Eine medienkritische Initiative des Dritte-Welt-Journalisten-Netzes e.V. und der Heinrich-Böll-Stiftung

Mediawatch

von Heinz Kotte

"Wenn Sie drei Monate lang darauf verzichten, Lügen über uns zu verbreiten, sind wir bereit, drei Monate lang die Wahrheit über Sie zu verschweigen“, war das Angebot eines philippinischen Journalisten an seine KollegInnen aus Deutschland auf einer Konferenz in Manila, durchaus nicht nur ironisch gemeint.

Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu den Gesellschaften und Menschen im Süden (und Osten) wird vorwiegend von wirtschaftlichen Interessen und einem kulturellen Überlegenheitskomplex geprägt, vermittelt durch die vorherrschende Berichterstattung in allen Sparten der Medien.

Daher werden Emanzipationsprozesse oder auch einfach Überlebensstrategien in den Gesellschaften des Südens und Ostens als Bedrohung des Nordens interpretiert, anstatt Selbstbewußtsein zu honorieren und die Faktoren hinter den Fakten von Verelendung und Migration zu erklären und Möglichkeiten für einen gerechten Ausgleich, Kooperation und Solidarität aufzuzeigen. Die Armutswanderung in den Norden, verursacht vor allem durch einen neokoloniale Handels- und Finanzpolitik der Industrienationen, wird weitgehend als Angriff von Kriminellen auf die Wohlstandsinsel des Nordens dargestellt. Der Raubbau an den Regenwäldern des Südens wird beispielsweise als Verantwortungslosigkeit von Politikern im Süden angeprangert, während der Import von Edelhölzern und die Verschwendung von Rohstoffen und Energie - die unendlich größere Umweltzerstörung durch die Industrieländer des Nordens - verschwiegen werden. Nicht der Süden ist das Problem, sondern wir sind das Problem des Südens.

Beobachtung und Kritik durch Mediawatch

Die kritische Beobachtung der Südberichterstattung. und eine konstruktive Einflußnahme ist die Grundvorstellung der Initiative Mediawatch, die vom Dritte- Welt-Journalistennetz e. V. Ende 1991 ins Leben gerufen wurde und seit Anfang 1993 von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wird. Zur Initiative zählen z.Zt. etwa 200 Mitglieder und Interessenten, hauptsächlich JournalistInnen, die kritisch über Länder und Themen des Südens arbeiten oder selbst aus dem Süden stammen und hier tätig sind.

Auf besonderes Interesse stößt die Initiative bei Süd-Organisationen, die die Südberichterstattung kritisch beobachten, eigene Informationen anbieten und teils mit kritischen und unabhängigen Medien und JournalistInnen im Süden kooperieren.

Mediawatch geht davon aus, daß unser Bedürfnis nach Aufklärung und Erklärung von Zusammenhängen den Medien nicht alleine überlassen werden kann, so wie auch den Parteien die Verantwortung für Demokratie oder den Kirchen für Gerechtigkeit und Moral nicht länger anvertraut werden kann.

Als demokratische Institutionen und Träger von Information und Kultur können Medien nicht an privatwirtschaftliche Interessen verhökert werden. Das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Grundversorgung mit Information und Kultur ist neu einzufordern. Die Formen unserer Mitsprache und unseres Mitwirkens an der Umgestaltung von Strukturen und Inhalten der Medien muß jedoch erst noch gefunden werden.

In der Tradition von Heinrich Böll
Das Interesse der. Heinrich-Böll-Stiftung an Mediawatch und die Kooperation mit dem Dritte-Welt-Journalistennetz ist im medienkritischen Engagement von Heinrich Böll selbst begründet und entspricht der Bemühung um eine Verbesserung der politischen Kultur in Deutschland und der "Normalisierung" unseres Verhältnisses zu den Gesellschaften und Menschen im Süden und Osten. Heinrich Boll ließ aber auch nie Zweifel daran, daß das Recht auf Information und Kultur nicht geschenkt wird, sondern errungen werden muß, wie er in der Laudatio für Franka Magnani anläßlich der Verleihung des Fritz-Sängers Preises 1983 sagte:

"Rechte müssen wahrgenommen werden, bevor sie auf dem großen Jahrmarkt der Unterhaltung, in der Ablenkungsindustrie zu herabgeschmunzelten Anekdoten verkommen, im legalen Drogentaumel der Bewußtlosigkeitsindustrie nur noch als Querulantentum und Rechthaberei einem dekorativen Zweck untergeordnet werden".

Die Initiative Mediawatch setzt sich (vorläufig) mit der Südberichterstattung in den Medien auseinander, die jedoch nicht losgelöst vom Erosionsprozeß an Substanz in den Medien und der "Karnevalisierung'' der Programmgestaltung besonders in den elektronischen Medien gesehen werden kann.

Die Arbeitsweise von Mediawatch

Die Initiatoren haben in einer Plattform Kriterien formuliert, nach denen die Südberichterstattung in den Medien beobachtet und kritisiert werden soll, wie eurozentristisch, kolonialistisch, chauvinistisch, militaristisch; frauenfeindlich u.a.

