Mediation in der Nachbarschaft

von Dieter Lünse

Streiten gehört zum Alltag. Konflikte zwischen Hundebesitzer/innen und Spielplatznutzern, Spannungen zwischen Nachbarn oder rivalisierenden Gruppen von Jugendlichen. Konflikte sind ein Grundbestandteil im Zusammenleben. Nur allzu oft kommt es zu Eskalationen und die beteiligten Menschen werden den „Unfrieden" nicht mehr los. Der Grillgeruch, in den Sommermonaten wird zum Anlass genommen, seinen Nachbarn anzuschreien oder sogar körperlich zu attackieren. Die Kirschen, die über den Gartenzaun wachsen, sind plötzlich der Motor für einen langjährigen Grenzstreit und vielen gegenseitigen Verletzungen. Mit viel Phantasie werden immer wieder neue Angriffe erdacht. Oder die Menschen versuchen sich über Jahre zu meiden und sich nur mit abfälligen Blicken zu begegnen. Auf diesen Wegen kann der Streit nicht bearbeitet werden. Wie eine Last liegt er auf beiden Streitparteien und wiegt oft sehr schwer.

Seit 10 Jahren entwickelt sich in verschiedenen Regionen in Deutschland die Mediation in der Nachbarschaft. In regional überschaubaren Räumen wie Hamburg St. Georg öder Lüneburg in Niedersachsen. ,,Mediation" bedeutet Streitvermittlung. Auch wenn es oft mit dem Wort Streitschlichtung übersetzt wird geht es um die neutrale Person in der Mitte zwischen zwei Streitenden. Im Gegensatz zur Schlichtung wird ein/e Streitvermittler/in keine Entscheidung fällen, sondern die Lösungsideen bei den Streitenden selbst fördern. Jenseits von Beleidigungen, Drohungen und Gewalt bietet Mediation die Möglichkeit, Streitigkeiten auszutragen. Die Parteienentlasten sich im Mediationsprozess von ihrem Groll und werden versöhnlicher. Sie entdecken neue Möglichkeiten für einen weiteren Weg, welche beide Seiten zufrieden stellt. Missverständnisse können geklärt werden, und das Ansehen wie auch die Achtung des anderen werden wieder hergestellt. Missachtung und Niedertracht stehen nicht mehr im Vordergrund/ sondern wieder Zuversicht, den Streit aus eigenen Kräften zu bewältigen.
Pilotprojekte in Deutschland
Der Verein „Brückenschlag" hat 1995 angefangen, in der Stadt Lüneburg Mediationen für Nachbarschafts- und Betriebskonflikte anzubieten. Wichtig war in diesem Ansatz vor allem, die stadtansässigen Institutionen zur Zusammenarbeit zu gewinnen, um Menschen diesen Ansatz der Vermittlung näher zu bringen. Es sollte ihnen gezeigt werden, dass konstruktive Formen der Auseinandersetzung die Spirale der Gewalt unterbrechen helfen.
Ein zweites Beispiel ist eine Arbeitsgruppe am Berghof-Forschungszentrum in Berlin, die Konflikte zwischen Mietern bearbeitet. Für die Entwicklung dieses Projektes war wichtig, dass ihnen der Mieterverein die Konflikte zwischen MieterInnen weitervermittelte, so dass sie direkt tätig werden konnten. Auch hier konnte die Spirale der Gewalt, das Aussitzen von alltäglichen Konflikten oder der kostenintensive Weg über die Gerichte oftmals vermieden werden. Mit einer Vermittlung zwischen zwei streitenden Parteien wurden neue Lösungen entwickelt, und im Prozess lernten die Beteiligten, dass sie selbst mit Hilfe von Dritten einen Ausweg erarbeiten können. In Konflikten und im Zuge des oftmals folgenden Schlagabtausches geraten die Gegner immer weiter auseinander, so dass sich Feindbilder entwickeln, die kaum noch durch die Beteiligten selbst geklärt werden können. Im Alltag unter Mieterinnen eines Wohnhauses kann dies verheerende Folgen haben. Mit der Mediation wird der Konflikt nicht vollkommen aus der Hand gegeben, sondern es wird da rauf Wert gelegt, dass die streitenden Parteien ihren Konflikt behalten und lernen, selbst Lösungen zu entwickeln. Auf diesem Wege wird langfristig Kompetenz an Laien vermittelt, und die Kultur gewaltförmiger Auseinandersetzungen kann hin zu einem konstruktiven Umgang verändert werden.
Ein drittes Beispiel für Mediation in der Nachbarschaft. wurde vom Konfliktkontor in Berlin entwickelt. Hier sind es Hausmeister, die als Konfliktvermittler ausgebildet wurden. In diesem Projekt war es nichtleicht. die Zielgruppe für die Idee zu interessieren und dafür zu gewinnen. Nachdem sie erst einmal untereinander einen Erfahrungsaustausch hatten, konnten sie qualifiziert werden und in ihrem Umfeld die Streitvermittlung anbieten. Ob es sich um bestimmte Berufsgruppen handelt oder Nachbarn, die sich engagieren wollen, bleibt immer noch die große Frage für Mediation in den verschiedenen Gemeinwesen (Stadtteilen, Kommunen, Dörfern ... ), wie die Idee aufgebaut werden kann, so dass es eine Selbstverständlichkeit wird, mit dem eigenen Konflikt zur Streitvermittlung zu gehen.
