund. Deutsche Behörden und Gerichte lehnen deren Asylanträge immer wieder ab, da jeder Staat das Recht habe, seine Männer (und auch Frauen) zur Wehrpflicht zu zwingen. Es spielte dabei keine Rolle, ob dort Krieg geführt wird, ob es überhaupt ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, ob dort ein unterdrückerisches Regime herrscht.
 
 
    An all diesen Stellen ist Unterstützung und gegenseitige Solidarität nötig. Aufgrund der je nach Herkunftsstaat unterschiedlichen rechtlichen Situation und der Erfahrung, dass deutsche Behörden ihr Anliegen ablehnen, ist die gegenseitige Beratung eines der wichtigsten Schwerpunkte der Arbeit von selbstorganisierten Gruppen. Hier können sie in ihrer Sprache komprimiert erfahren, was nur schwer zugänglich ist. Hier können Erfahrungen ausgetauscht werden. Hier können informelle Zusammenhänge entstehen, die auch in prekären Situation noch Schutz und Hilfe bieten können.

Darüber hinaus hatten sich die Gruppen immer dann zusammengefunden, wenn sie gemeinsam ein politisches Ziel nach außen tragen wollten. Sie wenden sich gegen den Krieg in ihrem Herkunftsland, sie wollen die dort möglicherweise aktiven Gruppen unterstützen, sie organisieren Aktionen, um auf die prekäre Situation im Herkunftsland hinzuweisen und die dortige Praxis anzuprangern, sie fordern gemeinsam Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure.

Neben all diesen politischen Aktivitäten hat ihr Zusammenschluss aber auch eine andere wichtige Bedeutung. Deserteure und Deserteurinnen, die aufgrund ihrer Flucht vor dem Militär in ihrem Herkunftsland verfemt werden und als "Verräter" gelten, erleben in der Gruppe, dass sie nicht alleine stehen. Gerade dadurch, dass sie mit ihrer Verweigerung an die Öffentlichkeit gehen, gewinnt ihre Entscheidung eine hohe Bedeutung sowie politisches Gehalt und kann so als etwas positives erlebt werden. Sie gehören zur kleinen Gruppe derjenigen, die sich aktiv für die Durchsetzung der Menschenrechte, für ein Ende des jeweiligen Krieges in ihrem Herkunftsland einsetzen. Sie werden zum Sprachrohr von vielen, die sich bislang nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dabei sehen sie sich im Exil in Deutschland besonderen Schwierigkeiten gegenüber. Sie kennen die politischen Verhältnisse in Deutschland nicht, sie müssen sich in einer fremden Sprache mit unbekannten Gesetzen und Regelungen auseinandersetzen, Asylsuchenden wird mit der sogenannten Residenzpflicht die Reisefreiheit in Deutschland beschränkt, der Krieg im Herkunftsland sorgt auch unter den Flüchtlingen für Polarisierungen oder Misstrauen. Hier sind die Initiativen dringend auf Begleitung und Unterstützung von deutschen Gruppen und Organisationen angewiesen.

Wie sieht die Arbeit der selbstorganisierten Initiativen in der Praxis aus. Zwei Beispiele sollen es verdeutlichen:
Erfahrungen der türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerer
Die Türkei erkennt die Kriegsdienstverweigerung nicht an. Schon allein die öffentliche Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung kann als "Distanzierung des Volkes vom Militär" wie auch als "Beleidigung des Militärs" strafrechtlich verfolgt werden. Zudem werden Kriegsdienstverweigerer, die sich weigern, eine Uniform anzuziehen oder eine Waffe in die Hand zu nehmen, wegen Befehlsverweigerung verurteilt - auch wiederholte Male.

Seit Anfang der 90er Jahre gibt es erste öffentliche Aktionen von Kriegsdienstverweigerern in der Türkei (siehe dazu www.Connection-eV.de). Schnell entwickelten sich auch Aktivitäten im Exil. Zunächst wurden einzelne Kriegsdienstverweigerer von deutschen Organisationen unterstützt. Über die Jahre schlossen sich die Verweigerer jedoch zusammen und forderten in öffentlichen Aktionen die Anerkennung des Menschenrechtes auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei und einen asylrechtlichen Schutz in Deutschland. Inzwischen trifft sich die Initiative regelmäßig, beraten sich die Verweigerer gegenseitig und bereiten Aktionen vor.

Zuletzt hatte die "Initiative der kurdisch-türkischen KriegsgegnerInnen" gemeinsam mit deutschen Organisationen Aktionstage zum "Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung" in Münster durchgeführt. Zeynettin Er sprach für die Gruppe: "Wir sind überzeugt, dass die Kriegsdienstverweigerung eines der wirksamsten und konkreten Mittel gegen Militarismus, Nationalismus und Krieg ist - bei uns in der Türkei, aber auch in vielen anderen Ländern. In den letzten Jahren haben wir wiederholt öffentliche Aktionen in Deutschland durchgeführt, um das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung einzufordern. Viele von uns haben auch Asyl beantragt, um Schutz vor der drohenden Verfolgung zu erhalten. Aber wir haben erfahren müssen, dass die deutschen Behörden unser Anliegen nicht ernst nehmen. Viele von uns sind von Abschiebung bedroht. Auf diese Weise unterstützen die deutschen Behörden die Politik der Türkei gegenüber Verweigerern, ein alltäglicher Skandal."