Eine Jury von sieben unabhängigen Männern und Frauen aus der Öffentlichkeit, die aus dem Süden und der Bundesrepublik stammen, haben sich, angeboten, Bewertungen zu gravierenden Mißinformationen und Irreführungen durch Medien abzugeben. Die Ergebnisse sollen in Streitgesprächen, durch Pressekonferenzen und in Zukunft auch in einem Jahrbuch an die Öffentlichkeit gebracht werden.

Die unmittelbare Form aber ist die "kleine Kritik" oder "Moskitomethode", nämlich Leser-, Hörer- und Zuschauerreaktionen zu mobilisieren, Kettenbriefaktionen in Gang zu setzen und eine Auseinandersetzung mit den Autoren und Verantwortlichen von kritikwürdigen Berichten zu führen.

Konkrete Projekte

Auf einer Tagung zur Aktivierung von Mediawatch im Januar 93 sind eine Reihe konkreter Projekte ins Auge gefaßt worden, die größtenteils in Gang gesetzt worden sind.

Mit einer Fragebogenaktion wird versucht, JournalistInnen für eine kritische und kontinuierliche Beobachtung von ausgewählten Medien zu gewinnen und Beobachtergruppen zu bilden. Zunächst sind die etwa 200 Mitglieder und Interessenten von Mediawatch, vor allem aus dem Dritte-Welt-Journalisten-Netzwerk, angesprochen worden. Der Kreis soll jedoch auch auf Süd-Organisationen und eine größere Öffentlichkeit ausgeweitet werden.

Durch eine Briefkampagne zur Erhaltung von Süd-Sendeplätzen beim SFB zu Beginn des Jahres (konnte die Streichung von zwei Sendeplätzen zwar nicht verhindert werden, aber sie hat offensichlich zur Erhaltung eines Sendeplatzes beigetragen und im Rundfunkrat des SFB deutlich gemacht, daß die Südberichterstattung eine Lobby hat.

Eine Arbeitsgruppe von afrikanischen und deutschen JournalistInnen beobachtet die Afrika-Berichterstattung im "Spiegel", der seit Jahren mit groß aufgemachten Titelgeschichten das negative Afrika-Bild in der Öffentlichkeit prägt. Im Juli 93 ist in der Redaktion des "Spiegel" ein erstes Streitgespräch geführt worden, an dem drei Kollegen aus Afrika teilgenommen haben. Ein Bericht darüber ist in epd-Entwicklungspolitik erschienen. Die Redaktion des "Spiegel" wies die Kritik zurück, daß durch die negative Berichterstattung einer weißen Rekolonialisierung Afrikas Vorschub geleistet wird, akzeptierte jedoch das Angebot der Kollegen aus Afrika, bei Recherchen mit Beratung und Kontakthilfe zur Verfügung zu stehen.

Im Juli wurde auch mit der Autorin eines u.E. anti-islamischen ARD-Exclusiv Beitrags über die Moslems in Bosnien, "Die geheime Brigade", auf der Grundlage von drei Gutachten ein Streitgespräch geführt. Nach der Zurückweisung unserer Kritik durch den Intendanten des WDR ist eine Programmbeschwerde mit einer Filmanalyse und Stellungnahmen von Journalisten aus Bosnien und dem Nahen Osten an den Rundfunkrat des WDR gerichtet worden. Über das Streitgespräch und die Programmbeschwerde ist ebenfalls von epd berichtet worden. Im Mittelpunkt der Kritik steht die stereotype anti-islamische Reizterminologie von "islamischen Gotteskriegern" und "Allahs neuem Schlachtfeld", die dem Aufbau eines neuen Feindbildes vom islamischen Fundamentalismus Vorschub leistet.

Einige Mitglieder von Mediawatch haben eine Auswahl von Anti-Rassismus-Spots im Fernsehen begutachtet. Die Auswertung von Tilman Baumgärtel ist in der Augustausgabe von "Insight, Kommunikation" erschienen. Fast alle untersuchten Spots werben um billiges Verständnis im Sinne von "Ausländer sind auch Menschen", auch wenn sie von bekannten Künstlern und Sportlern vorgetragen werden. Nach der Auswertung sind Spots, die mit Witz und Humor das alltägliche Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern behandeln, am besten geeignet, Fremdenangst und Ausländerfeindlichkeit entgegenzuwirken.

Die Mitglieder des Dritte-Welt-Journalisten-Netzes e.V, aus dem Raum Köln/ Bonn haben einen zweimonatigen Jour Fix im Haus der Stiftung in Köln eingerichtet, der offen für InteressentInnen ist und eine kritische Auseinandersetzung mit der Südberichterstattung einbezieht.

Am 21. Oktober 93 fand die erste Jahresversammlung von Mediawatch in Bonn statt, am selben Tag, an dem BMZ-Journalistenpreise durch den Bundespräsidenten verliehen wurden. Auf der Versammlung wurden Fernsehbeiträge über Indien verglichen und über Rassismus in den Medien und die Diskriminierung nicht-deutscher Kolleginnen in deutschen Medien diskutiert.

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