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Macht des Gewissens
vonBrigitte Ludwig und Bernd Richter, denen vom Neusser Pharmakonzern Beecham-Wülfing gekündigt worden war, weil sie die Mitarbeit an der Entwicklung einer "Atompille" verweigerten, haben am 24. Mai 1989 vom Bundesarbeitsgericht recht bekommen. Die traditionell wenig beschränkte Weisungsmacht der Unternehmen stößt damit nach höchstrichterlichem Urteil auf Grenzen, wenn Beschäftigte durch die Unternehmenspolitik in Gewissenskonflikte geraten. Das BAG-Urteil kann für Betroffene in ähnlichen Fällen eine wichtige Hilfe sein!
Zur Vorgeschichte: Die Neusser ÄrztInnen hatten die Mitarbeit an einer Substanz verweigert, die z.B. in der Krebstherapie Verwendung finden sollte, aber offenbar auch militärisch einsetzbar ist. Das ging aus firmeninternen Dokumenten hervor, nach denen sich Beecham-Wülfing einen "riesigen Markt" versprach, weil Soldaten durch Injektion des beforschten Medikaments möglicherweise eine Zeit lang kampffähig gehalten werden könnten. Die forschenden ÄrztInnen und Krankenschwestern hielten es dagegen mit ihrem Gewissen und dem ärztlichen Ethos für unvereinbar, ihre Arbeit in den Dienst der Rüstung zu stellen. Daraufhin kündigte ihnen der Pharmakonzern.
Nachdem in den beiden ersten Instanzen die Kündigung von zwei der Betroffenen bestätigt worden war (siehe Rundbrief Nr. 3/89), urteilte jetzt das BAG: Auszugehen sei von einem "subjektiven Gewissensbegriff": "Danach ist als eine Gewissensentscheidung jede ernste sittliche, d.h. an den Kategorien von 'gut' und 'böse' orientierte Entscheidung anzuerkennen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und verpflichtend erfährt." Der Arbeitnehmer müsse zwar seine Konfliktlage "im einzelnen darlegen und erläutern", überprüfbar für das Gericht bleibe aber nur, "ob der vom Arbeitnehmer geltend gemachte Gewissenskonflikt bei der vereinbarten Tätigkeit tatsächlich auftritt". Es sei gesetzwidrig, wenn ein objektiver Gewissensbegriff angelegt und auf objektive Kriterien abgestellt wird wie "Mindestrang", "Realitätsbezug" oder ob der Konflikt für einen Dritten "nachvollziehbar" ist. Gleichzeitig stellt das BAG fest, daß angesichts des Vorliegens eines Gewissenskonfliktes zwar das Direktionsrecht des Unternehmens begrenzt, die "unternehmerische Freiheit" aber nicht gesetzwidrig eingeschränkt worden sei. Eine Kündigung sei nur gerechtfertigt, wenn ein anderer Einsatz nicht möglich ist (zitiert nach der Presseerklärung des BAG Nr. 17/89). Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf als Vorinstanz muß jetzt darüber entscheiden, ob ein anderweitiger Einsatz der Betroffenen bei Beecham-Wülfing möglich ist.
Nach diesem Urteil ist zu erwarten, daß im noch ausstehenden Prozeß zweier weiterer Betroffener ebenfalls die Gewissensentscheidung anerkannt und dem Pharmakonzern die Prüfung einer anderen Verwendung abverlangt wird.
Nutzen aus dem BAG-Urteil konnten schon 10 Ingenieure bei der Firma Voith in Crailsheim ziehen, die schriftlich angekündigt hatten, ihre Mitwirkung an Voruntersuchungen für oder an der Entwicklung von Torpedoantrieben zu verweigern. Sie begründeten dies damit, daß einige von ihnen sich gerade deshalb für die Arbeit in der Entwicklungsabteilung bei Voith entschieden haben, weil dort keine Militärtechnik entwickelt wird. Außerdem könne die Firma aufgrund ihrer Stellung auf dem zivilen Markt auf Militärgelder verzichten.
Die Geschäftsleitung von Voith, die das Ergebnis des BAG-Prozesses im Neusser Ärztefall abgewartet hatte, legte aufgrund des Urteils den Konflikt in ihrem Hause gütlich bei. Sie teilte mit, sie werde keine arbeitsrechtlichen Schritte gegen die Ingenieure einleiten und auf die - nunmehr als "vages Projekt" bezeichnete - Torpedoforschung verzichten.
Gewissenskonflikte von ArbeitnehmerInnen wegen Rüstungsprojekten, ökologischen Problemen oder auch aus politischen Gründen werden in den letzten Jahren häufiger zum Anlaß für Verweigerungen. So kündigten über 1000 WDR-MitarbeiterInnen während des EG-Wahlkampfes an, daß sie sich weigern, Wahlspots von Rechtsextremisten in Rundfunk und Fernsehen zu verbreiten. Postbedienstete wehrten sich dagegen, Postwurfsendungen der DVU zustellen zu müssen. Einige distanzierten sich sogar in Anschreiben an Empfänger der DVU-Wurfsendungen von deren "menschenverachtender Propaganda". In diesen Fällen war den Beteiligten zwar kein direkter Erfolg beschieden, dennoch halfen sie, die Auseinandersetzung über den Umgang mit ausländerfeindlicher Politik zu verstärken.
Nach dem BAG-Urteil wird es Arbeitgebern nicht mehr so leicht fallen, mit Disziplinierungen oder Kündigungen zu drohen bzw. sie auszusprechen, wenn Beschäftigte unverantwortliche Tätigkeiten verweigern. Eine weitere Verrechtlichung derartiger Gewissenskonflikte ist zwar kein Allheilmittel. Aber wenn gegenwärtig über finanzielle Belastungen für Umweltzerstörer (Ökosteuer) diskutiert wird, lohnt es sich, einen Blick über den Atlantik zu werfen: In den USA gibt es ein Gesetz aus dem Jahre 1863, wonach ein Beschäftigter, der sein Unternehmen wegen betrügerischer Praktiken anzeigt, belohnt wird. Aufgrund dieser Regelung erhielt vor kurzem ein Techniker in einem Rüstungsunternehmen 1,4 Millionen Dollar, weil er nachgewiesen hatte, daß sein Arbeitgeber das Pentagon um über 14 Millionen Dollar betrogen hatte!