Angesichts der drohenden Inhaftierung und Repressionen im Herkunftsland hoffen die Verweigerer weiter auf asylrechtlichen Schutz in Deutschland. Gab es in den 90er Jahren auch eine Reihe von Anerkennungen, so erhalten inzwischen nur noch sehr wenige Kriegsdienstverweigerer mit türkischer Staatsbürgerschaft einen Flüchtlingsschutz wegen "zusätzlicher politischer Verfolgung".

Die Forderung, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei anzuerkennen, wird im Zuge der Annäherung der Türkei an die Europäische Union inzwischen auch von europäischen Gremien aufgegriffen. Der Generalstab des türkischen Militärs lehnte allerdings die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, "das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen", im Frühjahr diesen Jahres erneut ab.

Eritreische VerweigerInnen organisieren sich
Nach dem Ende des 30-jährigen Unabhängigkeitskrieges im Mai 1991 und der völkerrechtlichen Unabhängigkeit Eritreas hat die alleinherrschende Staatspartei People`s Front for Democracy and Justice (PFDJ) einen Militärstaat am Horn von Afrika errichtet. Eine Verfassung gibt es nur auf dem Papier. Menschenrechtsberichte wie von amnesty international zeichnen ein erschreckendes Bild. Eritrea führte mehrere Kriege mit den Nachbarländern. Nach Ende des äthiopisch-eritreischen Krieges im Mai 2000 wurde die Generalmobilmachung von Männern und Frauen aufrecht erhalten, Militärangehörige werden nun für Arbeitsdienste für die Regierung und die Offizierskaste im Rahmen eines unbefristeten Militärdienstes eingesetzt. Angesichts schärfster repressiver Maßnahmen des Militärs kamen allein im Jahre 2003 556 Asylsuchende aus Eritrea nach Deutschland, ein Großteil von ihnen desertierte aus dem eritreischen Militär.

Gemeinsam mit der Ev. Flüchtlingsseelsorge in Hessen führten wir im Sommer diesen Jahres mit einigen der Flüchtlinge Interviews durch. Sie haben großes Interesse, ihre leidvollen Erfahrungen öffentlich zu machen. Für Yohannes Kidane war "es eine neue Erfahrung, dass es Gruppen gibt, die sich auch für Kriegsdienstverweigerer und gegen Krieg engagieren."

Das Bundesamt für Migration wie auch deutsche Gerichte werfen vielen Flüchtlingen Unglaubwürdigkeit vor und lehnen ihre Asylanträge aus diesem Grund ab - obwohl die alltäglichen Menschenrechtsverletzungen von Menschenrechtsorganisationen bestätigt werden. Die Lage der Flüchtlinge ist angesichts dessen verzweifelt.

Um dies öffentlich zu machen, um positivere Entscheidungen in den Asylverfahren herbeiführen zu können und um die Selbstorganisation der Flüchtlinge voranzutreiben, werden als erster Schritt gemeinsam mit den Deserteuren und Deserteurinnen die Ergebnisse der Interviews voraussichtlich im November 2004 vorgestellt werden. Sehr erfreulich ist, dass sich unabhängig davon eine Initiative gegründet hat, die für eritreische Kriegsdienstverweigerer und -verweigerinnen eine Plattform bieten und mit einem Seminar weitere Öffentlichkeitsarbeit vorbereiten will.

Gerade die neuesten Entwicklungen bei den eritreischen Flüchtlingen zeigen, wie wichtig die Selbstorganisation ist. Das Gefühl, mit seiner Geschichte und mit seiner Erfahrung nicht allein zu stehen, das Gefühl, gemeinsam aktiv werden zu können, gibt sehr viel Selbstvertrauen, um die schwierige Situation in Deutschland meistern zu können. Yohannes Kidane macht dies in seinem Interview deutlich: "Bei uns kann man noch nicht einmal darüber sprechen. Es gibt keine Möglichkeit, Widerstand zu leisten, nur abzuhauen. Hier habe ich erfahren, dass Widerstand möglich ist, dass es Leute gibt, die gegen die Regierung organisiert vorgehen. Das tut mir sehr gut."

Kontakte von aktiven Gruppen

Initiative der kurdisch-türkisch KriegsgegnerInnen, c/o Zeynettin Er, Marktstr. 18, 35452 Heuchelheim, Tel.: 0162-7527394

Eritreische antimilitaristische Initiative, c/o Yohannes Kidane Ogubamichael, Bahnstr. 51, 61449 Steinbach, Tel.: 0162-5208472, E-mail: Yohannesk2000 [at] yahoo [dot] com

Stop the War Brigade, Vietnam Veterans Against the War-AI, Tel.: 0177-4816128, E-Mail: stopthewarbgde [at] hotmail [dot] com, Homepage: http://angelfire.lycos.com/jazz/stwb

Iniciativa Angolana Antimilitarista para os Direitos Humanos (IAADH), c/o Antirassistische Initiative, Yorckstr. 59, 10965 Berlin, E-Mail: ari [at] ipn [dot] de

Connection e.V., Gerberstr. 5, 63065 Offenbach, Tel.: 069-8237 5534, Fax: 069-8237 5535, E-Mail: office [at] Connection-eV [dot] de, www.Connection-eV.de

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