„Streithaus" Hamburg St. Georg
Auch in Hamburg wird gestritten und sich wieder versöhnt wie anderswo auch. Neuerdings ist der Stadtteil St. Georg aber um eine Besonderheit reicher: eine Gruppe ehrenamtlicher Streitvermittlerinnen, die Menschen aus dem Stadtteil bei schwierigeren Konflikten zur Seite stehen wollen. Zehn Frauen Und Männer - teils Anwohnerinnen, teils beruflich mit dem Stadtteil verbunden - haben eine Ausbildung zum/r Streitvermittler/in absolviert. Initiator und Motor des Projektes ist das ikm – „Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation“ - welches in St. Georg beheimatet ist.
2004 erfolgte die feierliche „Übergabe" der frisch ausgebildeten Streitvermittlerinnen an den Stadtteil. Die Aula der Heinrich-Wolgast-Schule gab den würdigen Rahmen für die Präsentation des Projektes und war mit rund 60 Gästen gut gefüllt. Vom ikm sprachen Dr. Christiane Rix und Dieter Lünse, von der Bürgerstiftung Hamburg sprach Dr. Klaus Rollin einleitende Worte. Der Dank ging auch an Institutionen und Einzelpersonen des Stadtteils für die Unterstützung der Projektidee. Danach wurden die Ausbildungszertifikate einzeln durch den Bezirksamtsleiter (in anderen Orten würden wir Bürgermeister sagen) Markus Schreiber und durch Isabelle Vertes-Schütter, Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters Hamburg, überreicht.
Ein szenisches Spiel zum Verfahren der Mediation unterbrach auf witzige und sehr gelungene Weise den offiziellen Teil der Veranstaltung: zwei der angehenden Streitvermittlerinnen, im Publikum verteilt, inszenierten einen handfesten Nachbarschaftsstreit. Bevor dieser eskalierte, Wurden sie an die Mediationsstelle - das „Streithaus" - verwiesen und bekamen dort die ersten Schritte zu einer Einigung gezeigt.
So sieht es nun auch in der Realität aus. Das „Streithaus" ist ein „Streitraum", der sich in der Heinrich-Wolgast-Schule am Carl-von-Ossietzky-Platz in - Hamburg St. Georg befindet. Hier meditieren sechs Mitglieder der ausgebildeten Streitvermittlerlnnengruppe und freuen sich über alle, die mit Mut zur Konfliktlösung und zu ihnen kommen. Nach einem Jahr hat sich herausgestellt, dass die meisten nicht mit ihren Konfliktpartnerinnen kommen. Sie wollen gerne in einer Einzelberatung wissen, warum und wie sie die Mediation anzetteln können. Inzwischen haben wir uns auf diesen Bedarf umgestellt und leisten neben Mediation im Streithaus auch die Beratung für Mediation. Zusätzlich hat sich auch die Beratung im Verein „Mieter helfen Mieter" ergeben. Für den Mieterberatungsverein ist dies ein sehr spannendes neues Gebiet, weil sie bislang parteiisch beraten haben. Die neue Erfahrung zeigt, dass sich weitere Möglichkeiten mit Mediation bieten und das Feld der Mieterarbeit zusätzlich attraktiv macht.
Mit einer Reise zu einer Partnerorganisation in Sachen Stadtteilmediation in Rotterdam wollen wir die „Mühen der Ebenen" wieder klarer sehen und hoffentlich mit neuen Ideen zurückkehren.
Mit Mühe stellen wir jedoch fest, dass die Akquise und die Arbeit am Bekanntheitsgrad schwer und aufwändig für ehrenamtliche Menschen sind. Trotz der Unterstützung von der Bürgerstiftung Hamburg, dem „Bürgermeister" (Bezirksamtsleiter) vom Bezirk Mitte, Herrn Schreiber, dem ikm und inzwischen auch von der Stiftung Mitarbeit fällt es nicht leicht. Viele Klinken müssen geputzt werden, und die Präsenz im Stadtteil ist von großer Bedeutung.
Auch wenn es schwer ist, die Menschen zur aktiven konstruktiven Konfliktaustragung im Stadtteil heranzubringen, ist es jedoch sehr leicht, für die Idee dahinter zu werben.
Abgesehen von zwei weiteren Stadtteilen, in denen Mediation etabliert wurde, reicht das Interesse daran auch über nationale Grenzen. Mit Freude empfingen wir im Mai 2005 Gäste aus der Mongolei, die sich in Hamburg über Instrumente der Zivilgesellschaft informierten und sehr interessiert waren, dass Mediation eine Bedeutung bekommt. Obwohl bislang „nur" Beratungsgespräche für Mediation abgefragt wurden, sind viele Kontakte entstanden, und insgesamt waren es zwei spannende Jahre mit einer enormen Entwicklung.

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Dieter Lünse ist Leiter des Institut für Konfliktaustragung und Mediation in Hamburg (www.ikm-hamburg.de). Er ist Mediator und Ausbilder für Programme sozialen Lernens. Bei einer Forschungsreise 2008 und einem weiteren Aufenthalt 2009 sind viele Kontakte entstanden, die er gerne auf Anfrage weiter vermittelt, um Unterstützung wie auch gegenseitiges Lernen zu organisieren: luense@ikm-hamburg.de